Parsifal

Entstehung

Ein erster Kontakt mit dem Parzival-Stoff fiel – wie schon einige seiner früheren Werke – in die Zeit seines Kuraufenthaltes in Marienbad im Juli des Jahre 1845. Diese Gegend in Böhmen hatte auf Richard Wagner atmosphärisch einen äußerst bedeutsamen Einfluss. Er schreibt:

Wieder war ich auf dem vulkanischen Boden dieses merkwürdigen und für mich immer anregenden Böhmens; ein wundervoller, fast nur zu heißer Sommer diente zur Nahrung meiner inneren Heiterkeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich der gemütlichsten Lebensweise, wie sie andererseits für die sehr aufregende Kur unerlässlich ist, hinzugeben.

Er hatte sich vorsorglich eine sorgfältig ausgewählte Lektüre dahin mitgenommen:

Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen, die Gedichte Wolframs von Eschenbach in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhang das anonyme Epos vom „Lohengrin“ mit der großen Einleitung von Görres. Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldwege, um am Bach gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen, und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs, mich zu unterhalten.

Trotzdem an dieser Stelle alles zur Ausführung des „Lohengrin“ drängte, sah Wagner diese beiden Gedichte durchaus noch als einen „Sagen-Kosmos“ an. Denn Parzival musste sich die Freiheit von Sünde erst auf einem langen Weg erkämpfen, wogegen Lohengrin aufgrund seines inneren Zustandes schon der Gralssphäre angehörte.

Nach der schönen buddhistischen Annahme wird die fleckenlose Reinheit des Lohengrin einfach daraus erklärlich, dass er die Fortsetzung Parzivals – der die Reinheit sich erst erkämpfte – ist. Ebenso würde Elsa in ihrer Wiedergeburt bis zu Lohengrin hinanreichen. Somit erschien mir der Plan zu meinen „Siegern“ als die abschließende Fortsetzung von „Lohengrin“.

Zwölf Jahre später, im April 1857, als Wagner gerade sein „Asyl“ auf dem Grundstück von Familie Wesendonck bezogen hatte, kämpfte sich die Parzival-Legende aus dem Unterbewusstsein wieder an die Oberfläche:

am Karfreitag erwachte ich zum ersten Male in diesem Hause bei vollem Sonnenschein: das Gärtchen war ergrünt, die Vögel sangen, und endlich konnte ich mich auf die Zinne des Häuschens setzen, um der langersehnten verheißungsvollen Stille mich zu erfreuen. Hiervon erfüllt, sagte ich mir plötzlich, dass heute ja „Karfreitag“ sei, und entsann mich, wie bedeutungsvoll diese Mahnung mir schon einmal in Wolfram’s Parzival aufgefallen war. Seit jenem Aufenthalte in Marienbad, wo ich die „Meistersinger“ und „Lohengrin“ konzipierte, hatte ich mich nie wieder mit jenem Gedichte beschäftigt; jetzt trat sein idealer Gehalt in überwältigender Form an mich heran, und von dem Karfreitags-Gedanken aus konzipierte ich schnell ein ganzes Drama, welches ich , in drei Akte geteilt, sofort mit wenigen Zügen flüchtig skizzierte.

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Später, es war Januar 1878, als er noch einmal einzelne Daten seines Lebens überdachte, glaubte er sich in „Mein Leben“ geirrt zu haben. Cosima zitiert ihn:

dass nur die Stille im Garten des Asyl’s die Karfreitags-Stimmung zurückrief, nicht dass Karfreitag gerade gewesen sei.

Und am 22. April 1879 erkennt er es noch klarer:

R. gedachte heute des Eindruckes, welcher ihm den Karfreitags-Zauber eingegeben; er lacht, und „eigentlich alles bei den Haaren herbeigezogen wie meine Liebschaften, denn es war kein Karfreitag, nichts, nur eine hübsche Stimmung in der Natur, von welcher ich mir sagte: So müsste es sein am Karfreitag“, habe ergedacht.

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Doch auch 1857 war die Zeit noch nicht reif! Vorerst war die Arbeit am „Siegfried“ aus seiner Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ noch bestimmend.

Am 2. März 1859 zeugt er davon, dass die Thematik nach und nach in ihm an Tiefe gewinnt. Er schreibt an Math. Wesendonck:

Der Parzival hat mich viel beschäftigt; namentlich geht mir eine eigentümliche Schöpfung, ein wunderbar weltdämonisches Weib (die Gralsbotin) immer lebendiger und fesselnder auf.

Und am 30. Mai 1859 schreibt er ihr ausgehend vom „Tristan“ folgendes:

Dieser letzte Akt ist nun ein wahres Wechselfieber: – tiefstes, unerhörtestes Leiden und Schmachten, und dann unmittelbar unerhörtester Jubel und Jauchzen. Weiß Gott, so ernst hat’s noch keiner mit der Sache genommen, und Semper hat recht. Das hat mich auch allerneuestens wieder gegen den „Parzival“ gestimmt. Es ging mir kürzlich nämlich wieder auf, dass dies wieder eine grundböse Arbeit werden müsste. Genau betrachtet ist Anfortas der Mittelpunkt und Hauptgegenstand. Das ist denn nun aber keine üble Geschichte das. Denken Sie um des Himmels willen, was da los ist! Mir wurde das plötzlich schrecklich klar: es ist mein Tristan des dritten Aktes mit einer undenklichen Steigerung. Die Speerwunde, und wohl noch eine andre – im Herzen, kennt der Arme in seinen fürchterlichen Schmerzen keine andre Sehnsucht, als die zu sterben; dies höchste Labsal zu gewinnen, verlangt es ihn immer wieder nach dem Anblick des Grals, ob der ihm wenigstens die Wunden schlösse, denn alles andre ist ja unvermögend, nichts – nichts vermag zu helfen: – aber der Gral gibt ihm immer nur das eine wieder, eben dass er nicht sterben kann; gerade sein Anblick vermehrt aber nur seine Qualen, indem er ihnen noch Unsterblichkeit gibt. Der Gral ist nun, nach meiner Auffassung, die Trinkschale des Abendmahles, in welcher Joseph von Arimathia das Blut des Heilandes am Kreuze auffing. Welche furchtbare Bedeutung gewinnt nun hier das Verhältnis des Anfortas zu diesem Wunderkelch; er, mit derselben Wunde behaftet, die ihm der Speer eines Nebenbuhlers in einem leidenschaftlichen Liebesabenteuer geschlagen, – er muss zu seiner einzigen Labung sich nach dem Segen des Blutes sehnen, das einst aus der gleichen Speerwunde des Heilands floss, als dieser weltentsagend, welterlösend, weltleidend am Kreuze schmachtete! Blut um Blut, Wunde um Wunde – aber hier und dort, welche Kluft zwischen diesem Blute, dieser Wunde! Ganz hingerissen, ganz Anbetung, ganz Entzückung bei der wundervollen Nähe der Schale, die im sanften, wonnigen Glanze sich rötet, gießt sich neues Leben durch ihn aus – und der Tod kann ihm nicht nahen! Er lebt, lebt von neuem, und furchtbarer als je brennt die unselige Wunde ihm auf, seine Wunde! Die Andacht wird ihm selbst zur Qual! Wo ist Ende, wo Erlösung? Leiden der Menschheit in alle Ewigkeit fort! – Wollte er im Wahnsinn der Verzweiflung sich gänzlich vom Gral abwenden, sein Auge vor ihm schließen? Er möchte es, um sterben zu können. Aber – er selbst, er ward zum Hüter des Grals bestellt; und nicht eine blinde äußere Macht bestellte ihn dazu, – nein! Weil er so würdig war, weil keiner, wie er, tief und innig das Wunder des Grales erkannt, wie noch jetzt seine ganze Seele endlich immer wieder nach dem Anblicke drängt, der ihn in Anbetung vernichtet, himmlisches Heil mit ewiger Verdammnis gewährt!

Und so etwas soll ich noch ausführen? Und gar noch Musik dazu machen? – Bedanke mich schönstens! Das kann machen, wer Lust hat; ich werde mir’s bestens vom Halse halten!

Es mag das jemand machen, der es so à la Wolfram ausführt; das tut dann wenig und klingt am Ende doch nach etwas, sogar recht hübsch. Aber ich nehme solche dinge viel zu ernst. Sehen Sie doch, wie leicht sich’s dagegen schon Meister Wolfram gemacht! Dass er von dem eigentlichen Inhalte rein gar nichts verstanden, macht nichts aus. Er hängt Begebnis an Begebnis, Abenteuer an Abenteuer, gibt dem Gralsmotiv kuriose und seltsame Vorgänge und Bilder, tappt herum und lässt dem ernst gewordenen die Frage, was er denn eigentlich wollte? Worauf er antworten muss, ja, das weiß ich eigentlich selbst nicht mehr, wie der Pfaffe sein Christentum, das er ja auch am Messaltar aufspielt, ohne zu wissen, um was es sich dabei handelt. – Es ist nicht anders. Wolfram ist eine durchaus unreife Erscheinung, woran allerdings wohl großenteils sein barbarisches, gänzlich konfuses, zwischen dem alten Christentum und der neueren Staatenwirtschaft schwebendes Zeitalter schuld. In dieser Zeit konnte nichts fertig werden; Tiefe des Dichters geht sogleich in wesenloser Phantasterei unter. Ich stimme fast jetzt Friedrich dem Großen bei, der bei der Überreichung des Wolfram dem Herausgeber antwortete, er solle ihn mit solchem Zeuge verschont lassen! – Wirklich, man muss nur einen solchen Stoff aus den echten Zügen der Sage sich selbst so innig belebt haben, wie ich dies jetzt mit dieser Gralssage tat, und dann einmal schnell übersehen, wie so ein Dichter, wie Wolfram, sich dasselbe darstellte – was ich jetzt mit Durchblätterung Ihres Buches tat – um sogleich von der Unfähigkeit des Dichters schroff abgestoßen zu werden. (Schon mit dem Gottfried von Straßburg ging mir’s in bezug auf „Tristan“ so.) Nehmen Sie nur das eine, dass dieser oberflächliche „Tiefsinnige“ unter allen Deutungen, welche in den Sagen der Gral erhielt, grade die nichtssagendste sich auswählt. Dass dieses Wunder ein kostbarer Stein sein sollte, kommt allerdings in den ersten Quellen, die man verfolgen kann, nämlich in den arabischen der spanischen Mauren, vor. Leider bemerkt man nämlich, dass alle unsre christlichen Sagen einen auswärtigen, heidnischen Ursprung haben. Unsre verwundert zuschauenden Christen erfuhren nämlich, dass die Mauren in der Kaaba zu Mekka (aus der vormohammedanischen Religion stammend) einen wunderbaren Stein (Sonnenstein – oder Meteorstein – allerdings vom Himmel gefallen) verehrten. Die Sagen von seiner Mirakelkraft fassten bald aber die Christen auf ihre Weise auf und brachten das Heiligtum mit dem christlichen Mythus in Berührung, was andererseits dadurch erleichtert ward, dass eine alte Sage in Südfrankreich bestand, dorthin habe sich einst Joseph von Arimathia mit der heiligen Abendmahlsschale geflüchtet, was ganz mit dem Reliquienenthusiasmus der ersten christlichen Zeit stimmt. Nun erst kam Sinn und Verstand hinein, und wirklich bewundere ich mit völligem Entzücken diesen schönen Zug christlicher Mythenbildung, der das tiefsinnigste Symbol erfand, das je noch als Inhalt des sinnlich-geistigen Kernes einer Religion erfunden werden konnte. Wen schauert es nicht von den rührendsten und erhabensten Gefühlen, davon zu hören, dass jene Trinkschale, aus der der Heiland seinen Jüngern den letzten Abschied zutrank und in der endlich das unvertilgbare Blut des Erlösers selbst aufgefangen und aufbewahrt ward, vorhanden sei, und wem es beschieden, dem Reinen, der könne es selbst schauen und anbeten. Wie unvergleichlich! Und dann die doppelte Bedeutung des einen Gefäßes als Kelch auch beim heiligen Abendmahl – , offenbar dem schönsten Sakramente des christlichen Kultus! Daher denn auch die Sage, dass der Gral (Sang Réal) (daraus San[ct] Gral) die fromme Ritterschaft einzig ernähre und zu den Mahlzeiten er Speise und Trank gewähre. – Und dies alles nun so sinnlos unverstanden von unsrem Dichter, der eben nur für den Gegenstand die schlechten französischen Ritterromane seiner Zeit hernahm und ihnen nachschwatzte, wie ein Star! Schließen Sie hieraus auf alles Übrige! Schön sind nur einzelne Schilderungen, in denen überhaupt die mittelalterlichen Dichter stark sind: da herrscht schön empfundene Anschaulichkeit. Aber ihr Ganzes bleibt immer wüst und dumm. Was müsste ich nun mit dem Parzival alles anfangen! Denn mit dem weiß Wolfram nun auch gar nichts: seine Verzweiflung an Gott ist albern und unmotiviert, noch ungenügender seine Bekehrung. Das mit der „Frage“ ist so ganz abgeschmackt und völlig bedeutungslos. Hier müsste ich also rein alles erfinden. Und noch dazu hat’s mit dem Parzival eine Schwierigkeit mehr. Er ist unerlässlich nötig als der ersehnte Erlöser des Anfortas: soll Anfortas aber in das wahre, ihm gebührende Licht gestellt werden, so wird er von so ungeheuer tragischem Interesse, dass es fast mehr als schwer wird, ein zweites Hauptinteresse gegen ihn aufkommen zu lassen, und doch müsste dieses Hauptinteresse sich dem Parzival zuwenden, wenn es nicht als kaltlassender Deus ex machina eben nur schließlich hinzutreten sollte. Somit ist Parzivals Entwicklung, seine erhabenste Läuterung, wenn auch prädestiniert durch sein ganzes sinniges, tief mitleidsvolles Naturell, wieder in den Vordergrund zu stellen. Und dazu kann ich mir keinen breiten Plan wählen, wie er dem Wolfram zu Gebote stand: ich muss alles in drei Hauptsituationen von drastischem Gehalt so zusammendrängen, dass doch der tiefe und verzweigte Inhalt klar und deutlich hervortritt; denn so zu wirken und darzustellen, das ist nun einmal meine Kunst. Und – solch eine Arbeit sollte ich mir noch vornehmen? Gott soll mich bewahren! Heute nehme ich Abschied von diesem unsinnigen Vorhaben; das mag Geibel machen und Liszt mag’s komponieren! – Wenn meine alte Freundin Brünnhilde in den Scheiterhaufen sprengt, stürz‘ ich mich mit hinein und hoffe auf ein seliges Ende! Dabei bleib‘ es! Amen!

Nun, da hätte ich mich einmal schön vergralt! Nehmen Sie’s für eine Vorlesung, zu der Sie nicht nötig hatten, ins Züricher Rathaus zu gehen!

Es ist offensichtlich, dass die Umsetzungspläne noch nicht reif sind. Die unerhörte Tiefe des Stoffes kann nur aus einem innereigenen alchemischen Prozess heraus verstanden und so in Form gebracht werden.

Ein Zeugnis für diesen Prozess ist der Brief vom 1. August 1860 an Mathilde Wesendonck:

Viel ist wieder der „Parzival“ in mir wach gewesen; ich sehe immer mehr und heller darin; wenn alles einmal ganz reif in mir ist, muss die Ausführung dieser Dichtung ein unerhörter Genuss für mich werden. Aber da können noch gute Jahre darüber hingehen! Auch möchte ich’s einmal bei der Dichtung allein bewenden lassen. Ich halte mir’s fern, solange ich kann, und beschäftige mich damit nur, wenn mir’s mit aller Gewalt kommt! Dann lässt mich dieser wunderbare Zeugungsprozess aber mein ganzes Elend vergessen. – Soll ich davon plaudern? Sagte ich Ihnen schon einmal, dass die fabelhaft wilde Gralsbotin ein und dasselbe Wesen mit dem verführerischen Weibe des zweiten Aktes sein soll? Seit dem mir dies aufgegangen, ist mir fast alles an diesem Stoffe klar geworden. Dies wunderbar grauenhafte Geschöpf, welches den Gralsrittern mit unermüdlichem Eifer sklavenhaft dient, die unerhörtesten Aufträge vollzieht, in einem Winkel liegt und nur harrt, bis sie etwas Ungemeines, Mühvolles zu verrichten hat, – verschwindet zu Zeiten ganz, man weiß nicht wie und wohin? –

Dann plötzlich trifft man sie einmal wieder, furchtbar erschöpft, elend, bleich und grauenhaft: aber von neuem unermüdlich, wie eine Hündin dem heiligen Grale dienend, vor dessen Rittern sie eine heimliche Verachtung blicken lässt: ihr Auge scheint immer den rechten zu suchen, – sie täuschte sich schon – fand ihn aber nicht. Aber was sie sucht, das weiß sie eben nicht: es ist nur Instinkt. –

Als Parzival, der Dumme, ins Land kommt, kann sie den Blick nicht von ihm abwenden: wunderbares muss in ihr vorgehen; sie weiß es nicht, aber sie heftet sich an ihn. Ihm graust es – aber auch ihn zieht es an: er versteht nichts. ( Hier heisst’s – Dichter, schaffe!) Nur die Ausführung kann hier sprechen! – Doch lassen Sie sich andeuten, und hören Sie so zu, wie Brünnhilde dem Wotan zuhörte. – Dieses Weib ist in einer unsäglichen Unruhe und Erregung: der alte Knappe hat das früher an ihr bemerkt zu Zeiten, ehe sie kurz darauf verschwand. Diesmal ist ihr Zustand auf das höchste gespannt. Was geht in ihr vor? Hat sie Grauen vor einer abermaligen Flucht, möchte sie ihr enthoben sein? Hofft sie – ganz enden zu können? Was hofft sie von Parzival? Offenbar heftet sie einen unerhörten Anspruch an ihn? – Aber alles ist dunkel und finster: kein Wissen, nur Drang, Dämmern? – In einem Winkel gekauert, wohnt sie der qualvollen Szene des Anfortas bei: sie blickt mit wunderbarem Forschen (sphinxartig) auf Parzival. Der – ist auch dumm, begreift nichts, staunt – schweigt. Er wird hinausgestoßen. Die Gralsbotin sinkt kreischend zusammen; dann ist sie verschwunden. (Sie muss wieder wandern.)

Nun raten Sie, wer das wunderbar zauberische Weib ist, die Parzival in dem seltsamen Schlosse findet, wohin sein ritterlicher Mut ihn führt? Raten Sie, was da vorgeht und wie da alles wird. Heute sage ich Ihnen nicht mehr!

Es vergehen dann wiederum 6 Jahre – König Ludwig II. ist inzwischen als Schirmherr in sein Leben getreten –, bis die Gralslegende um Parzival und König Amfortas erneut nach Ausdruck verlangt. König Ludwig II. äußert ein brennendes Verlangen nach der Geschichte um Parzival. Er schreibt am 21. August 1865 in einem Brief vom Hochkopf, einem seiner zwölf Refugien, an Wagner:

Lieber, Einziger erfüllen Sie mir eine Bitte! – Ich beschwöre Sie darum. – Teilen Sie mir einiges von Ihren Plänen über „die Sieger“ mit und „Parcival“! – Ich schmachte darnach! – Löschen Sie den brennenden Durst! Ach, wie nichtig ist die Welt! – Wie elend, wie gemein so viele Menschen! Ihr Leben dreht sich im engen Kreise der flachen Alltäglichkeit. – Ach, hätte ich die Welt hinter mir!

Schon am nächsten Tag, dem 27. August, begann Wagner mit dem Prosa-Entwurf, den er in nur vier Tagen vollendete (siehe Parsifal > Inhaltsbeschreibung). Von diesem fertigte er am 31. August noch eine Abschrift an, die in zahlreichen Details Abweichungen enthält, und sandte sie dem König nach Hohenschwangau. Dieser bedankte sich am 5. September überschwänglich:

Endlich finde ich einen freien Augenblick, endlich komme ich dazu, dem Geliebten für den übersandten Entwurf zum „Parcival“ aus tiefster Seele zu danken; die Flammen der Begeisterung erfassen mich; mit jedem Tage wird sie glühender, meine Liebe zu dem, den ich einzig liebe auf dieser Welt, der meine höchste Freude, mein Trost, meine Zuversicht, mein Alles ist! – O Parcival, wann wirst du geboren werden!? – Ich bete Sie an, diese höchste Liebe, das Versenken, das Aufgehen in den qualvollen Leiden des Mitmenschen! – Wie hat mich dieser Stoff ergriffen! – Ja diese Kunst ist heilig, ist reinste, erhabenste Religion. – Wie sehne ich mich nach Ihnen; selig kann ich nur bei Ihnen sein!

Geliebter, wir wollen Uns treu stets zur Seite stehen; das Ideal, welches Uns begeistert, wird die Welt dereinst bekehren; – o wie liebe ich Sie, mein angebeteter, heiliger Freund!

Und am 13. 9. 1865 fügt er hinzu:

Das Bild meines Einzigen umschwebte mich, trat mir immer näher vor das geistige Auge (ein Bild, das meine Augen zu schaun sich kaum getrauten); sogar im Rauschen des Gebirgsbaches erkannte und hörte ich die Töne und Melodien aus den Werken des heiligen Freundes – stets musste ich an „Parcival“ denken; ach, sind die Menschen würdig, dereinst jene Wonnen sich über sie ergießen zu sehen!? – Ich glühe darnach; Tristan ward ja geboren, die Nibelungen werden ins Leben treten, Parcival muss es, muss es auch und kostete es mein Leben! –

Der Prosaentwurf zeigt, dass die Geschichte in Wagner schon bis ins Detail ausgereift war. Und in dem jungen König ward ihm eine Seele an die Seite gegeben, wie es nicht glücklicher kommen konnte.

Die nächsten Jahre waren jedoch vorerst bestimmt von der Ausführung des „Ring des Nibelungen“.

Am 10. Januar 1877 kommt Dr. Strecker, als Vertreter der Verlagsfirma Schott, zu Wagner nach Bayreuth, um sich nach dem Parzival zu erkundigen. Cosima entringen sich daraufhin die Worte:

Ach! Parzival, wann erglänzt dein Stern?

Und als Wagner zwei Wochen später verkündete:

Ich beginne den Parzival und lass nicht eher von ihm, als er fertig ist.

… musste sie vor Freude laut lachen.

Also begann Wagner am 25. Januar 1877 mit der Überarbeitung seines ersten Entwurfes, jetzt schon in dialogisierende Prosa.

In diese Zeit fällt auch die Namensgebung des Titelhelden.



Am 23. Februar beginnt er mit der Dichtung des 1. Aufzuges und beendet diese am 29. März 1877. Am 2. April – zu Liszt’s Namenstag – erfolgte in „Wahnfried“ eine Vorlesung davon.

Weiter fortlaufend beendet er die Dichtung des zweiten Aufzuges am 13. April und den 3. Aufzug in Rekordzeit von nur 6 Tagen am 19. April 1877.

Um das Festspiel-Defizit von der Ring-Aufführung 1876 zu decken entschloss sich Wagner im Mai eine Konzertreise nach London zu unternehmen, wo er ein Angebot, acht Konzerte zu dirigieren, angenommen hatte. Dort las er im Hause von Eduard Dannreuther einem größeren Freundeskreis die gesamte Dichtung vor.

Anschließend fuhr er bis zum 5. Juli zu einer Kur nach Bad Ems und begab sich dann nach Heidelberg, wo am 8. Juli erneut eine Vorlesung im intimsten Kreis stattfand. Auf die Anwesenden übte das Werk, von seinem Schöpfer mit tiefstem Empfinden vorgetragen, eine unbeschreibliche Wirkung aus.

Anfang August 1877, am 2., begann Wagner mit der musikalischen Skizzierung der Komposition. Dabei waren wichtige Hauptthemen, wie der Liebesmahlspruch, das Glaubensthema und einige andere des Vorspiels, schon in den Skizzen aufgezeichnet. Cosima notiert in ihrem Tagebuch:

Er hat aber sein Atelier zum Parsifal eingerichtet, und heute hörte ich einige erste Töne.

Am 11. August dann der Eintrag:

endlich die Mitteilung von: „Nehmt hin mein Blut“ – – – R. Sagt mir, er habe es aufgeschrieben noch kurz vor meiner Rückkehr, mit Hut und Stock an, wie er mich eben abholen wollte. Nun habe er den Text dazu umzumodeln gehabt; diese Abendmahls-Szene würde die Hauptszene sein, der Kern des Ganzen; bei dem Meistersinger-Preislied habe er auch die Melodie zuerst gehabt, und er habe den Text darauf umgeformt. Gestern sagte er schon, man müsse sich hüten, einer Melodie zuliebe den Text verlängern zu müssen – heute nun ist die Hauptstelle „Nehmet hin mein Blut um unsrer Liebe willen, nehmet hin meinen Leib und gedenket mein‘ ewiglich“ gänzlich da, in ihrer Milde, in ihrem Schmerz, in ihrer Einfalt und Hoheit. „Die Schmerzen Amfortas‘ sind darin enthalten“, sagt mir R. – – Mich überwältigt der Eindruck, und ich bin unfähig zu irgendeiner Beschäftigung.

Am 16. August 1877 gelangte im großen Wahnfried-Saale die Parsifal-Dichtung zum ersten und letzten Male vor einer größeren Zuhörerzahl aus dem Manuskript zum Vortrag. Über diese weihevolle Stunde schrieb der mit anwesende Wilhelm Tappert:

Andächtig lauschend saßen wir nachmittags in „Wahnfried“. Es war eine unvergessliche Stunde, und sonderlich ein Moment hat sich meiner Erinnerung eingeprägt: Als der Meister bis zum dritten Akte gelangt war, und gerade dort, wo der Sarg mit Titurels Leiche von den Rittern in den Saal getragen wird, neigte sich die Sonne zum Untergange; sie verschwand hinter den Bäumen des Hofgartens, zitternd glitten ihre letzten Strahlen über den Boden, wie grüßende Geister huschten sie herein und verklärten die Szene; um das energische Haupt des Meisters aber bildeten die Lichtwellen einen Glorienschein …

Am 26. September abends konnte er dann seiner überraschten Gemahlin die feierlich erhabenen, ernsten Klänge des Vorspiels aus der ersten Bleistiftniederschrift der Orchesterskizze in seiner unnachahmlichen Weise zu Gehör bringen.

Einige Tage später, am 4. Oktober, kam Dr. Strecker, der Hauptinhaber des Verlages Schott nach Bayreuth, um mit Wagner über die Herausgabe der Parsifal-Dichtung zu verhandeln. Wagner hatte bei dem Verlagshaus noch Schulden aus früherer Zeit in einer Größenordnung von ca. 15.000 Mark, und war somit in der Bringschuld. Auch das „Siegfried-Idyll“ – ein Geschenk Wagners an seine Frau zur Geburt seines Sohnes Siegfried – sollte auf dieselbe Art verwertet werden. Cosima war tief bestürzt, dieses intimste Geschenk vor einer fremden und lieblosen Öffentlichkeit entweiht zu sehen. Doch nichts half, Strecker bestand darauf. Wagner musste i. A. seiner Frau die zweite Strophe noch umschreiben, damit dieser „Raub“ auch der Öffentlichkeit bezeugt wurde.

Die Dichtung wurde schließlich im Dezember gedruckt, sodass er sie vor Weihnachten noch binden lassen konnte und während der Festtage an seine Freunde verschicken konnte. Franz Liszt erhielt sein Exemplar am 27. Dezember und telegraphierte daraufhin:

Dank verstummt, aber Herz und Seele bleiben eigenst Dein.

Die Arbeit an der Komposition ging im Herbst kontinuierlich voran, obwohl ihn mehrere Wochen ein Fußleiden quälte. Zu Cosima, die ihm zuweilen beim Überziehen der Seiten half, sagte er einmal:

Wenn du das nächste Blatt bekommen wirst, wirst du sehen, dass ich viele Not damit gehabt; ich wollte einen 3 Takt etwas gedehnt haben für Amfortas‘ Zug, und nun die Rede Gurnemanz‘ da hinein passen machen. Kein künstlicher Einfall kann einem da helfen, denn es muss klingen, als ob es so sein müsste. Jetzt aber habe ich es gefunden.

Am 25. Oktober 1877 notiert Cosima:

er arbeitet, sagt mir am Schluß, er benütze jede Gelegenheit, ein kleines Paradies musikalisch zu gewinnen, so z. B. Amfortas‘ Weg zum See.

und am 27. Oktober:

Um die Mittagszeit spielt er mir, was er bis jetzt „mit Tinte“ verarbeitet habe, ungeahnte Strömungen des Erhabenen fließen über die Seele und erweichen alles Weh und alles Leid! – Abends nimmt er den 1. Akt vom Holländer mit Herrn Seidl vor; vom Holländer zum Parsifal, wie groß der Weg und doch wie gleich das Wesen!

Im November entsteht die längere Erzählung Gurnemanz‘ des 1. Aktes und am 25. November hat er die Idee des ersten Auftrittes von Parsifal. Cosima dokumentiert:

Er arbeitet und sagt mir zu Mittag, er habe einen Einfall gehabt, der würde mich freuen, im Augenblick, wo die Knappen den Spruch wiederholen, „der reine Tor“, bei dem Worte „Tor“ kommt der Pfeil und Parsifal, so dass der Spruch nicht vollendet wird.

Am 30. November „erlegt er den Schwan“ und am 16. Dezember 1877 „habe er Kundry endlich hinter das Gebüsch gebracht“. Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember komponierte er „den philosophischen Satz ‚zum Raum wird hier die Zeit'“ und zum Jahresausklang 1877 beschäftigt er sich mit dem Einmarsch der Gralsritter. Das hat sein offizieller Biograph Glasenapp in wunderbaren Worten erhalten:

Inzwischen hatte er sich in den Stunden seiner Arbeit in die erhabenen Klänge der Verwandlungsmusik eingesponnen, mit ihren herzzerreißenden, erschütternden Wehelauten und Schmerzensrufen des reuigen, tief zerknirschten königlichen Sünders, mit der Wucht ihrer dramatischen Akzente und dem majestätischen Posaunenklang des erlösenden Liebesmahlsspruches am Schlusse, in ihrem ganzen marschartigen Verlauf aufgebaut auf jenes gewaltige, elementare Glockenthema als treibenden Rhythmus des Ganzen, – eine der ergreifendsten, unvergleichlichsten Inspirationen seines Geistes und der gesamten vielgestaltigen Kunst aller Zeiten. Nur im leichten übermütig, ironischen Ton des Humors, wie dies seine Art war, fern von jedem Pathos, welches er sich für die seltensten Anlässe aufsparte, äußerte er sich darüber: das sei der rechte „Bademarsch“, und er ginge nächstes Jahr nach Ems oder Marienbad, um ihn zu hören. Er habe, sagte er, vorher noch Liszt’s „Glocken von Straßburg“ aufgeschlagen, um zu sehen, ob er kein „Plagiat“ begehe.

Am 2. Januar 1878 schreibt seine Frau:

Am Schluss des Tages spielt er und singt mir: „der sündigen Welt“ – so überwältigend ist das, so unvergleichlich schön, o wer kann es ermessen! …

und drei Tage später, am 5. Januar:

Er arbeitet, und gegen Mittag ruft er mich, um mir den Schluss des Einzuges zu spielen und den wunderbar melancholischen Ruf von Titurel! „Den Badeorchestern habe ich es verdorben“, sagt er lachend, „mein Einzug endigt ohne Pein.“

Der 18. Januar bringt folgendes:

Abends sagt Richard: „Ich habe Amfortas das Maul gestopft“ – wie die Freunde fort sind, spielt er mir den wunderbaren Eintritt der Weissagung auf den letzten Worten Amfortas‘.

Und am 22. Januar:

Um die Mittagszeit ruft mich R.: Er habe mir etwas zu zeigen; er spielt und singt mir die göttliche Szene der Grals-Enthüllung! So mild, so erhaben wie das Heil! Wie eine uralte Sage, von Engeln erzählt, erklingen die Worte: „Wein und Brot des letzten Mahles“ … „Aber den Alten lass ich nicht mehr kommen“, sagt R. „er würde mich zu sehr an den alten Gondolier in Venedig erinnern, welcher immer durch den Gesang der andren hineinfuhr.“

Zukunftsweisend meint er am 25. Januar:

Ich werde nun bald meine Monsieurs mit dem Radetzky-Marsch ablatschen lassen.

Am 29. Januar sind die Bleistiftskizzen zum ersten Aufzug beendet und am 31. ist alles mit Tinte überzogen.

Anfang Februar beginnt Wagner mit der Kompositionsskizze des 2. Aufzuges, am 19. Februar ist er bei der „Höllenrose“ und am 28. ist die „Teufelsbraut“ komponiert. Zwischen durch finden in Wahnfried immer wieder kleinere musikalische Intermezzos statt. So spielt er z. B. am 22. Januar mit Freund Seidl Teile aus „Parsifal“. Cosima hält darüber fest:

Richard singt, und wir erleben dabei die herrlichsten, geweihtesten Stunden, wie keine öffentliche Aufführung sie uns je bringen könnte.

Und am 28. Februar:

Abends „Parsifal“, Amfortas‘ Klage und die Gesänge in der Gralsburg; wie der Gral selbst leuchtet R.’s Antlitz beim Singen, und wunderbar erhebend dringen die Klänge in mein Herz.

Im März arbeitet er weiter an der Szene des 2. Aufzuges mit Klingsor und Kundry. Am 10. März bemerkt er:

er habe Klingsor heruntergeworfen.

Und am 15. sagt er,

es bange ihm vor der großen Szene zwischen Kundry und Parsifal.

Am 17. März kommt er bis an:

Verfluchtes Weib, was frägst du dies? (Klingsor)

Als er und Cosima am 21. März über die Erscheinung von Parsifal im Garten sprechen, sagt R.:

Ja die Musik! Was könnte die ersetzen? Wie er da oben erscheint und sein Motiv erklingt. Im gesprochenen Drama wäre diese Pause unmöglich; die redende Pause, das ist das Eigentum der Musik.

Nach Beendigung der Szene sind die Blumenmädchen an der Reihe. Dazu sagt er am 22. März:

Ich hatte mich gefreut auf meine Blumenmädchen, und nun ist das auch so schwer. Wie sie wohl zuerst kostümiert werden sollten, frägt er mich, wie mit Blumenfasern, und dann schmücken sie sich mit Blumenblättern.

Am 23. März notiert Cosima eins der vielen musikalischen Ereignisse:

Am Nachmittag aber nimmt er den 2. Akt von „Parsifal“ mit Freund S. Vor – o Gott, was kann einen da kümmern, Sonnenlosigkeit, Not und Nöte, wie ist alles gleichgültig und gering! – Meine Erschütterung kann ich ihm kaum in einer Umarmung ausdrücken, wie euch in Worten, meine Kinder! Die ganze Welt der Sünde rast und klagt, seufzt und lacht in diesen Tönen, wie schwach die Wehr der Kundry, „ich will nicht“ zuerst, wie schwach selbst ihr Sichaufbäumen, wie übermächtig ihr Lachen des Begehrens! Und Parsifal’s Erscheinung, kindlich heroisch siegreich, glänzend rein und stark wie Stahl, über das Andrängen! „Den konnten sie nicht fangen, nicht wie Siegfried“, sagt R., „die Fliege war zu groß.“

Ende März ist Wagner dabei, die Musik für die Szene mit den Blumenmädchen zu komponieren.

R. geht zu seinen „Gassenmädchen“, „sie plagen mich recht“, sagt er, doch freute er sich gestern, dass er über die Hälfte seines Werkes geschaffen.

Zu Mittag kommt R. Mich abholen mit den Worten: „Nenn‘ ich Euch schön, dünkt Euch das recht“, – er ist soeben da angelangt.

Am 31. März hat er schon vorausschauend den Auftritt von Kundry in Töne gesetzt:

R. holt mich zu Mittag und sagt: „Weißt du, wie Kundry Parsifal ruft“, er singt mir die so eindringlich zärtliche Benamung: „Zum ersten Male wird sein Name ausgesprochen, und so hat seine Mutter ihn gerufen! Das kann nur die Musik“, – ‚und nur seine Musik‘, füge ich hinzu.

Am 5. April, wiederum …

um die Mittagszeit ruft er mich, um mir aus den Skizzen „Komm, holder Knabe“, das lieblichste Bild zu spielen. Gestern sagte er: „Im ersten Akt bin ich sehr sparsam mit sensitiven Intervallen gewesen, jetzt aber greife ich zu meinem alten Farbentopf.“

Als ihn Cosima am 9. April fragt, wie es ihm gehe, sagt er:

O sehr gut, ich weiß nun ganz genau, dass ich den „Parsifal“ nicht komponiere, davor bewahre mich Gott. Nein! Diese Szene zwischen Kundry und Parsifal! Ich sah mir seinen Schrei an, da ist der Fluch von Tristan ja reiner Spaß.

Am 28. April ist die Blumenmädchen-Szene vollendet.

Ende Mai spielt er sie vor:

die himmlische Szene der Blumenmädchen, in welcher R. Den Frühling und seine Sehnsucht, sein süßes Klagen für ewig gebannt hat; und der Ruf Kundry’s darin wie die menschliche Seele, plötzlich mit ihrem Leiden und Lieben ertönend inmitten der Unschuld der Natur.

Am 1. Juni 1878 notiert Cosima:

Er arbeitet, wie er sagt, sieben bis acht Takte; „was ich mir da eingebrockt habe“, ruft er öfters aus, „es geht über Tristan hinaus, obgleich ich im dritten Akt schon genügendes vom Leiden der Liebe gegeben habe“.

und am 4.:

R. lässt mich rufen, „es geht los“. Die Szene zwischen Parsifal und Kundry bis zum Aufschrei des ersteren: Amfortas! Unsäglich ergreifend: „ein Augenblick dämonischen Versenkens“, wie R. Die Takte bezeichnet, welche den Kuss Kundry’s begleiten, und worin das tödliche, wie Gift sich schlängelnde Motiv der Liebessehnsucht vernichtend wirkt. Dies, die zärtlich schmerzlichen Klänge der Herzeleide, die hoheitsvolle Weise durch welche Kundry die Befreiung von dem Druck der Reue verkündet, dies alles, so mannigfaltig gegliedert, so entzückend und schmerzlich, bildet ein Ganzes von unergründlicher Schönheit und Erhabenheit. O der Herrliche!

Am 12. Juni kommt er bis:

„Qual der Liebe“

und der 3. September bringt:

„bist du Erlöser, was bannt dich, Böser“.

Fast ist der zweite Akt in der Komposition vollendet. Am 7. September schreibt er:

„Und ob mich Gott und Welt verstößt, in dir entsündigt sein und erlöst“.

Am 9. September notiert Cosima:

Nach Tisch, indem wir uns in das Gartenhaus begeben, geht R. an das Klavier und spielt ein Thema, welches ich als „in Ewigkeit wärst du verdammt mit mir“ erraten zu dürfen glaube, „darüber bin ich hinweg“, sagt R., „aber das Motiv ist auch darin verwendet, es ist: die Labung, die dein Leiden endet, usw.“, darauf kommt „ein andres“, dann nehme ich die Westentasche zu Hülfe“, er zeigt mir darin das kleine Papier, auf welches er gestern das Thema aufgeschrieben. Dann klagt er über diese Aufgabe, das Duett in der Walküre sei reine Freude dagegen gewesen, und in Tristan sei wenigstens auch die Wonne des Leidens der Sehnsucht, aber hier nur wildes Leiden der Liebe.

Und am 30. September:

die Stelle „Erlösung biete ich auch dir“ habe er gesucht, bis er das Klavier geschlossen und sich gesagt, er müsse auf die Inspiration warten, „denn der Kerl darf nicht wie ein Prediger sprechen, alles muss in ihm auch Leidenschaft sein“.

Am 9. Oktober ist er an Kundry’s Stelle:

Lachte, lachte …

… und einen Tag darauf „Kundry’s Fluch“.

Am Abend des 10. (13.) Oktober ist die Komposition des 2. Aktes vollendet!

Immer wieder quält Wagner die Vorstellung, dies alles in Szene setzen zu müssen. Etwas, dass er so tief aus sich heraus offenbart, wird nahezu für jeden unverständlich sein und jeder wird es nach seinen Vorstellungen umdeuten.

Abends spricht er entschieden aus, er möchte „Parsifal“ nicht aufführen, er möchte den Vereins-Mitgliedern das Geld zurückzahlen und nichts mit Sängern und Orchester, nichts mit der Münchner Theater-Intendanz zu tun haben.

Er beschäftigt sich jetzt, Mitte Oktober, mit dem Vorspiel zum dritten Akt.

er wisse nun auch genau, wie es stünde, und dass er nichts einzeln bringen dürfe, sondern dass alles im Zusammenhang sein müsse, also sein Vorspiel zum 3ten Akt das Thema von Titurel’s Bestattung bringen werde, wie er im Vorspiel zum 1ten Akt den Gesang der Grals-Ritter hatte. So eine große „unanhängige (unabhängige ?) Geschichte“, Parsifal’s Irrfahrt, das ging nicht.

Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise von Richard Wagner offenbart sich in folgenden Zeilen aus Cosimas Tagebuch:

Beim Kaffee, wie ich irgend etwas sage, ruft er aus: „So ist es, es muss um einen halben Takt verrückt werden, einen halben Takt Verschiebung.“ Jeden Augenblick notiere er etwas, einen musikalischen oder anderen Gedanken, wenn er aber ein „carnet“ bei sich führen würde, mit dem Gedanken, heute musst du etwas aufschreiben, fiele ihm gewiss nichts ein. Heute habe er wiederum ein musikalisches Thema gehabt, womit er nichts anfangen konnte; seine Stube sei voll von solchen Schnipseln.

Am 24. Oktober 1878 spricht er …

von den traurigen Klängen, welche er jetzt zu komponieren habe; es dürfe nicht ein Lichtstrahl darin fallen, denn der könnte sehr irreführen. Die traurige Wanderung Parsifal’s, welche zu dem Zustand auf Montsalvat geleiten muss.

Einige Tage später bittet er Cosima zu sich in die Arbeitsstube, damit sie ihm rate:

Er spielt mir das Vorspiel (3. Akt)! Und zeigt mir die vielen Blätter, die er dafür entworfen, worunter auch der Gesang für Titurel’s Bestattung. „So zu phantasieren, Einfälle zu haben, das ist nicht schwer, meine Schwierigkeit ist immer die Beschränkung.“ Hier ist ihm auch wunderbar gelungen, auf einer ganz elementaren trüben Stimmung die Themen sich abheben zu lassen, und man ganz heimisch sich fühlt. R., wie er meine Ergriffenheit bemerkt, sagt: „Also ist es gut, das freut mich.“

Als er es ihr am 31. Oktober nochmals vorspielt …

es ist sehr verändert, noch lichtloser! Wie die Klage eines erloschenen Sternes (Fussnote: d.h., nicht die Klage, sondern der Ton des Erloschenseins, auf welchem Grund sich dann das Klagen abhebt.) klingt der Beginn, worauf wie Gebärden nur man das mühevolle Wandern und das Erlösungs-Flehen der Kundry erschaut. Es ist, als ob dies gar nicht gesungen werden könnte und nur „das Elementarische“ hier wirke, wie R. Dies auch betont:

„Meine Vorspiele müssen alle elementarisch sein, nicht dramatisch wie die Leonoren-Ouvertüre, denn dann ist das Drama überflüssig.“

Am 17. November komponierte er „Kar-Freitag“ und am 22. November äußert er zu Cosima:

sie könne sich den Zustand nicht vorstellen, in welchem er bei der Arbeit sei, da mache er sich gern zu tun mit einer Schleife, einer Gardine, einer Decke, unmöglich für ihn, da Bücher um sich zu haben.

Und am 29. November 1878:

Ein paar Takte sind es manchmal, die einen furchtbar aufhalten, bis die Tonart, die man braucht, eingeführt ist, so dass sie nichts Auffallendes hat, denn immer mehr scheue ich mich vor allem, was als Seltsamkeit und Grelles wirkt; nun stellen sich gleich vier bis fünf Möglichkeiten vor, bis ich sie gefunden habe, welche sanft überleitet. Da richte ich eine Falle, gebe mich mit Dummheiten ab, bis es gefunden.

Der Dezember geht hin in der gewohnten Art, und am 25. – zu Cosimas Geburtstag – findet etwas Außergewöhnliches statt, das hier erwähnt werden soll.

O dass man nur Worte, Worte hat! Diese armselige Sprache für solche Freuden, für solche Wonnen! Mir widerstrebt es, davon zu schreiben, nicht einem Menschen möchte ich das Ereignis von heute sagen … Die Feder entfiel aus meinen Händen, ich nehme sie wieder auf (am 27.), um meinen Kindern zu erhalten, was vielleicht nicht genau genug in ihr Gedächtnis sich einprägte. In der Früh höre ich einiges rauschen und denke, es ist Vorbereitung für den Abend, weil R. mir eine Gesellschaft eingeladen und sie gestern abend die Bescherung hatten bei Seite tragen müssen; darauf hüpfte Siegfried zu mir herein, und ganz leise: Mama, Papa lässt dir sagen, dass der Räuber etwas aus Parsifal vorspielt, und – das Vorspiel beginnt, es beginnt wirklich und vollendet sich meinem wonnetrunkenen Herzen! –

Und R. tritt dann an das Bett zu mir und will nicht, dass ich weine und vergehe, und scherzt und ist heiter, kleidet sich aus, legt sich in das Bett, frühstückt noch einmal mit mir (er hat in der Frühe um 7 Uhr schon mit Lusch gefrühstückt) und erzählt und erzählt. Die Meininger Kapelle sei da, es gäbe heute abend Hauskonzert, Fugen-Ouvertüre, F-Dur Symphonie, gestern sei zwei Mal, Vor- und Nachmittag, Probe gewesen, alles, der Traum mit dem Räuber, Jäger’s Fall, der Serapions-Bund sei erlogen gewesen, die Proben aber hätten ihn kuriert, das habe ihm Spass gemacht! Er sei ganz matt in die erste gegangen nach der schlechten Nacht, und mit der Fugen-Ouvertüre sei alles vorbei gewesen. Nur sehr langsam sei er heim geschlichen (er habe keinen Wagen bestellen wollen, um meine Aufmerksamkeit durch das Rollen nicht zu wecken), und wie Brange ihn im Pelz gesehen, ganz eingemummelt, habe sie ihn beinahe zerrissen, ihm den Pelz abmachen wollen, als ob sie gedacht hätte, es sei ihm etwas geschehen. Was kann ich dagegen sagen, ich halte den Stab, mit welchem er soeben lenkte, und den Fächer, den er mir auch mit herrlichen andren Sachen gab, und weiß nicht, soll ich aufjauchzen, soll ich vergehen. Nur der Tod wäre meinen Empfindungen entsprechend, das Leben erträgt sie kaum, und so verbleibe ich still, still, still und vernehme wie aus Himmelsregionen Dinge, die kein menschliches Wesen, Du selbst nicht, mein Siegfried, von mir hören darfst …

… und am Abend ertönt das Vorspiel noch einmal …

Bei der abendlichen Aufführung des Vorspieles aber ist es nicht wie in der Frühe, wo ich nur Gebet und Verzückung war, da höre ich den Ruf des Heilandes zur Erlösung an eine nicht hörende Welt, den Ruf, so traurig schmerzvoll inbrünstig, ich sehe das Antlitz und sehe den Blick, der auf Kundry fiel – ich erkenne die Wüste, in welcher dieser Ruf erschallt, und bin selig bei diesem furchtbaren Sehen! Er steht da, er ruft diese Wunder hervor, und er liebt mich. Er liebt mich! – –

Das Jahr 1879 wird das grandiose Werk in der Komposition zum krönenden Abschluss führen. Am 2. Januar ist er an folgende Stelle gelangt:

bewirkte das der heilige Tag …

und am 14. die Worte von Gurnemanz:

er starb, ein Mensch wie alle.

Einen Tag darauf habe er Parsifal bis zur Ohnmacht gebracht …

da bin ich froh, wenn ich die Leute so untergebracht habe.

Am 16. Januar komponiert er die Stelle, wo Kundry Parsifal wieder wachruft und er ihr den Heiratsantrag macht und am 17.:

„Cosi – ich will dir etwas spielen.“ Ich fliege in seine Stube, er singt mir Gurnemanz‘ Worte: „Nicht so“, und das übrige bis zu: „so weiche jeder Schuld Bekümmernis von dir“.

Am 21. Januar sind es noch neun Seiten zu komponieren. Am 26. hält Cosima fest:

Aber ich kann doch, wie R. mir das spielt, von da, wo Kundry Wasser holt, bis zu den Worten Parsifal’s, „dass heute noch als König er mich grüße“, die heiligen Töne in meinem Herzen aufnehmen.

Am 29. Januar entwirft Wagner die Taufe von Kundry und am 3. Februar

spielt er mir die Salbung Parsifal’s durch Titurel mit dem wunderbaren Kanon und die Taufe von Kundry mit dem Vernichtungsklang der Pauke („das Schönste, was ich je gemacht habe“); „Vernichtung des ganzen Wesens, jedes irdischen Wunsches“, sagt R.

Am 16. März … spielt er mir, wie Titurel hergetragen wird … und nimmt sich jedoch vor, den Parsifal nur an einem schönen Frühjahrstag zu vollenden.

Am 25. April 1879 … begrüßt mich R. mit der Nachricht, der Parsifal sei vollendet! … und als nach Tisch R. mir Amfortas‘ letzte Klage, Parsifal’s Worte singt und am Schluss spielt, da empfinde ich es wieder, dass der Schmerz, die Trauer, den Boden der Seele nur empfänglicher für die Musik machen – in vollen Zügen atme ich den Segen ein, und auf die Tränen des Mitleides, die ich am Morgen geweint, folgen sanft wie verklärte Schwestern die Tränen des Entzückens! Sei gesegnet, Himmel!

Einen kleinen Einblick in seine kompositorische Arbeit gibt Wagner zwei Tage später:

Parsifal wird vorgenommen, vom 2ten Einzug in die Burg bis zum Schluss; R. sagte schon gestern und früher, dass die Instrumentation eine ganz verschiedenartige werden würde wie die des Ring, keine solchen Figurationen; wie Wolkenschichten, die sich teilen und wieder bilden, würde es sein. Die Naivität aber, welche in dem Waldweben die Sentimentalität entfernt habe, entferne sie auch vom Parsifal, dort Naivität der Natur, hier der Heiligkeit, welche von den Schlacken der Sentimentalität rein sei. Er spielt uns gewisse Intervalle und sagt: „Das ist in Parsifal rein unmöglich.“ „Und damit Sie sehen, was ich für ein närrischer Kerl bin“, sagt er zu Wolzogen, „will ich Ihnen zeigen, was ich im ersten Akt ändern will.“ Er sucht den Akkord im ersten Akt, findet ihn nicht: „Richtig, das ist im Vorspiel; wie ich es gehört habe, habe ich mir gesagt: Alles schön und gut, aber dieser Akkord bleibt nicht“, – er ist ihm schon zu sentimental. Besprechung der letzten stummen Szene, R. sagt: Er würde etwas von der Musik streichen, wenn es oben nicht ausreichte, er sei aber froh gewesen, zu zeigen, dass er nicht ermüdet wäre. Von Amfortas, seiner Weichheit, seinem Fertigsein; und nur der eine furchtbare Moment, wo er sie zwingen will, ihn zu töten. Vielleicht das Wunderbarste des Werkes die göttliche, mit den Evangelien vergleichbare Einfachheit – „der reine Tor“, er beherrscht alles! … R. sagte selbst: „Alles ist direkt!“ …

Nach der Vollendung der Komposition beginnt Richard Wagner am 23. August 1879 mit der Instrumentation, die ihm zunächst sehr langsam von der Hand geht.

Er ringt auch noch nach der endgültigen musikalischen Fassung des Endes von Parsifal:

Am 9. September 1879 findet R. den Schluss von Parsifal und spielt ihn mir, wie er ihn endgültig festsetzt. Er sagt mir, dass er wohl 30 bis 40 Mal sich das Ganze im Kopfe vorgehalten habe, bis er es so angeordnet.

Durch einen 10monatigen Aufenthalt in Süditalien verzögert sich die Fertigstellung der Partitur, obwohl er im Vorfeld, bei der Linierung der Partitur, die Anordnung der Instrumente schon in perfektester Weise berücksichtigt hatte.

Am 25. April 1881 war der erste Akt in Partitur vollendet. Am 12. Geburtstag seines Sohnes Siegfried, am 6. Juni, begann Wagner mit der Instrumentation des zweiten Aktes. Eine Kissinger Kur, die er durchführen musste, unterbrach die Arbeit einen Monat lang bis Ende Juli. Parallel dazu wurde auch die Aufführung schon vorbereitet, was da heißt: alle Mitwirkenden anzuschreiben und zu koordinieren, Probenpläne auszuschreiben usw. Ab August begann er wieder emsig mit der Arbeit an seiner Partitur. Den zweiten Akt konnte er am 19. Oktober beenden.

Da sich bei Wagner zeitweise heftige Brustbeklemmungen einstellten und er von „Unterleibsteufeleien“ gequält wurde, beschloss er, ab November nach Palermo überzusiedeln, in ein Klima, welches ihm in der kalten heimischen Jahreszeit wesentlich besser bekam. Und so ging er einige Tage nach der Ankunft an die Ausführung des dritten Aktes.

Sein Biograph Glasenapp gibt hier einige Einblicke:

Er sprach beim Fortschreiten der Arbeit wiederholt davon, wie ungern er grelle Effekte habe, wie er immer zu vermitteln suche, um sie verständlich zu machen, sie nicht als Schroffheiten wirken zu lassen. So zeigte er die Stelle „kalt und starr“ und freute sich, sie mit gedämpften Hörnern begleitet zu haben.

Rubinstein, sein Mitarbeiter in der „Nibelungenkanzlei“, hatte sich gleich bei der Ankunft Wagners in der Villa eingefunden, um parallel den Klavierauszug zu erstellen. Die Beiden waren in ständigem Austausch, so erklärte ihm Wagner :

Für Parsifals Eintritt habe ich Hörner und Trompeten; Hörner allein war mir zu weich, zu wenig feierlich; Trompete allein zu blechig, klapprig – da muss man finden; und dann fordere ich, dass sie es gut spielen. Ja, über den „Parsifal“ würden alle sich wundern, und so insbesondere auch über die Stelle des Gebetes, der Anbetung der Lanze. Da zeige es sich: unmöglich, das, was hier vorgeht, in Worten zu geben; da wären Begriffe, und damit alles aus.

Richard Wagner war bemüht, jeden Tag eine Partiturseite fertig zu stellen, manchmal brachte er es auch auf eine und eine halbe Seite und er betonte:

Man könne es nicht glauben, wie groß die Absorption durch seine Arbeit sei, wie sehr sie ihn beständig präokkupierte, wie so eine Oboe ihm durch den Kopf ginge, und insofern nehme er es an, wenn man vom ihm sage, dass er immer geduldiger würde.

Eines Tages entdeckte er gar, dass er voriges Jahr in Siena falsch liniert habe:

es ist doch schrecklich, wenn man Pedanterie und Genialität in einem Beutel bekommen hat, – eine wahre Qual! … denn nun hieß es ausradieren und weiterschaffen zugleich, und er musste infolgedessen auch nachmittags bis halb acht arbeiten. Selbst dann kam das Abendessen noch zu früh.

Glasenapp berichtet weiter über die letzten Arbeiten am 3. Akt:

Viel Sorge machte ihm im voraus die Instrumentation des Schlusses seines großen Werkes: er müsste dazu viel mehr Instrumente haben, als das Orchester zur Zeit tatsächlich besitze. Er wollte zuerst den Bläsern alles geben und dann die Saiteninstrumente eintreten lassen. Aber er brauche für die Bläser drei verschiedene Körper und habe nur einen. Wie er sich eine Alt-Oboe habe bauen lassen, so müssten alle Bläser bereichert werden, da er verschiedener Gruppen bedürfe. Man glaube nicht, wie das ihn quäle. Im Anschluss daran ging er die anstrengenden Erlebnisse der letzten Jahre durch: wie er in Not und Sorge die Errichtung seines Theaters betrieben, dann die Vorbereitung der Aufführungen selbst, die Proben, endlich die kummervolle Zeit nach den Aufführungen und wie er , um sich zu helfen und zu retten, den „Parsifal“gedichtet habe, dessen Vollendung nun ihrerseits so anstrengend für ihn sei, indem sie die ganze Konzentration der Ekstase verlange. Er erfreute sich der plötzlich ihm gekommenen Eingebung, dass er nach dem Erglühen des Blutes den Vorhang schließen, volles Dunkel im Zuschauerraum eintreten und so die Musik bis zum Schluss werde spielen lassen.

Nun wünschte Wagner aber doch das Ende der Arbeit herbei, sie quäle ihn, und er fürchte, zu stark zu instrumentieren. Das Spiel der Harfen, als Parsifal die Stufen zum Weihetisch bestieg, griff ihn sehr an.

Dann kam der 13. Januar 1882, der Geburtstag seines Freundes Joukowsky. Diesem war er sehr verbunden, da dieser ihm das Weihnachtsgeschenk für Cosima unter großen Strapazen gerade noch rechtzeitig von Deutschland nach Italien gebracht hat.

Vor Ende des Abendessens ging Wagner in sein Arbeitszimmer; nach einiger Zeit kam er zurück und hatte die Partitur des „Parsifal“ in der Hand. Feierlich verkündete er uns: „Ich habe soeben – an Ihrem Geburtstage – meinen „Parsifal“ beendigt“. Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, dies, da er so nahe am Ziel war, gerade an dem bestimmten Tage zu tun. Zu Tische hatte er auf das herzlichste den Toast ausgebracht und darin nochmals ernst erwähnt, dass er „bei dieser, wie bei allen seinen Arbeiten, gefürchtet habe, durch den Tod unterbrochen zu werden.“

So ist also das Große Werk – sein 13. – am 13. Januar 1882 vollendet worden, genau 13 Monate vor seinem Tod.