Tannhäuser
Wagner Inside
Wie schon an dem von Wagner ursprünglich gewählten Titel „Der Venusberg“, ersichtlich ist, greift die Grundidee des hier behandelten Werkes – dem „Tannhäuser“ – tief in das tragische Wesen Mensch ein. Denn: ist der Mensch nicht seinen tieferen Steuerelementen zumeist hilflos ausgeliefert und scheut er nicht vor einer wirklichen Auseinandersetzung mit ihnen zurück? Weil: er hat seine Berufung vergessen! Er hat vergessen, dass der eigentliche Grund für die Geburt in diese Welt hinein der ist, die Tragik seines Wesens zu erkennen, daraus folgend sich für eine Hilfe aus ihm nicht zugänglichen Gebieten zu öffnen und hier das Alte ersterben zu lassen, und dort im Neuen aufzuerstehen. Das ist in groben Zügen der wahre Plan für die menschlichen Seelen in den Inkarnationskreisläufen.
Daß somit aus dem Alten, aus der Vergangenheit, nichts Verwertbares für etwas wirklich Neues extrahiert werden kann, sollte in Richard Wagner nach Fertigstellung seines „Fliegenden Holländers“ bald nach Bewusstsein verlangen.
Es drängte ihn ja aus dem oberflächlichen, sinnentleerten Paris fort der deutschen Heimat zu. Aus der in Paris so tief empfundenen Heimatlosigkeit flüchtend, suchte er einen Ort, wo er sich zuhause fühlen konnte. Dem nachspürend, suchte er sich zu erklären, warum er seine deutsche Heimat liebte. …
Um mich zu vergewissern über das, was ich an der deutschen Heimat, nach der ich mich doch sehnte, denn eigentlich liebte, führte ich mir das Bild der Eindrücke meiner Jugend zurück, und um dies klar und deutlich zu ersehen, schlug ich im Buche der Geschichte nach. Bei dieser Gelegenheit suchte ich auch noch nach einem Opernstoffe: nirgends in den großen Zügen der alten deutschen Kaiserwelt bot er sich mir aber dar, und ohne deutliches Wissen fühlte ich, daß diese Züge, um durchaus getreu und verständlich dargestellt zu werden, ganz in dem Grade sich der Fähigkeit zur Dramatisierung überhaupt entzogen, als sie namentlich auch meiner musikalisch-künstlerischen Anschauung, mit unumfangbarer Sprödigkeit sich entwanden.
Historische Stoffe und Gestalten waren für Wagner künstlerisch nicht wirklich verwertbar. Entscheidend war, daß eine Verbindung zu seinem tiefsten Seelenkern hergestellt wurde, der dann über schöpferische Tätigkeit sich ein Bewusstseinswachstum verschaffen konnte. Nur das erzeugte ein Gefühl, auf dem richtigen Wege zu sein, und somit seiner Bestimmung zu folgen.
Diese Erkenntnis stand ihm nun bevor:
An einem Zuge endlich haftete ich, weil ich hier ein freieres Gewährenlassen meines dichterischen Gestaltungstriebes mir zu erlauben für gestattet halten durfte. Es war dies ein Zug aus den letzten Momenten der Hohenstaufischen Welt: Manfred, Friedrichs II. Sohn, reißt sich aus dem Zustande der Mutlosigkeit und Versunkenheit in lyrische Ergötzung, wirft sich, von äußerster Not gedrängt, nach Luceria, der Stadt, die von seinem Vater den aus Sizilien versetzten Sarazenen mitten im hochheiligen Kirchenstaate zum Wohnort angewiesen worden war, und gewinnt, zunächst durch die Hilfe dieser streitlichen und leicht zu begeisternden Söhne Arabiens, das ganze, vom Papste und den herrschenden Welfen ihm bestrittene Reich Appulien und Sizilien; mit seiner Krönung schloß der dramatische Entwurf.
In diesen rein geschichtlichen Vorgang wob ich eine erdichtete weibliche Gestalt: ich entsinne mich jetzt, daß sie mir aus dem Anschauen einer bereits längst mir zu Gesicht gekommenen Zeichnung, als Erinnerung entsprang: Es war dies eine Darstellung Friedrichs II., umgeben von seinem fast ganz arabischen Hofe, aus welchem namentlich singende und tanzende orientalische Frauengestalten lebhaft meine Phantasie fesselten. Den Geist dieses Friedrichs, meines Lieblings, verkörperte ich nun in der Erscheinung einer jungen Sarazenin, der Frucht einer Liebesumarmung Friedrichs und einer Tochter Arabiens während jenes friedlichen Aufenthaltes des Kaisers in Palästina. Das Mädchen hatte daheim von dem tiefen Falle des gibelinischen Hauses Kunde erhalten; mit dem Feuer desselben arabischen Enthusiasmus, der noch jüngst dem Oriente Liebeslieder für Bonaparte eingab, machte sie sich nach Appulien auf. Dort, am Hofe des entmutigten Manfred erscheint sie als Prophetin, begeistert, reißt zu Taten hin; sie entzündet die Araber in Luceria, und führt, überall hin Enthusiasmus ausgießend, den Sohn des Kaisers von Sieg zu Sieg bis zum Throne. Geheimnisvoll verbarg sie ihre Abkunft, um auch in Manfred selbst durch das Rätsel ihrer Erscheinung zu wirken; er liebte sie heftig und will das Geheimnis durchbrechen: sie weist ihn prophetisch zurück. Bei einem Anschlag auf sein Leben fängt sie den tödlichen Stoß mit ihrer Brust auf: sterbend bekennt sie sich als Manfreds Schwester, und läßt ihre volle Liebe zu ihm erraten. Der gekrönte Manfred nimmt für immer von seinem Glücke Abschied.
Warum dieser längere Abschnitt über den Entwurf zur „Sarazenin“?
Es soll als Beispiel dienen, wie Wagner aus einem historischen Stoff durch Hinzufügung von tragischen Handlungssträngen den ursprünglichen Stoff auf eine ganz andere Ebene hebt. Das Eine ist, wie oben schon angedeutet, historische Nacherzählung und durch die hinzugefügte Tragik verknüpft sich der Stoff mit dem tragischen Kern seiner Zuhörer.
Das sind natürlich erst die Anfänge seiner schöpferischen Fähigkeiten und es wird sich zeigen, wie seine Seele schnell diesen noch vorhandenen historischen Rahmen sprengen und in einem gewaltigen Schaffensrausch Großes empfängt und Großes vollbringen wird.
Aber jetzt wieder zurück zur Sage. Die historische Gestalt „Manfred“ wird nun mit dem „Tannhäuser“ der Sage konfrontiert:
Dieses, wohl nicht glanz- und wärmelose Bild, das meine heimatssehnsüchtige Phantasie mir in der Beleuchtung eines historischen Sonnenuntergangsscheines zuführte, verwischte sich sogleich, als meinem inneren Auge die Gestalt des Tannhäusers sich darstellte. Jenes Bild war mir von außen vorgezaubert; diese Gestalt entsprang aus meinem Inneren. In ihren unendlich einfachen Zügen war sie mir umfassender, und zugleich bestimmter, deutlicher, als das reichglänzende, schillernde und prangende historisch-poetische Gewebe, das wie ein prunkend faltiges Gewand die wahre, schlanke menschliche Gestalt verbarg, um deren Anblick es meinem inneren Verlangen zu tun war.
Hier war eben das Volksgedicht, das immer den Kern der Erscheinung erfaßt, und in einfachen, plastischen Zügen ihn wiederum zur Erscheinung bringt; während dort, in der Geschichte … diese Erscheinung in unendlich bunter, äußerlicher Zerstreutheit sich kundgibt …
Dieser Tannhäuser war unendlich mehr als Manfred; denn er war der Geist des ganzen gibelinischen Geschlechtes für alle Zeiten, in eine einzige, bestimmte, unendlich ergreifende und rührende Gestalt gefaßt, in dieser Gestalt aber Mensch bis auf den heutigen Tag, bis in das Herz eines lebenssehnsüchtigen Künstlers.
Die Gestalt des Tannhäuser ist eng verknüpft mit den Sehnsüchten der Menschen über viele Zeitalter hinweg. Sie ist ein seelisches Kraftpotential, das eine äußere Form angenommen hat, welche aber nicht wesentlich ist. Die Menschen aller Zeiten spürten, daß eine wirkliche Reinheit der Seele sich innerhalb der dem Menschen gezogenen Grenzen nicht verwirklichen ließ. Der Tannhäuser erfährt seine Abhängigkeit von Venus bis zum Überdruß. Die darauffolgende „Buß‘ und Reu'“ kann ihm aber nicht einmal Gottes Stellvertreter auf Erden nehmen.
Der Weg von „Manfred“ zu „Tannhäuser“ verdeutlicht also das, was er als Heimatliebe gesucht hat, einen inneren Drang: weg von dem orientalischen Prunk und der Vielfalt hin zur einfachen Volksgestalt, von der Vielheit zur Einheit und letztendlich zu sich selbst! Und die Einheit ist im Herzen eines jeden Menschen verborgen. Wer aufgeht in der bunten Vielfalt des Lebens, wird den Weg zur Einheit nicht erkennen können, nicht suchen, ja – nicht einmal vermuten!
Richard Wagner folgte diesem Weg, indem er sich nun immer konsequenter von allen alten Formen löste und seinen inneren Vorgaben zuwandte.
Mit der „Sarazenin“ war ich in Begriffe gewesen, mehr oder weniger in die Richtung meines „Rienzi“ mich zurückzuwerfen, um eine große fünfaktige „historische“ Oper zu verfertigen: erst der überwältigende, mein individuelles Wesen bei weitem energischer erfassende Stoff des Tannhäusers, erhielt mich im Festhalten der mit Notwendigkeit eingeschlagenen neuen Richtung.
Ein weiterer Einfluß stellte sich als Triebkraft hinter die „Geburt“ des Tannhäuser. An der Dresdener Hofoper war eine Frau Schröder-Devrient angestellt, die er schon seit früherer Jugend verehrte. Sie verkörperte dort die „Primadonna“ und war eine geniale Künstlerin.
Sie studierte die „Senta“ in meinem „Fliegenden Holländer“ und gab diese Rolle mit so genial schöpferischer Vollendung, daß ihre Leistung allein diese Oper vor völligem Unverständnisse von seiten des Publikums rettete und selbst zur lebhaftesten Begeisterung hinriß.
Ich traf diese geniale Natur mit sich und ihrem Wesen in die mannigfaltigsten Widersprüche verwickelt, die mich so beunruhigend mit berührten, als sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit in ihr sich äußerten.
… Die Schröder-Devrient war weder in der Kunst noch im Leben eine Erscheinung jenes Virtuosentums, das nur durch vollständige Vereinzelung gedeiht und in ihr allein zu glänzen vermag: sie war hier wie dort durchaus Dramatikerin, im vollen Sinne des Wortes; sie war auf die Berührung, auf die Verschmelzung mit dem Ganzen hingedrängt, und dies Ganze war eben in Leben und Kunst unser soziales Leben und unsre theatralische Kunst. Ich habe nie einen großherzigeren Menschen im Kampfe mit kleinlicheren Vorstellungen gesehen, als die, welche dieser Frau, durch ihre wiederum notwendige Berührung mit ihrer Umgebung, von außen zugeführt worden waren.
Auf mich wirkte meine innige Teilnahme für dieses künstlerische Weib fast weniger anregend, als peinigend, und zwar peinigend, weil sie mich ohne Befriedigung anregte … und mich damals in einem Grade anwiderte, daß ich … diese in einem ihrer unwürdigen Begehren begriffen halten mußte.
Durch den innigen Kontakt mit dieser Künstlerin wurde in Wagner ein schwelender innerer Konflikt angerührt. Einerseits war er ja ganz überwältigt von der tief wahrhaften Gestalt des Tannhäuser und andererseits wirkte das hochdramatische Wesen der Schröder-Devrient auf ihn ein. Er beschreibt diesen Konflikt wie folgt:
Durch die glückliche Veränderung meiner äußeren Lage, durch die Hoffnungen, die ich auf ihre noch günstigere Entwicklung setzte, endlich durch persönliche, in einem gewissen Sinne berauschende Berührungen mit einer mir neuen und geneigten Umgebung, war ein Verlangen in mir genährt, daß mich auf Genuß hindrängte, und um dieses Genusses willen mein inneres, unter leidenvollen Eindrücken der Vergangenheit und durch den Kampf gegen sie, in mir gestaltetes Wesen von seiner eigentümlichen Richtung ablenkte.
Ein starker, sinnlicher Trieb, der in jedem Menschen zum unmittelbaren Leben hindrängt, bestimmte mich in meinen besonderen Verhältnissen als Künstler nun in einer Richtung, die mich wiederum sehr bald und heftig anekeln mußte. …
Im Gegensatz zu seinem bisherigen Leben – das gerade in den letzten Jahren in Paris äußerst entbehrungsreich war – war das Leben als Kapellmeister des Königs geradezu das Gegenteil. Ungeahnte Möglichkeiten traten an ihn heran, da sein finanzieller Rahmen plötzlich stark erweitert wurde und regelmäßig zur Verfügung stand. Achtung und Ergebenheit wurde ihm entgegengebracht, die ihm im Gegensatz zu früher manches erleichterte. Jedoch …
… Der Trieb wäre im Leben nur zu stillen gewesen, wenn ich auch als Künstler Glanz und Genuß durch vollständige Unterordnung meines wahren Wesens unter die Anforderungen des öffentlichen Kunstgeschmackes zu erstreben gesucht hätte; ich hätte mich der Mode und der Spekulation auf ihre Schwächen hingeben müssen, und hier, an diesem Punkte, wurde es meinem Gefühle klar, daß ich beim wirklichen Eintritte in diese Richtung vor Ekel zugrunde gehen müßte.
Dieses Bekenntnis beschreibt die grundlegende Weltsicht Richard Wagners. Hier ist er mit all seinen schöpferischen Gaben – dort ist die Welt, in die er hineingeboren wurde … und … es passt in keinster Weise zusammen. Viele Menschen empfinden es zuweilen in der selben Art, im Gegensatz zu Wagner ist der Gegenpol in ihnen aber nicht so stark, um es mit dieser denaturierten Welt aufzunehmen.
Hatte ich nun in Paris bereits eine tiefe Unbefriedigung von diesem Opernwesen empfunden, so kehrte mir jetzt das Gefühl, welches mich einst von den deutschen Theatern nach Paris getrieben hatte, neu und verstärkt zurück, so daß ich mir von neuem wie degradiert vorkam, und im tiefsten Innern eine Verachtung nährte, welche für jetzt bereits so stark war, daß ich an ein dauerndes Befassen, selbst mit einem der besten deutschen Operntheater, gar nicht mehr denken mochte, sondern mich sehnsüchtig frug, was ich denn nur eigentlich ergreifen sollte, um mich zwischen Ekel und Wunsch in dieser sonderbaren Welt zu behaupten. …
… Wandte ich mich nun endlich hiervon mit Widerwillen ab, und verdankte ich die Kraft meines Widerwillens nur meiner bereits zur Selbstständigkeit entwickelten, menschlich-künstlerische Natur, so äußerte sie sich, menschlich und künstlerisch, notwendig als Sehnsucht nach Befriedigung in einem höheren, edleren Elemente, das, in seinem Gegensatze zu der einzig unmittelbar erkennbaren Genußsinnlichkeit der mich weithin umgebenden modernen Gegenwart in Leben und Kunst, mir als ein reines, keusches, jungfräuliches, unnahbar und ungreifbar liebendes erscheinen mußte. Was endlich konnte diese Liebessehnsucht, das Edelste, was ich meiner Natur nach zu empfinden vermochte, wieder anderes sein, als das Verlangen nach dem Hinschwinden aus der Gegenwart, nach dem Ersterben in einem Elemente unendlicher, irdisch unvorhandener Liebe, wie es nur mit dem Tode erreichbar schien? …
In diesem Bekenntnis liegt schon unverkennbar die Wurzel zu Wagners großem Entsagungswerk „Tristan und Isolde“. Dazu dann an anderer Stelle!
… Was war aber dennoch im Grunde dieses Verlangen anderes, als die Sehnsucht der Liebe, – nur einer Liebe, die sich auf dem ekelhaften Boden der modernen Sinnlichkeit eben nicht befriedigen konnte?
Schon in Paris lernte Wagner ja die oberflächliche, frivole Form der Liebe als Ausdrucksform einer bis zum Exzeß getriebenen Sinnlichkeit kennen und verabscheuen, und genau das drückt seine Gestalt des Tannhäuser im Venusberg aus.