Libretto
Die Meistersinger von Nürnberg
Erster Aufzug – 1. Szene Da zu dir der Heiland kam,…
– 2. Szene David, was stehst? Greif an’s Werk!
– 3. Szene Seid meiner Treue wohl versehen.
Zweiter Aufzug – 1. Szene Johannistag! Johannistag! Blumen und Bänder, so viel man mag!
– 2. Szene Lass seh’n, ob Nachbar Sachs zu Haus?
– 3. Szene Zeig her! – ‘s ist gut. – Dort an die Tür
– 4. Szene Gut’n Abend, Meister! Noch so fleißig?
– 5. Szene Da ist er! Da haben wir’s! Nun heißt’s: gescheit!
– 6. Szene Tu’s nicht! – Doch horch!
– 7. Szene Zum Teufel mit dir, verdammter Kerl!
Dritter Aufzug – 1. Szene Gleich, Meister! Hier! Die Schuh‘ sind abgegeben …
– 2. Szene Grüß Gott, mein Junker! Ruhtet Ihr noch?
– 3. Szene Ein Werbelied! Von Sachs! Ist’s wahr?
Libretto: Die Meistersinger von Nürnberg
von Richard Wagner
Personen:
HANS SACHS, Schuster, Meistersinger (Bass)
VEIT POGNER, Goldschmied, Meistersinger (Bass)
KUNZ VOGELSANG, Kürschner, Meistersinger (Tenor)
KONRAD NACHTIGALL, Spengler, Meistersinger (Bass)
SIXTUS BECKMESSER, Stadtschreiber, Meistersinger (Bass)
FRITZ KOTHNER, Bäcker, Meistersinger (Bass)
BALTHASAR ZORN, Zinngießer, Meistersinger (Tenor)
ULRICH EISSLINGER, Würzkrämer, Meistersinger (Tenor)
AUGUSTIN MOSER, Schneider, Meistersinger (Tenor)
HERMANN ORTEL, Seifensieder, Meistersinger (Bass)
HANS SCHWARZ, Strumpfwirker, Meistersinger (Bass)
HANS FOLTZ, Kupferschmied, Meistersinger (Bass)
WALTHER VON STOLZING, ein junger Ritter aus Franken (Tenor)
DAVID, Sachsens Lehrbube (Tenor)
EVA, Pogners Tochter (Sopran)
MAGDALENA, Evas Amme (Mezzosopran)
EIN NACHTWÄCHTER (Bass)
CHOR
Bürger und Frauen aller Zünfte, Gesellen, Lehrbuben, Mädchen, Volk
ERSTER AUFZUG
ERSTE SZENE
Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägem Durchschnitt dar. Von dem Hauptschiff, welches links ab dem Hintergrunde zu sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar. Den Vordergrund nimmt der freie Raum vor dem Chor ein; dieser wird später durch einen schwarzen Vorhang gegen das Schiff zu gänzlich geschlossen. In der letzten Reihe der Kirchenstühle sitzen Eva und Magdalene; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich mit stummem Gebärdenspiel wiederholt zu ihm umkehrt
DIE GEMEINDE
Da zu dir der Heiland kam,…
Walther drückt durch Gebärde eine schmachtende Frage an Eva aus
…willig deine Taufe nahm,…
Evas Blick und Gebärde sucht zu antworten; doch beschämt schlägt sie das Auge wieder nieder
…weihte sich dem Opfertod,…
Walther zärtlich, dann dringender
…gab er uns des Heils Gebot:…
Eva, Walther schüchtern abweisend, aber schnell wieder seelenvoll zu ihm aufblickend
…dass wir durch ein‘ Tauf‘ uns weih’n,…
Walther entzückt, höchste Beteuerungen, Hoffnung.
…seines Opfers wert zu sein.
Eva lächelnd, dann beschämt die Augen senkend. Walther dringend, aber schnell sich unterbrechend
Edler Täufer, Christ’s Vorläufer!…
Walther nimmt die dringende Gebärde wieder auf, mildert sie aber sogleich, um sanft um eine Unterredung zu bitten
Nimm uns freundlich an, dort am Fluss Jordan.
Die Gemeinde erhebt sich, wendet sich dem Ausgange zu und verlässt unter dem Nachspiel allmählich die Kirche. Walther heftet in höchster Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz ebenfalls verlässt und, von Magdalene gefolgt, langsam in seine Nähe kommt. Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam durch die Kirchgänger zu ihr
WALTHER
leise, doch feurig zu Eva
Verweilt! – Ein Wort! Ein einzig Wort!
EVA
sich schnell zu Magdalena umwendend
Mein Brusttuch…! Schau! Wohl liegt’s im Ort?
MAGDALENE
Vergesslich‘ Kind! Nun heißt es: such!
Sie kehrt nach den Kirchenstühlen zurück
WALTHER
Fräulein! Verzeiht der Sitte Bruch!
Eines zu wissen, eines zu fragen,
was müsst‘ ich nicht zu brechen wagen?
Ob Leben oder Tod, ob Segen oder Fluch?
Mit einem Worte sei mir’s vertraut:
mein Fräulein sagt –
MAGDALENE
zurückkommend
Hier ist das Tuch.
EVA
O weh! Die Spange!
MAGDALENE
Fiel sie wohl ab?
Sie geht suchend abermals nach hinten
WALTHER
Ob Licht und Lust oder Nacht und Tod?
Ob ich erfahr, wonach ich verlange,
ob ich vernehme, wovor mir graut:
Mein Fräulein, sagt –
MAGDALENE
wieder zurückkommend
Da ist auch die Spange.
Komm, Kind! Nun hast du Spang‘ und Tuch …
O weh! Da vergaß ich selbst mein Buch!
Sie geht nochmals eilig nach hinten
WALTHER
Dies eine Wort, Ihr sagt mir’s nicht?
Die Silbe, die mein Urteil spricht?
Ja oder nein! – ein flücht’ger Laut:
mein Fräulein sagt,
entschlossen und hastig
seid Ihr schon Braut?
MAGDALENE
die wieder zurückgekehrt ist und sich vor Walther verneigt
Sieh da, Herr Ritter,
wie sind wir hochgeehrt:
mit Evchens Schutze habt Ihr Euch gar beschwert?
Darf den Besuch des Helden
ich Meister Pogner melden?
WALTHER
bitter, leidenschaftlich
Oh, betrat ich doch nie sein Haus!
MAGDALENE
Ei, Junker! Was sagt Ihr da aus?
In Nürnberg eben nur angekommen,
wart Ihr nicht freundlich aufgenommen?
Was Küch‘ und Keller, Schrein und Schrank
Euch bot, verdient‘ es keinen Dank?
EVA
Gut Lenchen, ach, das meint er ja nicht.
Doch von mir wohl wünscht er Bericht.
Wie sag ich’s schnell? Versteh‘ ich’s doch kaum!
Mir ist, als wär‘ ich gar wie im Traum!-
Er frägt – ob ich schon Braut?
MAGDALENE
heftig erschrocken
Hilf Gott! Sprich nicht so laut!
Jetzt lass uns nach Hause gehn;
wenn uns die Leut‘ hier sehn!
WALTHER
Nicht eh’r, bis ich alles weiß!
EVA
zu Magdalene
’s ist leer, die Leut‘ sind fort.
MAGDALENE
Drum eben wird mir heiß!
Herr Ritter, an andrem Ort!
David tritt aus der Sakristei ein und macht sich darüber her, die, schwarzen Vorhänge zu schließen
WALTHER
dringend
Nein! Erst dies Wort!
EVA
bittend zu Magdalene
Dies Wort!
MAGDALENE
die sich bereits umgewendet, erblickt David, hält an und ruft zärtlich für sich
David? Ei! David hier?
Sie wendet sich wieder zurück, und zu Walther.
EVA
zu Magdalene
Was sag ich? Sag du’s mir!
MAGDALENE
zerstreut, öfter nach David sich umsehend
Herr Ritter, was Ihr die Jungfer fragt,
das ist so leichtlich nicht gesagt;
fürwahr ist Evchen Pogner Braut
EVA
lebhaft unterbrechend
Doch hat noch keiner den Bräut’gam erschaut.
MAGDALENE
Den Bräut’gam wohl noch niemand kennt,
bis morgen ihn das Gericht ernennt,
das dem Meistersinger erteilt den Preis –
EVA
enthusiastisch
Und selbst die Braut ihm reicht das Reis.
WALTHER
verwundert
Dem Meistersinger?
EVA
bang
Seid Ihr das nicht?
WALTHER
Ein Werbgesang?
MAGDALENE
Vor Wettgericht.
WALTHER
Den Preis gewinnt?
MAGDALENE
Wen die Meister meinen.
WALTHER
Die Braut dann wählt?
EVA
sich vergessend
Euch oder keinen!
Walther wendet sich, in großer Erregung auf und ab gehend, zur Seite
MAGDALENE
sehr erschrocken
Was, Evchen! Evchen! Bist du von Sinnen?
EVA
Gut‘ Lene, lass mich den Ritter gewinnen!
MAGDALENE
Sahst ihn doch gestern zum erstenmal?
EVA
Das eben schuf mir so schnelle Qual,
dass ich schon längst ihn im Bilde sah!
Sag, trat er nicht ganz wie David nah?
MAGDALENE
höchst verwundert
Bist du toll? Wie David?
EVA
Wie David im Bild.
MAGDALENE
Ach, meinst du den König mit der Harfen
und langem Bart in der Meister Schild?
EVA
Nein! Der, dess‘ Kiesel den Goliath warfen,
das Schwert im Gurt, die Schleuder zur Hand,
das Haupt von lichten Locken umstrahlt,
wie ihn uns Meister Dürer gemalt.
MAGDALENE
laut seufzend
Ach, David! David!
DAVID
der hinausgegangen und jetzt wieder zurückkommt, ein Lineal im Gürtel und ein großes Stück weißer Kreide an einer Schnur schwenkend
Da bin ich! Wer ruft?
MAGDALENE
Ach, David! Was Ihr für Unglück schuft!
für sich
Der liebe Schelm! Wüsst‘ er’s noch nicht?
laut
Ei seht, da hat er uns gar verschlossen?
DAVID
zärtlich
Ins Herz Euch allein!
MAGDALENE
feurig
Das treue Gesicht! Ei sagt!
Was treibt Ihr hier für Possen?
DAVID
Behüt es, Possen? Gar ernste Ding‘!
Für die Meister hier richt‘ ich den Ring.
MAGDALENE
Wie? Gäb‘ es ein Singen?
DAVID
Nur Freiung heut:
der Lehrling wird da losgesprochen,
der nichts wider die Tabulatur verbrochen;
Meister wird, wen die Prob‘ nicht reut.
MAGDALENE
Da wär‘ der Ritter ja am rechten Ort. –
Jetzt, Evchen, komm, wir müssen fort.
WALTHER
schnell sich zu den Frauen wendend
Zu Meister Pogner lasst mich euch geleiten.
MAGDALENE
Erwartet den hier; er ist bald da.
Wollt Ihr Evchens Hand erstreiten,
rückt Ort und Zeit das Glück Euch nah.
Zwei Lehrbuben kommen dazu und tragen Bänke herbei
Jetzt eilig von hinnen!
WALTHER
Was soll ich beginnen?
MAGDALENE
Lasst David Euch lehren, die Freiung begehren. –
Davidchen, hör, mein lieber Gesell,
den Ritter hier bewahr‘ mir wohl zur Stell‘!
Was Fein’s aus der Küch‘ bewahr‘ ich für dich;
und morgen begehr‘ du noch dreister,
wird hier der Junker heut‘ Meister.
Sie drängt Eva zum Fortgehen
EVA
zu Walther
Seh‘ ich Euch wieder?
WALTHER
sehr feurig
Heut abend, gewiss! –
Was ich will wagen, wie könnt‘ ich’s sagen?
Neu ist mein Herz, neu mein Sinn,
neu ist mir alles, was ich beginn‘.
Eines nur weiß ich, eines begreif‘ ich:
Mit allen Sinnen Euch zu gewinnen!
Ist’s mit dem Schwert nicht, muss es gelingen,
gilt es als Meister Euch zu ersingen.
Für Euch Gut und Blut!
Für Euch Dichters heil’ger Mut!
EVA
mit großer Wärme
Mein Herz, sel’ger Glut,
für Euch liebesheil’ge Hut!
MAGDALENE
Schnell heim, sonst geht’s nicht gut!
DAVID
der Walther verwunderungsvoll gemessen
Gleich Meister? Oho! Viel Mut!
Magdalene zieht Eva eilig durch die Vorhänge nach sich fort. Walther wirft sich, aufgeregt und brütend, in einen erhöhten kathederartigen Lehnstuhl, den zuvor zwei Lehrbuben von der Wand ab mehr nach der Mitte zu gerückt haben
ZWEITE SZENE (1. Akt)
Noch mehrere Lehrbuben sind eingetreten; sie tragen und stellen Bänke und richten alles zur Sitzung der Meistersinger her
ZWEITER LEHRBUBE
David, was stehst?
ERSTER LEHRBUBE
Greif ans Werk!
ZWEITER LEHRBUBE
Hilf uns richten das Gemerk!
DAVID
Zu eifrigst war ich vor euch allen;
schafft nun für euch:
hab ander Gefallen!
VIER LEHRBUBEN
Was der sich dünkt!
VIER LEHRBUBEN
Der Lehrling‘ Muster!
VIER LEHRBUBEN
Das macht, weil sein Meister ein Schuster.
VIER LEHRBUBEN
Beim Leisten sitzt er mit der Feder.
VIER LEHRBUBEN
Beim Dichten mit Draht und Pfriem.
VIER LEHRBUBEN
Sein‘ Verse schreibt er auf rohes Leder.
ALLE ZWÖLF LEHRBUBEN
mit entsprechender Gebärde
Das – dächt‘ ich – gerbten wir ihm!
Sie machen sich lachend an die fernere Herrichtung
DAVID
nachdem er den sinnenden Ritter eine Weile betrachtet
Fanget an!
WALTHER
verwundert
Was soll’s?
DAVID
noch stärker
»Fanget an!« – So ruft der »Merker«.
Nun sollt Ihr singen! Wisst Ihr das nicht?
WALTHER
Wer ist der Merker?
DAVID
Wisst Ihr das nicht? Wart Ihr noch nie bei ‘nem Sing-Gericht?
WALTHER
Noch nie, wo die Richter Handwerker!
DAVID
Seid Ihr ein »Dichter«?
WALTHER
Wär‘ ich’s doch!
DAVID
Seid Ihr ein »Singer«?
WALTHER
Wüsst‘ ich’s noch!
DAVID
Doch »Schulfreund« wart Ihr und »Schüler« zuvor?
WALTHER
Das klingt mir alles fremd vorm Ohr.
DAVID
Und so gradhin wollt Ihr Meister werden?
WALTHER
Wie, machte das so große Beschwerden?
DAVID
O Lene! Lene!
WALTHER
Wie Ihr doch tut!
DAVID
O Magdalene!
WALTHER
Ratet mir gut!
DAVID
setzt sich in Positur
Mein Herr, der Singer Meister-Schlag
gewinnt sich nicht an einem Tag.
In Nüremberg der größte Meister
mich lehrt die Kunst Hans Sachs!
Schon voll ein Jahr mich unterweist er,
dass ich als Schüler wachs‘.
Schuhmacherei und Poeterei,
die lern‘ ich da alleinerlei:
hab ich das Leder glatt geschlagen,
lern‘ ich Vokal und Konsonanz sagen;
wichst‘ ich den Draht erst fest und steif,
was sich dann reimt, ich wohl begreif!
Den Pfriemen schwingend,
im Stich die Ahl‘,
was stumpf, was klingend,
was Maß, was Zahl –
den Leisten im Schurz, was lang, was kurz,
was hart, was lind, hell oder blind,
was Waisen, was Milben, was Klebsilben,
was Pausen, was Körner, was Blumen, was Dörner –
das alles lernt‘ ich mit Sorg‘ und Acht.
Wie weit nun, meint Ihr, dass ich’s gebracht?
WALTHER
Wohl zu ‘nem Paar recht guter Schuh‘?
DAVID
Ja, dahin hat’s noch gute Ruh‘!
Ein »Bar« hat manch Gesätz‘ und Gebänd‘;
wer da gleich die rechte Regel fänd‘,
die richt’ge Naht und den rechten Draht,
mit gutgefügten »Stollen« den Bar recht zu versohlen.
Und dann erst kommt der »Abgesang«;
dass der nicht kurz und nicht zu lang
und auch keinen Reim enthält,
der schon im Stollen gestellt.
Wer alles das merkt, weiß und kennt,
wird doch immer noch nicht »Meister« genennt.
WALTHER
Hilf Gott! Will ich denn Schuster sein?
In die Singkunst lieber führ mich ein.
DAVID
Ja, hätt‘ ich’s nur selbst schon zum »Singer« gebracht!
Wer glaubt wohl, was das für Mühe macht?
Der Meister Tön‘ und Weisen,
gar viel an Nam‘ und Zahl,
die starken und die leisen,
wer die wüsste allzumal!
Der »kurze«, »lang’« und »überlang’« Ton,
die »Schreibpapier«-, »Schwarz-Tinten«-Weis‘;
der »rote«, »blau’« und »grüne« Ton;
die »Hageblüh«-, »Strohhalm«-, »Fengel«-Weis‘;
der »zarte«, der »süsse«, der »Rosen«-Ton;
der »kurzen Liebe«, der »vergessne« Ton;
die »Rosmarin«-, »Gelbveiglein«-Weis‘,
die »Regenbogen«-, die »Nachtigall« -Weis‘,
die »englische Zinn«-, die »Zimmtröhren«-Weis‘,
»frisch‘ Pomeranzen«-, »grün‘ Lindenblüh«-Weis‘,
die »Frösch’«-, die »Kälber«-, die »Stieglitz«-Weis‘,
die »abgeschiedene Vielfraß«-Weis‘;
der »Lerchen«-, der »Schnecken«-, der »Beller«-Ton,
die »Melissenblümlein«-, die »Meiran«-Weis‘,
»Gelblöwenhaut«-,
gefühlvoll
»treu‘ Pelikan«-Weis‘,
prunkend
die »buttglänzende Draht«-Weis‘ …
WALTHER
Hilf Himmel! Welch endlos Tönegeleis‘!
DAVID
Das sind nur die Namen:
nun lernt sie singen,
recht, wie die Meister sie gestellt!
Jed‘ Wort und Ton muss klärlich klingen,
wo steigt die Stimm‘ und wo sie fällt;
fangt nicht zu hoch, zu tief nicht an,
als es die Stimm‘ erreichen kann;
mit dem Atem spart, dass er nicht knappt
und gar am End‘ Ihr überschnappt;
vor dem Wort mit der Stimme ja nicht summt,
nach dem Wort mit dem Mund auch nicht brummt.
Nicht ändert an »Blum’« und »Koloratur«,
jed‘ Zierat fest nach des Meisters Spur.
Verwechseltet Ihr, würdet gar irr‘,
verlört Ihr Euch und kämt ins Gewirr:
wär‘ sonst Euch alles auch gelungen,
da hättet Ihr gar »versungen!«
Trotz großem Fleiß und Emsigkeit
ich selbst noch bracht‘ es nicht so weit.
So oft ich’s versuch‘ und ‘s nicht gelingt,
die »Knieriem-Schlag«-Weis‘ der Meister mir singt.
sanft
Wenn dann Jungfer Lene nicht Hilfe weiß,
greinend
sing‘ ich die »eitel Brot- und Wasser«-Weis‘!
Nehmt Euch ein Beispiel dran
und lasst vom Meister-Wahn!
Denn »Singer« und »Dichter« müsst Ihr sein,
eh‘ Ihr zum »Meister« kehret ein.
VIER LEHRBUBEN
während der Arbeit
David!
WALTHER
Wer ist nun Dichter?
VIER LEHRBUBEN
David! Kommst her?
DAVID
zu den Lehrbuben
Wartet nur, gleich! –
schnell wieder zu Walther sich wendend
Wer der »Dichter« wär‘?
Habt Ihr zum »Singer« Euch aufgeschwungen
und der Meister Töne richtig gesungen,
fügtet Ihr selbst nun Reim‘ und Wort‘,
dass sie genau an Stell‘ und Ort
passten zu eines Meisters Ton,
dann trügt Ihr den Dichterpreis davon.
VIER LEHRBUBEN
He, David! Soll man’s dem Meister klagen?
ALLE LEHRBUBEN
Wirst dich bald des/deines Schwatzens entschlagen?
DAVID
Oho! – Jawohl! Denn helf‘ ich euch nicht,
ohne mich wird alles doch falsch gericht’t.
Er will sich zu ihnen wenden
WALTHER
ihn zurückhaltend
Nur dies noch:
wer wird »Meister« genannt?
DAVID
schnell wieder umkehrend
Damit, Herr Ritter, ist’s so bewandt:
mit sehr tiefsinniger Miene
Der Dichter, der aus eig’nem Fleiße
zu Wort‘ und Reimen, die er erfand,
äußerst zart
aus Tönen auch fügt eine neue Weise,
der wird als »Meistersinger« erkannt.
WALTHER
So bleibt mir einzig der Meisterlohn!
Muss ich singen,
kann’s nur gelingen,
find‘ ich zum Vers auch den eig’nen Ton.
DAVID
der sich zu den Lehrbuben gewendet
Was macht ihr denn da? – Ja, fehl‘ ich beim Werk,
verkehrt nur richtet ihr Stuhl und Gemerk! –
Er wirft polternd und lärmend die Anordnungen der Lehrbuben in betreff des Gemerkes um
Ist denn heut »Singschul’«? – Dass ihr’s wisst,
das kleine Gemerk! – Nur »Freiung« ist!
Die Lehrbuben, welche in der Mitte der Bühne ein größeres Gerüst mit Vorhängen aufgeschlagen hatten, schaffen auf Davids Weisung dies schnell beiseite und stellen dafür ein geringeres Brettergerüst auf; daraufstellen sie einen Stuhl mit einem kleinen Pult davor, daneben eine grosse schwarze Tafel, daran die Kreide am Faden aufgehängt wird; um das Gerüst sind schwarze Vorhänge angebracht, die zunächst hinten und an beiden Seiten, dann auch vorn ganz zusammengezogen werden
ALLE LEHRBUBEN
während der Herrichtung
Aller End‘ ist doch David der Allergescheit’st,
nach hohen Ehren ganz sicher er geizt:
‘s ist Freiung heut;
gewiss er freit,
als vornehmer »Singer« er schon sich spreizt!
Die »Schlag«-Reime fest er inne hat,
»Arm-Hunger«-Weise singt er glatt.
VIER LEHRBUBEN (1. Tenor)
Doch die »harte-Tritt«-Weis‘, die kennt er am best‘ –
ALLE
Die trat ihm der Meister hart und fest!
Mit der Gebärde zweier Fußtritte. Sie lachen
DAVID
Ja, lacht nur zu! Heut bin ich’s nicht;
ein andrer stellt sich zum Gericht:
der war nicht Schüler, ist nicht Singer,
den Dichter, sagt er, überspring‘ er;
denn er ist Junker, und mit einem Sprung er
denkt ohne weit’re Beschwerden
heut‘ hier Meister zu werden.
Drum richtet nur fein das Gemerk dem ein!
Während die Lehrbuben vollends aufrichten.
Dorthin! – Hierher! Die Tafel an die Wand,
so dass sie recht dem Merker zur Hand!
sich zu Walther um wendend
Ja, ja, dem »Merker«! – Wird Euch wohl bang?
Vor ihm schon mancher Werber versang.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,
die merkt er mit Kreide dort an;
wer über sieben Fehler verlor,
hat versungen und ganz vertan!
Nun nehmt Euch in acht!
Der Merker wacht.
Derb in die Hände schlagend
Glück auf zum Meistersingen!
Mögt Euch das Kränzlein erschwingen!
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?
DIE LEHRBUBEN
Welche zu gleicher Zeit das Gemerk geschlossen haben, fassen sich an und tanzen einen verschlungenen Reigen um dasselbe
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein,
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?
Die Lehrbuben fahren sogleich erschrocken auseinander, als die Sakristei aufgeht und Pogner mit Beckmesser eintritt; sie ziehen sich nach hinten zurück
DRITTE SZENE
Die Einrichtung ist nun folgendermaßen beendigt: Zur Seite rechts sind gepolsterte Bänke in der Weise ausgestellt, dass sie einen schwachen Halbkreis nach der Mitte zu bilden. Am Ende der Bänke, in der Mitte der Bühne, befindet sich das »Gemerk« benannte Gerüst, welches zuvor hergerichtet worden. Zur linken Seite steht nun der erhöhte, kathederartige Stuhl (»der Singstuhl«) der Versammlung gegenüber. Im Hintergrunde, den großen Vorhang entlang, steht eine lange niedere Bank für die Lehrlinge. Walther, verdrießlich über das Gespött der Knaben, hat sich auf die vordere Bank niedergelassen. Pogner und Beckmesser sind im Gespräch aus der Sakristei aufgetreten. Die Lehrbuben harren, ehrerbietig vor der hinteren Bank stehend. Nur David stellt sich anfänglich am Eingang der Sakristei auf.
POGNER
zu Beckmesser
Seid meiner Treue wohl versehen.
Was ich bestimmt, ist Euch zu Nutz:
im Wettgesang müsst Ihr bestehen;
wer böte Euch als Meister Trutz?
BECKMESSER
Doch wollt Ihr von dem Punkt nicht weichen,
der mich – ich sag’s – bedenklich macht;
kann Evchens Wunsch den Werber streichen,
was nützt mir meine Meisterpracht?
POGNER
Ei sagt! Ich mein, vor allen Dingen
sollt‘ Euch an dem gelegen sein.
Könnt Ihr der Tochter Wunsch nicht zwingen,
wie möchtet Ihr wohl um sie frei’n?
BECKMESSER
Ei ja! Gar wohl! Drum eben bitt‘ ich,
dass bei dem Kind Ihr für mich sprecht,
wie ich geworben zart und sittig
und wie Beckmesser grad Euch recht.
POGNER
Das tu ich gern.
BECKMESSER
beiseite
Er lässt nicht nach!
Wie wehrt‘ ich da ’nem Ungemach?
WALTHER
der, als er Pogner gewahrt, aufgestanden und ihm entgegengegangen ist, verneigt sich vor ihm
Gestattet, Meister!
POGNER
Wie, mein Junker?
Ihr sucht mich in der Singschul‘ hie?
Sie wechseln die Begrüßungen
BECKMESSER
immer beiseite
Verstünden’s die Frau’n! Doch schlechtes Geflunker gilt ihnen mehr als all‘ Poesie.
Er geht verdrießlich im Hintergrunde auf und ab
WALTHER
Hier eben bin ich am rechten Ort.
Gesteh‘ ich’s frei, vom Lande fort
was mich nach Nürnberg trieb,
war nur zur Kunst die Lieb‘.
Vergaß ich’s gestern Euch zu sagen,
heut muss ich’s laut zu künden wagen:
ein Meistersinger möcht‘ ich sein.
Sehr innig
Schließt, Meister, in die Zunft mich ein!
Kunz Vogelgesang und Konrad Nachtigall sind eingetreten
POGNER
freudig zu den Hinzutretenden
Kunz Vogelgesang! Freund Nachtigall!
Hört doch, welch‘ ganz besondrer Fall!
Der Ritter hier, mir wohlbekannt,
hat der Meisterkunst sich zugewandt.
Vorstellungen, Begrüßungen, andere Meister treten noch dazu
BECKMESSER
wieder in den Vordergrund tretend, für sich
Noch such‘ ich’s zu wenden;
doch sollt’s nicht gelingen,
versuch‘ ich des Mädchens Herz zu ersingen.
In stiller Nacht, von ihr nur gehört,
erfahr‘ ich, ob auf mein Lied sie schwört.
Walther erblickend
Wer ist der Mensch?
POGNER
sehr warm zu Walther fortfahrend
Glaubt, wie mich’s freut!
Die alte Zeit dünkt mich erneut.
BECKMESSER
Er gefällt mir nicht!
POGNER
Was Ihr begehrt,
BECKMESSER
Was will er hier? –
POGNER
…soviel an mir….
BECKMESSER
Wie der Blick ihm lacht!
POGNER
… sei’s Euch gewährt.
Half ich Euch gern bei des Guts Verkauf,
BECKMESSER
Holla, Sixtus!
POGNER
in die Zunft nun nehm‘ ich Euch gleich gern auf.
BECKMESSER
Auf den hab acht!
WALTHER
Habt Dank der Güte aus tiefstem Gemüte!
Und darf ich denn hoffen, steht heut mir noch offen,
zu werben um den Preis, dass Meistersinger ich heiß‘?
BECKMESSER
Oho! Fein sacht! Auf dem Kopf steht kein Kegel!
POGNER
Herr Ritter, dies geh‘ nun nach der Regel.
Doch heut ist Freiung:
ich schlag‘ Euch vor;
mir leihen die Meister ein willig Ohr.
Die Meistersinger sind nun alle angelangt, zuletzt Hans Sachs
SACHS
Gott grüß Euch, Meister!
VOGELGESANG
Sind wir beisammen?
BECKMESSER
Der Sachs ist ja da!
NACHTIGALL
So ruft die Namen!
KOTHNER
zieht eine Liste hervor, stellt sich zur Seite auf und ruft laut
Zu einer Freiung und Zunftberatung
ging an die Meister ein‘ Einladung:
bei Nenn‘ und Nam‘, ob jeder kam,
ruf‘ ich nun auf als letztentbot’ner,
der ich mich nenn‘ und bin Fritz Kothner.
Seid Ihr da, Veit Pogner?
POGNER
Hier zur Hand.
Er setzt sich
KOTHNER
Kunz Vogelgesang?
VOGELGESANG
Ein sich fand.
Er setzt sich
KOTHNER
Hermann Ortel?
ORTEL
Immer am Ort.
Er setzt sich
KOTHNER
Balthasar Zorn?
ZORN
Bleibt niemals fort.
Er setzt sich
KOTHNER
Konrad Nachtigall?
NACHTIGALL
Treu seinem Schlag.
Er setzt sich
KOTHNER
Augustin Moser?
MOSER
Nie fehlen mag.
Er setzt sich
KOTHNER
Niklaus Vogel? – Schweigt?
EIN LEHRBUBE
von der Bank aufstehend
Ist krank.
KOTHNER
Gut‘ Bess’rung dem Meister!
DIE MEISTER
außer Kothner
Walt’s Gott!
DER LEHRBUBE
Schön‘ Dank!
Er setzt sich wieder nieder
KOTHNER
Hans Sachs?
DAVID
vorlaut sich erhebend und auf Sachs zeigend
Da steht er!
SACHS
drohend zu David
Juckt dich das Fell?
Verzeiht, Meister! Sachs ist zur Stell‘.
Er setzt sich
KOTHNER
Sixtus Beckmesser?
BECKMESSER
Immer bei Sachs
während er sich setzt
dass den Reim ich lern‘ von »blüh‘ und wachs«.
Sachs lacht
KOTHNER
Ulrich Eisslinger?
EISSLINGER
Hier.
Er setzt sich
KOTHNER
Hans Foltz?
FOLTZ
Bin da.
Er setzt sich
KOTHNER
Hans Schwarz?
SCHWARZ
Zuletzt:
Gott wollt’s!
Setzt sich
KOTHNER
Zur Sitzung gut und voll die Zahl.
Beliebt’s, wir schreiten zur Merkerwahl?
VOGELGESANG
Wohl eh’r nach dem Fest.
BECKMESSER
Pressiert’s dem Herrn?
Mein Stell‘ und Amt lass ich ihm gern.
POGNER
Nicht doch, Ihr Meister! Lasst das jetzt fort.
Für wichtigen Antrag bitt ich ums Wort.
Alle Meister stehen auf, nicken Kothner zu und setzen sich wieder
KOTHNER
Das habt Ihr, Meister, sprecht!
POGNER
Nun hört und versteht mich recht! –
Das schöne Fest, Johannistag,
Ihr wisst, begeh’n wir morgen.
Auf grüner Au‘, am Blumenhang,
bei Spiel und Tanz im Lustgelag,
an froher Brust geborgen,
vergessen seiner Sorgen,
ein jeder freut sich, wie er mag.
Die Singschul‘ ernst im Kirchenchor
die Meister selbst vertauschen;
mit Kling und Klang hinaus zum Tor
auf offne Wiese ziehn sie vor
bei hellen Festes Rauschen;
das Volk sie lassen lauschen
dem Freigesang mit Laienohr.
Zu einem Werb- und Wettgesang
gestellt sind Siegespreise,
und beide preist man weit und lang,
die Gabe wie die Weise.
Nun schuf mich Gott zum reichen Mann;
und gibt ein jeder, wie er kann,
so musste ich wohl sinnen,
was ich gäb‘ zu gewinnen,
dass ich nicht käm‘ zu Schand‘:
so hört denn, was ich fand.
In deutschen Landen viel gereist,
hat oft es mich verdrossen,
dass man den Bürger wenig preist,
ihn karg nennt und verschlossen.
An Höfen wie an nied’rer Statt
des bitt’ren Tadels ward ich satt,
dass nur auf Schacher und Geld
sein Merk‘ der Bürger stellt.
Dass wir im weiten deutschen Reich
die Kunst einzig noch pflegen,
dran dünkt ihnen wenig gelegen.
Doch wie uns das zur Ehre gereich‘,
und dass mit hohem Mut
wir schätzen, was schön und gut,
was wert die Kunst und was sie gilt,
das ward ich der Welt zu zeigen gewillt.
Drum hört, Meister, die Gab‘,
die als Preis bestimmt ich hab.
Dem Sieger, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang
am Sankt-Johannis-Tag,
sei er, wer er auch mag,
dem geh‘ ich, ein Kunstgewogner,
von Nürnberg Veit Pogner,
mit all meinem Gut, wie’s geh‘ und steh‘,
Eva, mein einzig Kind, zur Eh‘.
DIE MEISTER
sich erhebend und sehr lebhaft durcheinander
Das heißt ein Wort! Ein Mann!
Da sieht man, was ein Nürnberger kann!
Drob preist man Euch noch weit und breit,
den wack’ren Bürger Pogner Veit!
Die LEHRBUBEN
lustig aufspringend
Alle Zeit, weit und breit:
Pogner Veit! Pogner Veit!
VOGELGESANG
Wer möchte da nicht ledig sein?
SACHS
Sein Weib gäb‘ mancher gern wohl drein!
KOTHNER
Auf, ledig‘ Mann! Jetzt macht euch ‚ran!
POGNER
Nun hört noch, wie ich’s ernstlich mein‘!
Die Meister setzen sich allmählich wieder nieder, die Lehrbuben ebenfalls
Ein‘ leblos‘ Gabe geh‘ ich nicht:
ein Mägdlein sitzt mit zu Gericht.
Den Preis erkennt die Meisterzunft;
doch gilt’s der Eh‘, so will’s Vernunft,
dass ob der Meister Rat
die Braut den Ausschlag hat.
BECKMESSER
zu Kothner gewandt
Dünkt Euch das klug?
KOTHNER
laut
Versteh‘ ich gut,
Ihr gebt uns in des Mägdleins Hut?
BECKMESSER
Gefährlich das!
KOTHNER
Stimmt es nicht bei,
wie wäre dann der Meister Urteil frei?
BECKMESSER
Lasst’s gleich wählen nach Herzensziel
und lasst den Meistergesang aus dem Spiel!
POGNER
Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!
Wem Ihr Meister den Preis zusprecht,
die Maid kann dem verwehren,
doch nie einen andren begehren.
Ein Meistersinger muss er sein:
nur wen Ihr krönt, den soll sie frei’n.
SACHS
erhebt sich
Verzeiht!
Vielleicht schon ginget Ihr zu weit.
Ein Mädchenherz und Meisterkunst
erglüh’n nicht stets in gleicher Brunst;
der Frauen Sinn, gar unbelehrt,
dünkt mich dem Sinn des Volks gleich wert.
Wollt Ihr nun vor dem Volke zeigen,
wie hoch die Kunst Ihr ehrt,
und lasst Ihr dem Kind die Wahl zu eigen,
wollt nicht, dass dem Spruch es wehrt:
so lasst das Volk auch Richter sein;
mit dem Kinde sicher stimmt’s überein.
VOGELGESANG, NACHTIGAL
Oho!
ALLE MEISTER
außer Sachs und Pogner
Das Volk? Ja, das wäre schön!
Ade dann Kunst und Meistertön‘!
KOTHNER
Nein, Sachs! Gewiss, das hat keinen Sinn,
gäbt Ihr dem Volk die Regeln hin?
SACHS
Vernehmt mich recht! Wie Ihr doch tut!
Gesteht, ich kenn die Regeln gut;
und dass die Zunft die Regeln bewahr‘,
bemüh‘ ich mich selbst schon manches Jahr.
Doch einmal im Jahre fänd‘ ich’s weise,
dass man die Regeln selbst probier‘,
ob in der Gewohnheit trägem Gleise
ihr‘ Kraft und Leben nicht sich verlier‘:
und ob Ihr der Natur noch seid auf rechter Spur,
das sagt Euch nur,
wer nichts weiß von der Tabulatur.
Die Lehrbuben springen auf und reiben sich die Hände
BECKMESSER
Hei! Wie sich die Buben freuen!
SACHS
eifrig fortfahrend
Drum möcht‘ es Euch nie gereuen,
dass jährlich am Sankt-Johannis-Fest,
statt dass das Volk man kommen lässt,
herab aus hoher Meister Wolk‘
Ihr selbst Euch wendet zu dem Volk.
Dem Volke wollt Ihr behagen;
nun dächt‘ ich, läg‘ es nah,
Ihr ließt es selbst Euch auch sagen,
ob das ihm zur Lust geschah.
Dass Volk und Kunst gleich blüh‘ und wachs‘,
bestellt Ihr so, mein‘ ich, Hans Sachs.
VOGELGESANG
Ihr meint’s wohl recht!
KOTHNER
Doch steht’s drum faul.
NACHTIGALL
Wenn spricht das Volk, halt‘ ich das Maul.
KOTHNER
Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,
läuft sie der Gunst des Volkes nach.
BECKMESSER
Drin bracht‘ er’s weit, der hier so dreist:
Gassenhauer dichtet er meist.
POGNER
Freund Sachs, was ich mein‘, ist schon neu:
zuviel auf einmal brächte Reu‘!
Er wendet sich zu den Meistern.
So frag‘ ich, ob den Meistern gefällt
Gab‘ und Regel, so wie ich’s gestellt?
Die Meister erheben sich beistimmend.
SACHS
Mir genügt der Jungfer Ausschlagstimm‘.
BECKMESSER
Der Schuster weckt doch stets mir Grimm!
KOTHNER
Wer schreibt sich als Werber ein?
Ein Junggesell‘ muss es sein.
BECKMESSER
Vielleicht auch ein Witwer? Fragt nur den Sachs!
SACHS
Nicht doch, Herr Merker! Aus jüng’rem Wachs
als ich und Ihr muss der Freier sein,
soll Evchen ihm den Preis verleih’n.
BECKMESSER
Als wie auch ich? Grober Gesell!
KOTHNER
Begehrt wer Freiung, der komm‘ zur Stell‘!
Ist jemand gemeld’t, der Freiung begehrt?
POGNER
Wohl, Meister! Zur Tagesordnung kehrt!
Und nehmt von mir Bericht,
wie ich auf Meisterpflicht
einen jungen Ritter empfehle,
der will, dass man ihn wähle
und heut als Meistersinger frei‘. –
Mein Junker Stolzing, kommt herbei!
Walther tritt hervor und verneigt sich
BECKMESSER
bei Seite
Dacht‘ ich mir’s doch! Geht’s da hinaus, Veit?
Laut
Meister, ich mein‘, zu spät ist’s der Zeit.
SCHWARZ und FOLTZ
Der Fall Soll man sich freu’n?
DIE ÜBRIGEN MEISTER
Ein Ritter gar?
VOGELGESANG, MOSER, EISSLINGER
Soll man sich freu’n?
ZORN, KOTHNER, NACHTIGALL, ORTEL
Wäre da Gefahr?
VOGELGESANG
Oder wär‘ Gefahr?
ALLE MEISTER
Immerhin hat’s ein groß‘ Gewicht,
dass Meister Pogner für ihn spricht.
KOTHNER
Soll uns der Junker willkommen sein,
zuvor muss er wohl vernommen sein.
POGNER
Vernehmt ihn wohl! Wünsch‘ ich ihm Glück,
nicht bleib‘ ich doch hinter der Regel zurück.
Tut, Meister, die Fragen!
KOTHNER
So mög‘ uns der Junker sagen:
ist er frei und ehrlich geboren?
POGNER
Die Frage gebt verloren,
da ich Euch selbst des Bürge steh‘,
dass er aus frei‘ und edler Eh‘:
von Stolzing Walther aus Frankenland,
nach Brief und Urkund‘ mir wohlbekannt.
Als seines Stammes letzter Spross
verließ er neulich Hof und Schloss
und zog nach Nürnberg her,
dass er hier Bürger wär‘.
BECKMESSER
Neu Junker-Unkraut! Tut nicht gut!
NACHTIGALL
Freund Pogners Wort Genüge tut.
SACHS
Wie längst von den Meistern beschlossen ist,
ob Herr, ob Bauer, hier nichts beschließt:
hier fragt sich’s nach der Kunst allein,
wer will ein Meistersinger sein.
KOTHNER
Drum nun frag‘ ich zur Stell‘:
welch Meisters seid Ihr Gesell‘?
WALTHER
Am stillen Herd in Winterszeit,
wann Burg und Hof mir eingeschneit,
wie einst der Lenz so lieblich lacht‘
und wie er bald wohl neu erwacht,
ein altes Buch, vom Ahn vermacht,
gab das mir oft zu lesen:
Herr Walther von der Vogelweid‘,
der ist mein Meister gewesen.
SACHS
Ein guter Meister!
BECKMESSER
Doch lang‘ schon tot;
wie lehrt‘ ihn der wohl der Regeln Gebot?
KOTHNER
Doch in welcher Schul‘ das Singen
mocht‘ Euch zu lernen gelingen?
WALTHER
Wann dann die Flur vom Frost befreit
und wiederkehrt die Sommerszeit,
was einst in langer Winternacht
das alte Buch mir kundgemacht,
das schallte laut in Waldespracht,
das hört‘ ich hell erklingen:
im Wald dort auf der Vogelweid‘,
da lernt‘ ich auch das Singen.
BECKMESSER
Oho! Von Finken und Meisen
lerntet Ihr Meisterweisen?
Das wird dann wohl auch darnach sein!
VOGELGESANG
Zwei art’ge Stollen fasst‘ er da ein.
BECKMESSER
Ihr lobt ihn, Meister Vogelgesang,
wohl weil vom Vogel er lernt‘ den Gesang?
KOTHNER
Was meint Ihr, Meister? Frag‘ ich noch fort?
Mich dünkt, der Junker ist fehl am Ort.
SACHS
Das wird sich bäldlich zeigen.
Wenn rechte Kunst ihm eigen
und gut er sie bewährt,
was gilt’s, wer sie ihn gelehrt?
KOTHNER
zu Walther
Seid Ihr bereit, ob Euch geriet
mit neuer Find‘ ein Meisterlied,
nach Dicht‘ und Weis‘ Eu’r eigen,
zur Stunde jetzt zu zeigen?
WALTHER
Was Winternacht, was Waldespracht,
was Buch und Hain mich wiesen;
was Dichtersanges Wundermacht
mir heimlich wollt‘ erschließen;
was Rosses Schritt beim Waffenritt,
was Reihentanz bei heit’rem Schanz
mir sinnend gab zu lauschen:
gilt es des Lebens höchsten Preis,
um Sang mir einzutauschen,
zu eignem Wort und eigner Weis‘
will einig mir es fließen,
als Meistersang, ob den ich weiß,
Euch Meistern sich ergießen.
BECKMESSER
Entnahmt Ihr was der Worte Schwall?
VOGELGESANG
Ei nun, er wagt’s!
NACHTIGALL
Merkwürd’ger Fall!
KOTHNER
Nun, Meister, wenn’s gefällt,
werd‘ das Gemerk bestellt. –
zu Walther
Wählt der Herr einen heiligen Stoff?
WALTHER
Was heilig mir, der Liebe Panier
schwing‘ und sing‘ ich mir zu Hoff .
KOTHNER
Das gilt uns weltlich. Drum allein,
Meister Beckmesser, schließt Euch ein!
BECKMESSER
erhebt sich und schreitet wie widerwillig dem Gemerke zu
Ein sau’res Amt, und heut’zumal!
Wohl gibt’s mit der Kreide manche Qual.
Er verneigt sich gegen Walther.
Herr Ritter, wisst:
Sixtus Beckmesser Merker ist.
Hier im Gemerk
verrichtet er still sein strenges Werk.
Sieben Fehler gibt er Euch vor,
die merkt er mit Kreide dort an:
wenn er über sieben Fehler verlor,
dann versang der Herr Rittersmann.
Er setzt sich im Gemerk
Gar fein er hört;
doch dass er Euch den Mut nicht stört,
säht Ihr ihm zu, so gibt er Euch Ruh‘
und schließt sich gar hier ein –
lässt Gott Euch befohlen sein.
Er streckt den Kopf höhnisch freundlich nickend heraus und verschwindet hinter dem zugezogenen Vorhange des Gemerks gänzlich
KOTHNER
winkt den Lehrbuben. Zu Walther:
Was Euch zum Liede Richt‘ und Schnur,
vernehmt nun aus der Tabulatur.
Zwei Lehrbuben haben die an der Wand aufgehängte Tafel der »Leges Tabulaturae« herabgenommen und halten sie Kothner vor; dieser liest daraus:
»Ein jedes Meistergesanges Bar
stell‘ ordentlich ein Gemäße dar
aus unterschiedlichen Gesätzen,
die keiner soll verletzen.
Ein Gesätz besteht aus zweenen Stollen,
die gleiche Melodei haben sollen;
der Stoll‘ aus etlicher Vers‘ Gebänd‘,
der Vers hat seinen Reim am End‘.
Darauf erfolgt der Abgesang,
der sei auch etlich‘ Verse lang
und hab‘ sein‘ besond’re Melodei,
als nicht im Stollen zu finden sei.
Derlei Gemäßes mehre Baren
soll ein jed‘ Meisterlied bewahren;
und wer ein neues Lied gericht’t,
das über vier der Silben nicht
eingreift in andrer Meister Weis‘,
dess Lied erwerb‘ sich Meisterpreis.« –
Er gibt die Tafel den Lehrbuben zurück; diese hängen sie wieder auf
Nun setzt Euch in den Singestuhl!
WALTHER
mit einem Schauer
Hier – in den Stuhl?
KOTHNER
Wie’s Brauch der Schul‘.
WALTHER
besteigt den Stuhl und setzt sich mit Widerstreben. Beiseite
Für dich, Geliebte, sei’s getan!
KOTHNER
sehr laut
Der Sänger sitzt.
BECKMESSER
unsichtbar im Gemerk, sehr grell
Fanget an!
WALTHER
Fanget an!
So rief der Lenz in den Wald,
dass laut es ihn durchhallt;
und wie in fern’ren Wellen
der Hall von dannen flieht,
von weither naht ein Schwellen,
das mächtig näher zieht;
es schwillt und schallt,
es tönt der Wald
von holder Stimmen Gemenge;
nun laut und hell schon nah zur Stell‘,
wie wächst der Schwall! Wie Glockenhall
ertost des Jubels Gedränge!
Der Wald, wie bald
antwortet er dem Ruf,
der neu ihm Leben schuf,
stimmte an
das süße Lenzeslied! –
Man hört aus dem Gemerk unnzutige Seufzer des Merkers und heftiges Anstreichen mit der Kreide. Auch Walther hat es gehört; nach kurzer Störung fährt er fort
In einer Dornenhecken,
von Neid und Gram verzehrt,
musst‘ er sich da verstecken,
der Winter, grimm-bewehrt.
Von dürrem Laub umrauscht
er lauert da und lauscht,
wie er das frohe Singen
zu Schaden könnte bringen. –
Er steht vom Stuhle auf
Doch:
fanget an!
So rief es mir in der Brust,
als noch ich von Liebe nicht wusst‘.
Da fühlt‘ ich’s tief sich regen,
als weckt‘ es mich aus dem Traum;
mein Herz mit bebenden Schlägen
erfüllte des Busens Raum:
das Blut, es wallt mit Allgewalt,
geschwellt von neuem Gefühle;
aus warmer Nacht mit Übermacht
schwillt mir zum Meer der Seufzer Heer
im wilden Wonnegewühle.
Die Brust wie bald
antwortet sie dem Ruf,
der neu ihr Leben schuf;
stimmt nun an
das hehre Liebeslied!
BECKMESSER
den Vorhang aufreißend
Seid Ihr nun fertig?
WALTHER
Wie fraget Ihr?
BECKMESSER
Mit der Tafel ward ich fertig schier.
Er hält die ganz mit Kreidestrichen bedeckte Tafel heraus; die Meister brechen in ein Gelächter aus
WALTHER
Hört doch! Zu meiner Frauen Preis
gelang‘ ich jetzt erst mit der Weis‘.
BECKMESSER
das Gemerk verlassend
Singt, wo Ihr wollt! Hier habt Ihr vertan.
Ihr Meister, schaut die Tafel Euch an:
so lang‘ ich leb‘, ward’s nicht erhört;
ich glaubt’s nicht, wenn Ihr’s all auch schwört!
WALTHER
Erlaubt Ihr’s, Meister, dass er mich stört?
Blieb ich von allen ungehört?
POGNER
Ein Wort, Herr Merker! Ihr seid gereizt!
BECKMESSER
Sei Merker fortan, wer danach geizt!
Doch dass der Junker hier versungen hat,
beleg‘ ich erst noch vor der Meister Rat.
Zwar wird’s ’ne harte Arbeit sein:
wo beginnen, da wo nicht aus noch ein?
Von falscher Zahl und falschem Gebänd‘
schweig‘ ich schon ganz und gar;
zu kurz, zu lang, wer ein End‘ da fänd‘!
Wer meint hier im Ernst einen Bar?
Auf »blinde Meinung« klag‘ ich allein:
sagt, konnt‘ ein Sinn unsinniger sein?
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Man ward nicht klug! Ich muss gestehn.
Ein Ende konnte keiner erseh’n.
BECKMESSER
Und dann die Weis‘! Welch tolles Gekreis‘
aus »Abenteuer«-, »blau Rittersporn«-Weis‘,
»hoch Tannen«- und »stolz Jüngling«-Ton!
KOTHNER
Ja, ich verstand gar nichts davon!
BECKMESSER
Kein Absatz wo, kein‘ Koloratur,
von Melodei auch nicht eine Spur!
ORTEL, dann FOLTZ
Wer nennt das Gesang?
MOSER
Es ward einem bang‘!
NACHTIGALL
Ja, ’s ward einem bang!
VOGELGESANG
Eitel Ohrgeschinder!
ZORN
Auch gar nichts dahinter!
KOTHNER
Und gar vom Singstuhl ist er gesprungen!
BECKMESSER
Wird erst auf die Fehlerprobe gedrungen?
Oder gleich erklärt, dass er versungen?
SACHS
der vom Beginne an Walther mit wachsendem Ernst zugehört hat, schreitet vor
Halt Meister! Nicht so geeilt!
Nicht jeder Eure Meinung teilt.
Des Ritters Lied und Weise,
sie fand ich neu, doch nicht verwirrt;
verließ er unsre Gleise,
schritt er doch fest und unbeirrt.
Wollt Ihr nach Regeln messen,
was nicht nach Eurer Regeln Lauf,
der eig’nen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!
BECKMESSER
Aha, schon recht! Nun hört Ihr’s doch:
den Stümpern öffnet Sachs ein Loch,
da aus und ein nach Belieben
ihr Wesen leicht sie trieben.
Singet dem Volk auf Markt und Gassen;
hier wird nach den Regeln nur eingelassen!
SACHS
Herr Merker, was doch solch ein Eifer?
Was doch so wenig Ruh‘?
Eu’r Urteil, dünkt mich, wäre reifer,
hörtet Ihr besser zu.
Darum, so komm‘ ich jetzt zum Schluss,
dass den Junker man zu End‘ hören muss.
BECKMESSER
Der Meister Zunft, die ganze Schul‘,
gegen den Sachs da sind wir Null.
SACHS
Verhüt‘ es Gott, was ich begehr‘,
dass das nicht nach den Gesetzen wär‘!
Doch da nun steht geschrieben:
»Der Merker werde so bestellt,
dass weder Hass noch Lieben
das Urteil trübe, das er fällt« –
Geht der nun gar auf Freiersfüßen,
wie sollt‘ er da die Lust nicht büßen,
den Nebenbuhler auf dem Stuhl
zu schmähen vor der ganzen Schul‘?
Walther flammt auf.
NACHTIGALL
Ihr geht zu weit!
KOTHNER
Persönlichkeit!
POGNER
Vermeidet, Meister, Zwist und Streit!
BECKMESSER
Ei, was kümmert doch Meister Sachsen,
auf was für Füssen ich geh?
Ließ er doch lieber Sorge sich wachsen,
dass mir nichts drück‘ die Zeh‘!
Doch seit mein Schuster ein großer Poet,
gar übel es um mein Schuhwerk steht.
Da seht, wie’s schlappt und überall klappt!
All seine Vers‘ und Reim‘ ließ ich ihm gern daheim,
Historien, Spiel‘ und Schwänke dazu,
brächt‘ er mir morgen die neuen Schuh‘!
SACHS
kratzt sich hinter den Ohren
Ihr mahnt mich da gar recht:
doch schickt sich’s, Meister, sprecht,
dass, find‘ ich selbst dem Eseltreiber
ein Sprüchlein auf die Sohl‘,
dem hochgelahrten Herrn Stadtschreiber
ich nichts drauf schreiben soll?
Das Sprüchlein, das Eu’r würdig sei,
mit all meiner armen Poeterei
fand ich noch nicht zur Stund‘;
doch wird’s wohl jetzt mir kund,
wenn ich des Ritters Lied gehört:
drum sing‘ er nun weiter ungestört!
Walther steigt in großer Aufregung auf den Singstuhl und blickt stehend herab
BECKMESSER
Nicht weiter! Zum Schluss!
ORTEL, MOSER, VOGELGESANG, NACHTIGALL
nacheinander
Genug!
ZORN, EISSLINGER
Zum Schluss!
KOTHNER
Genug! Zum Schluss.
SACHS
zu Walther
Singt dem Herrn Merker zum Verdruss!
BECKMESSER
Was sollte man da noch hören?
Wär’s nicht Euch zu betören?
Er holt aus dem Gemerk die Tafel herbei und hält sie während des Folgenden, von einem zum andern sich wendend, zur Prüfung den Meistern vor
WALTHER
Aus finst’rer Dornenhecken
die Eule rauscht‘ hervor,
tät‘ rings mit Kreischen wecken
der Raben heis’ren Chor:
BECKMESSER
Jeden Fehler groß und klein
seht genau auf der Tafel ein.
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Jawohl, so ist’s!
WALTHER
in nächt’gem Heer zu Hauf
wie krächzen all‘ da auf
mit ihren Stimmen, den hohlen,
die Elstern, Kräh’n und Dohlen!
BECKMESSER
»Falsch Gebänd«, »unredbare Worte«,
»Klebsilben«, hier »Laster« gar;
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Ich seh‘ es recht!
Mit dem Herrn Ritter steht es schlecht.
Mag Sachs von ihm halten, was er will,
hier in der Singschul‘ schweig‘ er still!
SACHS
beobachtet Walther entzückt
Ha, welch ein Mut!
Begeisterungsglut! –
WALTHER
Auf da steigt
mit gold’nem Flügelpaar
ein Vogel wunderbar:
sein strahlend hell Gefieder
licht in den Lüften blinkt;
BECKMESSER
»Äquivoca«, »Reim am falschen Orte«,
»verkehrt«, »verstellt« der ganze Bar;
ein »Flickgesang« hier zwischen den Stollen;
POGNER
Jawohl, ich seh’s, was mir nicht recht:
mit meinem Junker steht es schlecht!
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Bleibt einem jeden doch unbenommen,
wen er sich zum Genossen begehrt!
SACHS
Ihr Meister, schweigt doch und hört!
WALTHER
schwebt selig hin und wider,
zu Flug und Flucht mir winkt.
Es schwillt das Herz
vor süßem Schmerz,
POGNER
Weich‘ ich hier der Übermacht,
mir ahnet, dass mir’s Sorge macht.
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Wär‘ uns der erste best’willkommen,
was blieben die Meister dann wert?
SACHS
inständig
Hört, wenn Sachs Euch beschwört!
BECKMESSER
»blinde Meinung« allüberall;
SACHS
Herr Merker da, gönnt doch nur Ruh‘!
BECKMESSER
»unklare Wort’«, »Differenz«,
hier »Schrollen«,
da »falscher Atem«, hier »Überfall«.
WALTHER
der Not entwachsen Flügel;
es schwingt sich auf
zum kühnen Lauf,
aus der Städte Gruft
zum Flug durch die Luft,
dahin zum heimischen Hügel;
SACHS
Lasst and’re hören, gebt das nur zu!
Umsonst! All eitel‘ Trachten!
Kaum vernimmt man sein eig’nes Wort!
BECKMESSER
Ganz unverständliche Melodei!
Aus allen Tönen ein Mischgebräu!
SACHS
Des Junkers will keiner achten.
Das nenn‘ ich Mut, singt der noch fort!
POGNER
Wie gern säh‘ ich ihn angenommen,
WALTHER
dahin zur grünen Vogelweid‘,
wo Meister Walther einst mich freit‘;
da sing‘ ich hell und hehr
der liebsten Frauen Ehr‘;
DAVID und die LEHRBUBEN
sind von der Bank aufgestanden und nähern sich dem Gemerk, um welches sie einen Ring schließen und sich zum Reigen ordnen
Glück auf zum Meistersingen,
mögt Ihr Euch das Kränzlein erschwingen!
Sie fassen sich an und tanzen im Ringe immer lustiger um das Gemerk
BECKMESSER
Scheutet Ihr nicht das Ungemach,
Meister, zählt mir die Fehler nach!
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Hei wie sich der Ritter da quält!
POGNER
als Eidam wär‘ er mir gar wert;
SACHS
Das Herz auf dem rechten Fleck:
ein wahrer Dichter-Reck‘!
WALTHER
auf dann steigt,
ob Meister-Kräh’n ihm ungeneigt,
das stolze Minnelied. –
DAVID und die LEHRBUBEN
Das Blumenkränzlein aus Seiden fein
wird das dem Herrn Ritter beschieden sein?
BECKMESSER
Verloren hätt‘ er schon mit dem acht‘:
doch so weit wie der hat’s noch keiner gebracht!
POGNER
nenn‘ ich den Sieger jetzt willkommen,
wer weiß, ob ihn mein Kind erwählt?
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Der Sachs hat ihn sich erwählt! –
lachend
Hahaha!
SACHS
Mach‘ ich, Hans Sachs, wohl Vers‘ und Schuh‘,
ist Ritter der und Poet dazu.
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
’s ist ärgerlich gar!
Drum macht ein End‘!
BECKMESSER
Wohl über fünfzig, schlecht gezählt!
Sagt, ob Ihr Euch den zum Meister wählt?
POGNER
Gesteh ich’s, dass mich das quält,
ob Eva den Meister wählt!
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Auf, Meister, stimmt
und erhebt die Händ‘!
Die Meister erheben die Hände
WALTHER
Ade, Ihr Meister, hienied‘!
BECKMESSER
Nun, Meister, kündet’s an!
DIE MEISTER
ohne Sachs und Pogner
Versungen und vertan!
Er verlässt mit einer stolzen verächtlichen Gebärde den Stuhl und wendet sich rasch zum Fortgehen.
Alles geht in Aufregung auseinander; lustiger Tumult der Lehrbuben, welche sich des Gemerks des Singstuhls und der Meisterbänke bemächtigen, wodurch Gedränge und Durcheinander der nach dem Ausgange sich wendenden Meister entsteht. Sachs, der allein im Vordergrunde geblieben, blickt noch gedankenvoll nach dem leeren Singestuhl, als die Lehrbuben auch diesen erfassen. Während Sachs mit humoristisch-unmutiger Gebärde sich abwendet, fällt der Vorhang
ZWEITER AUFZUG
ERSTE SZENE
Die Bühne stellt im Vordergrund eine Straße im Längendurchschnitt dar, welche in der Mitte von einer schmalen Gasse, nach dem Hintergrunde zu krumm abbiegend, durchschnitten wird, so dass sich in Front zwei Eckhäuser darbieten, von denen das eine reichere – rechts – das Haus Pogners, das andere einfachere – links – das des Hans Sachs ist. – Vor Pogners Haus eine Linde; vor dem Sachsens ein Fliederbaum. Heiterer Sommerabend, im Verlaufe der ersten Auftritte allmählich einbrechende Nacht. David ist darüber her, die Fensterläden nach der Gasse zu von außen zu schließen. Andere Lehrbuben tun das gleiche bei anderen Häusern
LEHRBUBEN
an der Arbeit
Johannistag! Johannistag!
Blumen und Bänder, so viel man mag!
DAVID
leise für sich
Das Blumenkränzlein von Seiden fein
möcht‘ es mir balde beschieden sein!
MAGDALENE
ist mit einem Korbe am Arm aus Pogners Haus gekommen und sucht David unbemerkt sich zu nähern
Pst, David!
DAVID
nach der Gasse zu sich umwendend, heftig
Ruft ihr schon wieder?
Singt allein eure dummen Lieder!
Er wendet sich unwillig zur Seite
LEHRBUBEN
zuerst Magdalenes Stimme nachahmend
David, was soll’s? Wärst nicht so stolz,
schaut’st besser um, wärst nicht so dumm!
Johannistag! Johannistag!
Wie der nur die Jungfer Lene nicht kennen mag!
MAGDALENE
David, hör‘ doch! Kehr‘ dich zu mir!
DAVID
Ach, Jungfer Lene! Ihr seid hier?
MAGDALENE
auf ihren Korb deutend
Bring‘ dir was Gut’s; schau nur hinein!
Das soll für mein lieb‘ Schätzel sein.
Erst aber schnell, wie ging’s mit dem Ritter?
Du rietest ihm gut? Er gewann den Kranz?
DAVID
Ach, Jungfer Lene! Da steht’s bitter; der hat versungen und ganz vertan!
MAGDALENE
erschrocken
Versungen? Vertan?
DAVID
Was geht’s Euch nur an?
MAGDALENE
den Korb, nach welchem David die Hand ausstreckt, heftig zurückziehend
Hand von der Taschen! Nichts zu naschen!
Hilf Gott! Unser Junker vertan!
Sie geht mit Gebärden der Trostlosigkeit ins Haus zurück. David sieht verblüfft nach
Die LEHRBUBEN
welche unbemerkt nähergeschlichen waren und gelauscht hatten, präsentieren sich jetzt, wie glückwünschend, David
Heil, Heil zur Eh‘ dem jungen Mann!
Wie glücklich hat er gefreit!
Wir hörten’s all‘ und sahen’s an:
der er sein Herz geweiht,
für die er lässt sein Leben,
die hat ihm den Korb nicht gegeben.
DAVID
auffahrend
Was steht ihr hier faul?
Gleich haltet das Maul!
Die LEHRBUBEN
schließen einen Ring um David und tanzen um ihn
Johannistag! Johannistag!
Da freit ein jeder, wie er mag.
Der Meister freit, der Bursche freit!
Da gibt’s Geschlamb und Geschlumbfer.
Der Alte freit die junge Maid,
der Bursche die alte Jumbfer!
Juchhei! Juchhei! Johannistag!
David ist im Begriff wütend dreinzuschlagen, als Sachs, der aus der Gasse hervorgekommen, dazwischentritt. Die Lehrbuben fahren auseinander
SACHS
zu David
Was gibt’s? Treff‘ ich dich wieder am Schlag?
DAVID
Nicht ich! Schandlieder singen die.
SACHS
Hör‘ nicht drauf! Lern’s besser wie sie!
Zur Ruh‘! Ins Haus! Schließ und mach Licht!
Die Lehrbuben zerstreuen sich
DAVID
Hab ich heut Singstund‘?
SACHS
Nein, singst nicht
zur Straf‘ für dein heutig frech‘ Erdreisten.
Die neuen Schuh‘ steck mir auf den Leisten!
David und Sachs sind in die Werkstatt eingetreten und gehen durch eine innere Tür ab
ZWEITE SZENE
Pogner und Eva, vom Spaziergang heimkehrend, die Tochter leicht am Arme des Vaters eingehängt, sind schweigsam die Gasse heraufgekommen
POGNER
noch auf der Gasse, durch eine Klinze im Fensterladen von Sachs‘ Werkstatt spähend
Lass seh’n, ob Nachbar Sachs zu Haus?
Gern spräch‘ ich ihn. Trät‘ ich wohl ein?
David kommt mit Licht aus der Kammer, setzt sich damit an den Werktisch am Fenster und macht sich über die Arbeit her
EVA
spähend
Er scheint daheim:
kommt Licht heraus.
POGNER
Tu ich’s? Zu was doch? – Besser, nein!
Er wendet sich ab
Will einer Selt’nes wagen,
was ließ‘ er sich dann sagen? – –
Er sinnt nach
War er’s nicht, der meint‘, ich ging‘ zu weit?
Und blieb ich nicht im Geleise,
war’s nicht auf seine Weise?
Doch war’s vielleicht auch – Eitelkeit?
Er wendet sich zu Eva
Und du, mein Kind, du sagst mir nichts?
EVA
Ein folgsam Kind, gefragt nur spricht’s.
POGNER
Wie klug! Wie gut! – Komm, setz‘ dich hier
ein Weil‘ noch auf die Bank zu mir.
Er setzt sich auf die Steinbank unter der Linde
EVA
Wird’s nicht zu kühl?
‘s war heut‘ gar schwül.
POGNER
Nicht doch, ‘s ist mild und labend; gar lieblich lind der Abend.
Eva setzt sich zögernd und beklommen Pogner zur Seite
Das deutet auf den schönsten Tag,
der morgen soll erscheinen.
o Kind, sagt dir kein Herzensschlag,
welch Glück dich morgen treffen mag,
wenn Nüremberg, die ganze Stadt
mit Bürgern und Gemeinen,
mit Zünften, Volk und hohem Rat,
vor dir sich soll vereinen,
dass du den Preis, das edle Reis,
erteilest als Gemahl
dem Meister deiner Wahl?
EVA
Lieb‘ Vater, muss es ein Meister sein?
POGNER
Hör‘ wohl:
ein Meister deiner Wahl.
Magdalene erscheint an der Tür und winkt Eva
EVA
zerstreut
Ja – meiner Wahl! Doch tritt nur ein –
Laut zu Magdalene gewandt
Gleich, Lene, gleich! -zum Abendmahl.
Sie steht auf
POGNER
ärgerlich aufstehend
‘s gibt doch keinen Gast?
EVA
wie zuvor
Wohl den Junker?
POGNER
verwirrt
Wieso?
EVA
Sahst ihn heut‘ nicht?
POGNER
halb für sich nachdenklich zerstreut
Ward sein nicht froh. –
Sich zusammennehmend
Nicht doch! Was denn?
Sich vor die Stirn klopfend
Ei, werd ich dumm?
EVA
Lieb‘ Väterchen, komm! Geh‘, kleid‘ dich um!
POGNER
während er ins Haus vorangeht
Hm! – Was geht mir im Kopf doch ‚rum?
MAGDALENE
heimlich zu Eva
Hast was heraus?
EVA
ebenso
Blieb still und stumm.
MAGDALENE
Sprach David:
meint‘, er habe vertan.
EVA
erschrocken
Der Ritter! Hilf Gott, was fing‘ ich an?
Ach, Lene, die Angst! Wo was erfahren?
MAGDALENE
Vielleicht vom Sachs?
EVA
heiter
Ach, der hat mich lieb! Gewiss, ich geh‘ hin.
MAGDALENE
Lass drin nichts gewahren!
Der Vater merkt‘ es, wenn man jetzt blieb‘.
Nach dem Mahl:
dann hab ich dir noch was zu sagen,
im Abgehen auf der Treppe
was jemand geheim mir aufgetragen.
EVA
sich umwendend
Wer denn? Der Junker?
MAGDALENE:
Nichts da! Nein, Beckmesser!
EVA
Das mag was Rechtes sein!
Sie geht in das Haus, Magdalene folgt ihr
DRITTE SZENE
Sachs ist, in leichter Hauskleidung, von innen in die Werkstatt zurückgekommen. Er wendet sich zu David, der an seinem Werktische verblieben ist
SACHS
Zeig her! – ‘s ist gut. – Dort an die Tür
rück‘ mir Tisch und Schemel herfür! –
Leg‘ dich zu Bett! Steh‘ auf beizeit‘
verschlaf die Dummheit, sei morgen gescheit!
DAVID
während er den Tisch und Schemel richtet
Schafft Ihr noch Arbeit?
SACHS
Kümmert dich das?
DAVID
für sich
Was war nur der Lene? Gott weiß, was! –
Warum wohl der Meister heute wacht?
SACHS
Was stehst noch?
DAVID
Schlaft wohl, Meister!
SACHS
Gut‘ Nacht!
David geht in die der Gasse zu gelegene Kammer ab
SACHS
legt sich die Arbeit zurecht, setzt sich an der Tür auf den Schemel, lässt aber die Arbeit wieder liegen und lehnt, mit dem Arm auf den geschlossenen Unterteil des Türladens gestützt, sich zurück
Was duftet doch der Flieder
so mild, so stark und voll!
Mir löst es weich die Glieder,
will, dass ich was sagen soll.
Was gilt’s, was ich dir sagen kann?
Bin gar ein arm einfältig Mann!
Soll mir die Arbeit nicht schmecken,
gäbst, Freund, lieber mich frei;
tät‘ besser, das Leder zu strecken,
und ließ alle Poeterei.
Er nimmt heftig und geräuschvoll die Schusterarbeit vor. Lässt wieder ab, lehnt sich von neuem zurück und sinnt nach
Und doch, ‘s will halt nicht geh’n.
Ich fühl’s – und kann’s nicht versteh’n –
kann’s nicht behalten – doch auch nicht vergessen;
und fass ich es ganz – kann ich’s nicht messen!
Doch wie wollt‘ ich auch messen,
was unermesslich mir schien?
Kein‘ Regel wollte da passen
und war doch kein Fehler drin.
Es klang so alt und war doch so neu
wie Vogelsang im süßen Mai!
Wer ihn hört
und wahnbetört
sänge dem Vogel nach,
dem brächt‘ es Spott und Schmach. –
Lenzes Gebot, die süße Not,
die legt‘ es ihm in die Brust:
nun sang er, wie er musst‘!
Und wie er musst‘ – so konnt‘ er’s;
das merkt‘ ich ganz besonders.
Dem Vogel, der heut‘ sang,
dem war der Schnabel hold gewachsen:
macht‘ er den Meistern bang,
gar wohl gefiel‘ er doch Hans Sachsen.
Er nimmt mit heiterer Gelassenheit seine Arbeit vor
VIERTE SZENE
Eva ist auf die Straße getreten, hat sich schüchtern der Werkstatt genähert und steht jetzt unbemerkt an der Tür bei Sachs
EVA
Gut’n Abend, Meister! Noch so fleißig?
SACHS
fährt angenehm überrascht auf
Ei, Kind!
Lieb Evchen! Noch so spät?
Und doch, warum so spät noch, weiß ich:
die neuen Schuh‘?
EVA
Wie fehl er rät!
Die Schuh‘ hab ich noch gar nicht probiert;
sie sind so schön und reich geziert,
dass ich sie noch nicht an die Füß‘ mir getraut.
Sie setzt sich dicht neben Sachs auf den Steinsitz
SACHS
Doch sollst sie morgen tragen als Braut?
EVA
Wer wäre denn Bräutigam?
SACHS
Weiß ich das?
EVA
Wie wisst Ihr dann, dass ich Braut?
SACHS
Ei was! – Das weiß die Stadt.
EVA
Ja, weiß es die Stadt,
Freund Sachs gute Gewähr dann hat.
Ich dacht‘, er wüsst‘ mehr.
SACHS
Was sollt‘ ich wissen?
EVA
Ei seht doch! Werd ich’s ihm sagen müssen?
Ich bin wohl recht dumm?
SACHS
Das sag ich nicht.
EVA
Dann wärt Ihr wohl klug?
SACHS
Das weiß ich nicht.
EVA
Ihr wisst nichts? Ihr sagt nichts? Ei, Freund Sachs,
jetzt merk‘ ich wahrlich, Pech ist kein Wachs.
Ich hätt‘ Euch für feiner gehalten.
SACHS
Kind,
beid‘, Wachs und Pech, vertraut mir sind.
Mit Wachs strich ich die seid’nen Fäden,
damit ich dir die zieren Schuh‘ gefasst:
heut fass ich die Schuh‘ mit dicht’ren Drähten,
da gilt’s mit Pech für den derb’ren Gast.
EVA
Wer ist denn der? Wohl was Recht’s?
SACHS
Das mein‘ ich!
Ein Meister, stolz auf Freiers Fuß,
denkt morgen zu siegen ganz alleinig:
Herrn Beckmessers Schuh‘ ich richten muss.
EVA
So nehmt nur tüchtig Pech dazu:
da kleb‘ er drin und lass‘ mir Ruh‘!
SACHS
Er hofft dich sicher zu ersingen.
EVA
Wieso denn der?
SACHS
Ein Junggesell:
‘s gibt deren wenig dort zur Stell‘.
EVA
Könnt’s einem Witwer nicht gelingen?
SACHS
Mein Kind, der wär‘ zu alt für dich.
EVA
Ei, was! Zu alt? Hier gilt’s der Kunst,
wer sie versteht, der werb‘ um mich!
SACHS
Lieb‘ Evchen! Machst mir blauen Dunst?
EVA
Nicht ich! Ihr seid’s; Ihr macht mir Flausen!
Gesteht nur, dass Ihr wandelbar;
Gott weiß, wer Euch jetzt im Herzen mag hausen,
glaubt‘ ich mich doch drin so manches Jahr.
SACHS
Wohl, da ich dich gern auf den Armen trug?
EVA
Ich seh‘, ‘s war nur, weil Ihr kinderlos.
SACHS
Hatt‘ einst ein Weib und Kinder genug.
EVA
Doch starb Eure Frau, so wuchs ich groß.
SACHS
Gar groß und schön!
EVA
Da dacht‘ ich aus,
Ihr nähmt mich für Weib und Kind ins Haus.
SACHS
Da hätt‘ ich ein Kind und auch ein Weib!
‘s wär ein lieber Zeitvertreib!
Ja, ja! Das hast du dir schön erdacht.
EVA
Ich glaub‘, der Meister mich gar verlacht?
Am End‘ auch ließ‘ er sich gar gefallen,
dass unter der Nas‘ ihm weg vor allen
der Beckmesser morgen mich ersäng‘?
SACHS
Wer sollt’s ihm wehren, wenn’s ihm geläng‘?
Dem wüsst‘ allein dein Vater Rat.
EVA
Wo so ein Meister den Kopf nur hat!
Käm‘ ich zu Euch wohl, fänd‘ ich’s zu Haus?
SACHS
trocken
Ach ja! Hast recht! ‘s ist im Kopf mir kraus.
Hab heut manch‘ Sorg‘ und Wirr‘ erlebt:
da mag’s dann sein, dass was drin klebt.
EVA
wieder näher rückend
Wohl in der Singschul‘? ‘s war heut Gebot.
SACHS
Ja, Kind! Eine Freiung machte mir Not.
EVA
Ja, Sachs! Das hättet Ihr gleich soll’n sagen;
quält Euch dann nicht mit unnützen Fragen.
Nun sagt, wer war’s, der Freiung begehrt?
SACHS
Ein Junker, Kind, gar unbelehrt.
EVA
wie heimlich
Ein Ritter? Mein, sagt!
Und ward er gefreit?
SACHS
Nichts da, mein Kind! ‘s gab gar viel Streit.
EVA
So sagt! Erzählt, wie ging es zu?
Macht’s Euch Sorg‘, wie ließ‘ mir es Ruh‘?
So bestand er übel und hat vertan?
SACHS
Ohne Gnad‘ versang der Herr Rittersmann.
MAGDALENE
kommt zum Hause heraus und ruft leise
Pst! Evchen! Pst!
EVA
eifrig zu Sachs gewandt
Ohne Gnade? Wie?
Kein Mittel gäb’s, das ihm gedieh?
Sang er so schlecht, so fehlervoll,
dass nichts mehr zum Meister ihm helfen soll?
SACHS
Mein Kind, für den ist alles verloren,
und Meister wird der in keinem Land;
denn wer als Meister geboren,
der hat unter Meistern den schlimmsten Stand.
MAGDALENE
vernehmlicher rufend
Der Vater verlangt.
EVA
immer dringender zu Sachs
So sagt mir noch an,
ob keinen der Meister zum Freund er gewann?
SACHS
Das wär‘ nicht übel! Freund ihm noch sein!
Ihm, vor dem sich alle fühlten so klein?
Den Junker Hochmut, lasst ihn laufen,
mag er durch die Welt sich raufen;
was wir erlernt mit Not und Müh‘,
dabei lasst uns in Ruh‘ verschnaufen:
hier renn‘ er uns nichts über’n Haufen,
sein Glück ihm anderswo erblüh‘!
EVA
erhebt sich zornig
Ja, anderswo soll’s ihm erblühn
als bei euch garst’gen, neid’schen Mannsen;
wo warm die Herzen noch erglühen,
trotz allen tück’schen Meister Hansen! –
zu Magdalene
Gleich, Lene, gleich! Ich komme schon!
Was trüg‘ ich hier für Trost davon?
Da riecht’s nach Pech, dass Gott erbarm‘!
Brennt‘ er’s lieber, da würd‘ er doch warm!
Sie geht sehr aufgeregt mit Magdalene über die Straße hinüber und verweilt in großer Unruhe unter der Tür des Hauses
SACHS
sieht ihr mit bedeutungsvollem Kopfnicken nach
Das dacht‘ ich wohl. Nun heißt’s:
schaff Rat!
Er ist während des Folgenden damit beschäftigt, auch die obere Ladentüre so weit zu schießen dass sie nur ein wenig Licht noch durchlässt er selbst verschwindet so fast gänzlich
MAGDALENE
Hilf Gott! Wo bliebst du nur so spat? Der Vater rief.
EVA
Geh zu ihm ein:
ich sei zu Bett im Kämmerlein.
MAGDALENE
Nicht doch! Hör mich! Komm ich dazu?
Beckmesser fand mich, er lässt nicht Ruh‘,
zur Nacht sollst du dich ans Fenster neigen,
er will dir was Schönes singen und geigen,
mit dem er dich hofft zu gewinnen, das Lied,
ob das dir nach Gefallen geriet.
EVA
Das fehlte auch noch! – Käme nur er!
MAGDALENE
Hast David gesehn?
EVA
Was soll mir der?
Sie späht aus
MAGDALENE
für sich
Ich war zu streng; er wird sich grämen.
EVA
Siehst du noch nichts?
MAGDALENE
tut, als spähe sie
‘s ist, als ob Leut‘ dort kämen.
EVA
Wär‘ er’s?
MAGDALENE
Mach und komm jetzt hinan!
EVA
Nicht eh’r, bis ich sah den teuersten Mann!
MAGDALENE
Ich täuschte mich dort, er war es nicht.
Jetzt komm, sonst merkt der Vater die Geschicht‘!
EVA
Ach, meine Angst!
MAGDALENE
Auch lass uns beraten, wie wir des Beckmessers uns entladen.
EVA
Zum Fenster gehst du für mich.
Sie lauscht
MAGDALENE
Wie, ich? –
für sich
Das machte wohl David eiferlich?
Er schläft nach der Gassen! Hihi, ‘s wär‘ fein!
EVA
Da hör‘ ich Schritte.
MAGDALENE
zu Eva
Jetzt komm, es muss sein!
EVA
Jetzt näher!
MAGDALENE
Du irrst! ‘s ist nichts, ich wett‘.
Ei, komm! Du musst, bis der Vater zu Bett.
POGNERS STIMME
von innen
He! Lene! Eva!
MAGDALENE
‘s ist höchste Zeit!
Hörst du’s? Komm! Dein Ritter ist weit.
Sie zieht die sich sträubende Eva am Arm die Stufen zur Tür hinauf
FÜNFTE SZENE
Walther ist die Gasse heraufgekommen; jetzt biegt er um die Ecke herum: Eva erblickt ihn, reißt sich von Magdalene los und stürzt Walther auf die Straße entgegen
EVA
Da ist er!
MAGDALENE
Da haben wir’s! Nun heißt’s:
gescheit!
Sie geht eilig in das Haus
EVA
außer sich
Ja, Ihr seid es! Nein, du bist es!
Alles sag‘ ich, denn Ihr wisst es;
alles klag‘ ich, denn ich weiß es;
Ihr seid beides, Held des Preises
und mein einz’ger Freund!
WALTHER
leidenschaftlich
Ach, du irrst! Bin nur dein Freund, doch des Preises
noch nicht würdig, nicht den Meistern ebenbürtig.
Mein Begeistern fand Verachten,
und, ich weiß es, darf nicht trachten
nach der Freundin Hand!
EVA
Wie du irrst! Der Freundin Hand,
erteilt nur sie den Preis,
wie deinen Mut ihr Herz erfand,
reicht sie nur dir das Reis.
WALTHER
Ach nein, du irrst! Der Freundin Hand,
wär‘ keinem sie erkoren;
wie sie des Vaters Wille band,
mir war sie doch verloren.
»Ein Meistersinger muss er sein,
nur wen Ihr krönt, den darf sie frein!«
So sprach er festlich zu den Herr’n,
kann nicht zurück, möcht‘ er auch gern!
Das eben gab mir Mut;
wie ungewohnt mir alles schien,
ich sang voll Lieb‘ und Glut,
dass ich den Meisterschlag verdien‘.
Doch diese Meister!
wütend
Ha, diese Meister!
Dieser Reim-Gesetze Leimen und Kleister!
Mir schwillt die Galle,
das Herz mir stockt,
denk‘ ich der Falle,
darein ich gelockt!
Fort in die Freiheit!
Da hin gehör‘ ich,
da, wo ich Meister im Haus!
Soll ich dich frei’n heut,
dich nun beschwör‘ ich,
komm und folg mir hinaus!
Nichts steht zu hoffen;
keine Wahl ist offen!
Überall Meister,
wie böse Geister
seh‘ ich sich rotten,
mich zu verspotten:
mit den Gewerken,
aus den Gemerken,
aus allen Ecken,
auf allen Flecken
seh‘ ich zu Haufen
Meister nur laufen,
mit höhnendem Nicken
frech auf dich blicken,
in Kreisen und Ringeln
dich umzingeln,
näselnd und kreischend
zur Braut dich heischend,
als Meisterbuhle
auf dem Singestuhle,
zitternd und bebend,
hoch dich erhebend!
Und ich ertrüg‘ es, sollt‘ es nicht wagen,
gradaus tüchtig d’rein zu schlagen?
Man hört den starken Ruf eines Nachtwächterhorns
Ha! …
Er hat mit emphatischer Gebärde die Hand an das Schwert gelegt und starrt wild vor sich hin
EVA
fasst ihn besänftigend bei der Hand
Geliebter, spare den Zorn!
‘s war nur des Nachtwächters Horn.
Unter der Linde birg dich geschwinde;
hier kommt der Wächter vorbei.
MAGDALENE
ruft leise unter der Tür
Evchen! ‘s ist Zeit:
mach dich frei!
WALTHER
Du fliehst?
EVA
lächelnd
Muss ich denn nicht?
WALTHER
Entweichst?
EVA
mit zarter Bestimmtheit
Dem Meistergericht.
Sie verschwindet mit Magdalene im Hause
Der NACHTWÄCHTER
ist währenddem in der Gasse erschienen, kommt singend nach vorn, biegt um die Ecke von Pogners Haus und geht nach links ab
Hört, ihr Leut‘, und lasst euch sagen,
die Glock‘ hat zehn geschlagen:
bewahrt das Feuer und auch das Licht,
damit niemand kein Schad‘ geschicht!
Lobet Gott den Herrn!
SACHS
welcher hinter der Ladentür dem Gespräche gelauscht, öffnet jetzt, bei eingezogenem Lampenlicht, ein wenig mehr
Üble Dinge, die ich da merk‘:
eine Entführung gar im Werk!
Aufgepasst! Das darf nicht sein!
WALTHER
hinter der Linde
Käm‘ sie nicht wieder? o der Pein! –
Eva kommt in Magdalenes Kleidung aus dem Hause; die Gestalt gewahrend
Doch ja, sie kommt dort! –
Weh mir, nein! Die Alte ist’s! –
Eva erblickt Walther und eilt auf ihn zu
Doch aber – ja!
EVA
Das tör’ge Kind:
da hast du’s! Da!
Sie wirft sich ihm heiter an die Brust
WALTHER
hingerissen
O Himmel! Ja, nun wohl ich weiß,
dass ich gewann den Meisterpreis!
EVA
Doch nun kein Besinnen! Von hinnen! Von hinnen!
o wären wir schon fort!
WALTHER
Hier durch die Gasse:
dort
finden wir vor dem Tor Knecht und Rosse vor.
Nachtwächterhorn entfernt. Als sich beide wenden, um in die Gasse einzubiegen, lässt Sachs, nachdem er die Lampe hinter eine Glaskugel gestellt, durch die ganz wieder geöffnete Ladentür einen grellen Lichtschein quer über die Straße fallen, so dass Eva und Walther sich plötzlich hell beleuchtet sehen
EVA
Walther hastig zurückziehend
O weh, der Schuster!
Wenn er uns säh‘!
Birg dich! Komm ihm nicht in die Näh‘!
WALTHER
Welch and’rer Weg führt uns hinaus?
EVA
Dort durch die Straße:
doch der ist kraus,
ich kenn‘ ihn nicht gut;
auch stießen wir dort auf den Wächter.
WALTHER
Nun denn:
durch die Gasse!
EVA
Der Schuster muss erst vom Fenster fort.
WALTHER:
Ich zwing‘ ihn, dass er’s verlasse.
EVA
Zeig dich ihm nicht:
er kennt dich!
WALTHER
Der Schuster?
EVA
‘s ist Sachs!
WALTHER
Hans Sachs? Mein Freund!
EVA
Glaub’s nicht! Von dir Übles zu sagen nur wusst‘ er.
WALTHER
Wie, Sachs? Auch er? Ich lösch‘ ihm das Licht.
SECHSTE SZENE
Beckmesser ist, dem Nachtwächter nachschleichend, die Gasse heraufgekommen, hat nach den Fenstern von Pogners Haus gespäht und, an Sachsens Haus gelehnt, stimmt er jetzt seine mitgebrachte Laute
EVA
Walther zurückhaltend
Tu’s nicht! – Doch horch!
WALTHER
Einer Laute Klang.
Als Sachs den ersten Ton der Laute vernommen, hat er, von einem plötzlichen Einfall erfasst, das Licht wieder etwas eingezogen und öffnet leise den unteren Teil des Ladens
EVA
Ach, meine Not!
WALTHER
Wie, wird dir bang‘?
Der Schuster, sieh, zog ein das Licht. So sei’s gewagt!
EVA
Weh! Siehst du denn nicht? Ein and’rer kam und nahm dort Stand.
Sachs hat unvermerkt seinen Werktisch ganz unter die Tür gestellt Jetzt erlauscht er Evas Ausruf
WALTHER
Ich hör’s und seh’s:
ein Musikant. Was will der hier so spät des Nachts?
EVA
in Verzweiflung
‘s ist Beckmesser schon!
SACHS
Aha, ich dacht’s!
Er setzt sich leise zur Arbeit zurecht
WALTHER
Der Merker? Er in meiner Gewalt?
Drauf zu! Den Lung’rer mach‘ ich kalt!
EVA
Um Gott! So hör! Willst den Vater wecken?
Er singt ein Lied, dann zieht er ab.
Lass dort uns im Gebüsch verstecken. –
Was mit den Männern ich Müh‘ doch hab!
Sie zieht Walther hinter das Gebüsch auf die Bank unter der Linde. Beckmesser, eifrig nach dem Fenster lugend, klimpert voll Ungeduld heftig auf der Laute. Als er sich endlich auch zum Singen rüstet, schlägt Sachs sehr stark mit dem Hammer auf den Leisten, nachdem er soeben das Licht wieder hell auf die Straße hat fallen lassen.
SACHS
Jerum! Jerum! Hallo hallo he!
O ho! Trallalei! Trallalei! O ho!
BECKMESSER
springt ärgerlich von dem Steinsitz auf und gewahrt Sachs bei der Arbeit
Was soll das sein?
Verdammtes Schrein!
SACHS
Als Eva aus dem Paradies
von Gott dem Herrn verstoßen,
gar schuf ihr Schmerz der harte Kies
an ihrem Fuß, dem bloßen.
BECKMESSER
Was fällt dem groben Schuster ein?
SACHS
Das jammerte den Herrn,
WALTHER
flüsternd zu Eva
Was heißt das Lied? Wie nennt er dich?
SACHS
ihr Füßchen hatt‘ er gern,
EVA
flüsternd zu Walther
Ich hört‘ es schon:
‘s geht nicht auf mich.
SACHS
und seinem Engel rief er zu:
EVA
Doch eine Bosheit steckt darin.
SACHS
»Da, mach der armen Sünd’rin Schuh‘!
Und da der Adam, wie ich seh‘,
an Steinen dort sich stößt die Zeh‘,
dass recht fortan er wandeln kann,
so miss dem auch Stiefeln an!«
WALTHER
Welch Zögernis! Die Zeit geht hin!
BECKMESSER
tritt zu Sachs heran
Wie, Meister? Auf? Noch so spät zur Nacht?
SACHS
Herr Stadtschreiber! Was, Ihr wacht?
Die Schuh‘ machen Euch grosse Sorgen?
Ihr seht, ich bin dran:
Ihr habt sie morgen.
Er arbeitet
BECKMESSER
zornig
Hol‘ der Teufel die Schuh‘! Hier will ich Ruh‘!
SACHS
Jerum! Jerum!
Hallo hallo he!
Oho! Trallalei! Trallalei! O he!
O Eva, Eva! Schlimmes Weib,
das hast du am Gewissen,
WALTHER
zu Eva
Uns oder dem Merker? Wem spielt er den Streich?
SACHS
dass ob der Füß‘ am Menschenleib
EVA
zu Walther
Ich fürcht‘, uns dreien
gilt er gleich.
SACHS
jetzt Engel schustern müssen.
EVA
O weh der Pein.
Mir ahnt nichts Gutes!
SACHS
Blieb’st du im Paradies, da gab es keinen Kies.
WALTHER
Mein süßer Engel, sei guten Mutes!
SACHS
Um deiner jungen Missetat
hantier‘ ich jetzt mit Ahl‘ und Draht
EVA
Mich betrübt das Lied!
WALTHER
Ich hör‘ es kaum!
Du bist bei mir,
welch holder Traum!
Er zieht sie zärtlich an sich
SACHS
und ob Herrn Adams übler Schwäch‘
versohl‘ ich Schuh‘ und streiche Pech.
Wär‘ ich nicht fein ein Engel rein,
Teufel möchte Schuster sein!
Beckmesser drohend auf Sachs zufahrend
SACHS
Je –
Er unterbricht sich
BECKMESSER
Gleich höret auf!
Spielt Ihr mir Streich‘?
Bleibt Ihr tags und nachts Euch gleich?
SACHS
Wenn ich hier sing‘, was kümmert’s Euch?
Die Schuhe sollen doch fertig werden?
BECKMESSER
So schließt Euch ein und schweigt dazu still!
SACHS
Des Nachts arbeiten macht Beschwerden;
wenn ich da munter bleiben will,
so brauch‘ ich Luft und frischen Gesang;
drum hört, wie der dritte Vers gelang!
Er wichst den Draht ersichtlich
BECKMESSER
Er macht mich rasend!
SACHS
fortarbeitend
Jerum! Jerum!
Hallo hallo he!
BECKMESSER
Das grobe Geschrei!
SACHS
O ho! Trallalei! Trallalei! O he!
BECKMESSER
Am End‘ denkt sie gar, dass ich das sei!
Er hält sich die Ohren zu und geht verzweiflungsvoll, sich mit sich beratend, die Gasse vor dem Fenster auf und ab
SACHS
O Eva! Hör mein‘ Klageruf,
mein‘ Not und schwer Verdrüßen!
Die Kunstwerk‘, die ein Schuster schuf,
sie tritt die Welt mit Füssen!
Gäb‘ nicht ein Engel Trost,
der gleiches Werk erlost,
und rief‘ mich oft ins Paradies,
wie ich da Schuh‘ und Stiefel ließ‘!
Doch wenn mich der im Himmel hält,
dann liegt zu Füssen mir die Welt,
und bin in Ruh‘
Hans Sachs ein Schuh-
macher und Poet dazu.
BECKMESSER
Das Fenster geht auf!
Er späht nach dem Fenster, welches jetzt leise geöffnet wird und an welchem vorsichtig Magdalene in Evas Kleidung sich zeigt.
EVA
mit großer Aufgeregtheit
Mich schmerzt das Lied, ich weiß nicht wie!
O fort, lass uns fliehen!
WALTHER
auffahrend
Nun denn:
mit dem Schwert!
EVA
Nicht doch! Ach, halt!
BECKMESSER
Herrgott, ‘s ist sie!
WALTHER
die Hand vom Schwert nehmend
Kaum wär‘ er’s wert!
EVA
Ja, besser Geduld!
BECKMESSER
der, während Sachs fortfährt zu arbeiten und zu singen, in großer Aufregung mit sich beraten hat
Jetzt bin ich verloren, singt der noch fort!
EVA
O bester Mann,
dass ich so Not dir machen kann!
BECKMESSER
tritt zu Sachs an den Laden heran und klimpert, während des Folgenden mit dem Rücken der Gasse zugewandt, seitwärts auf der Laute, um Magdalene am Fenster festzuhalten
Freund Sachs! So hört doch nur ein Wort!
WALTHER
leise zu Eva
Wer ist am Fenster?
BECKMESSER
Wie seid Ihr auf die Schuh‘ versessen!
EVA
‘s ist Magdalene.
BECKMESSER
Ich hatt‘ sie wahrlich schon vergessen.
WALTHER
Das heiß‘ ich vergelten!
BECKMESSER
Als Schuster seid Ihr mir wohl wert,
WALTHER
Fast muss ich lachen.
BECKMESSER
als Kunstfreund doch weit mehr verehrt.
EVA
Wie ich ein End‘ und Flucht mir ersehne!
WALTHER
Ich wünscht‘, er möchte den Anfang machen.
Walther und Eva, auf der Bank sanft aneinandergelehnt, erfolgen des weiteren Sachs und Beckmesser mit wachsender Teilnahme
BECKMESSER
Eu’r Urteil, glaubt, das halt‘ ich hoch;
drum bitt‘ ich:
hört das Liedlein doch,
mit dem ich morgen möcht‘ gewinnen,
ob das auch recht nach Euren Sinnen.
Er klimpert wiederholt seitwärts nach dem Fenster gewandt
SACHS
Oha! Wollt mich beim Wahne fassen?
Mag mich nicht wieder schelten lassen.
»Seit sich der Schuster dünkt Poet,
gar übel es um Eu’r Schuhwerk steht.«
Ich seh‘, wie’s schlappt und überall klappt:
drum lass ich Vers und Reim‘
gar billig nun daheim,
Verstand und Witz und Kenntnis dazu,
mach‘ Euch für morgen die neuen Schuh‘.
BECKMESSER
kreischend
Lasst das doch sein! Das war ja nur Scherz.
Vernehmt besser, wie’s mir ums Herz!
Vom Volk seid Ihr geehrt,
auch der Pognerin seid Ihr wert.
Will ich vor aller Welt
nun morgen um die werben,
sagt, könnt’s mich nicht verderben,
wenn mein Lied ihr nicht gefällt?
Drum hört mich ruhig an;
und sang ich, sagt mir dann,
was Euch gefällt, was nicht,
dass ich mich danach richt‘.
Er klimpert wieder
SACHS
Ei, lasst mich doch in Ruh‘!
Wie käme solche Ehr‘ mir zu?
Nur Gassenhauer dicht‘ ich zum meisten,
drum sing‘ ich zur Gassen und hau‘ auf den Leisten.
Jerum! Jerum!
Hallo hallo he!
BECKMESSER
Verfluchter Kerl! Den Verstand verlier‘ ich
mit seinem Lied voll Pech und Schmierich! –
SACHS
O ho! Trallalei! Trallalei! O he!
BECKMESSER
Schweigt doch! Weckt Ihr die Nachbarn auf?
SACHS
Die sind’s gewohnt:
‘s hört keiner drauf. –
»O Eva, Eva!« –
BECKMESSER
in höchste Wut ausbrechend
O Ihr boshafter Geselle!
Ihr spielt mir heut‘ den letzten Streich!
Schweigt Ihr jetzt nicht auf der Stelle,
so denkt Ihr dran, das schwör‘ ich Euch.
Er klimpert wütend
Neidisch seid Ihr, nichts weiter,
dünkt Ihr Euch auch gleich gescheiter.
Dass andre auch was sind, ärgert Euch schändlich!
Glaubt, ich kenne Euch aus- und inwendlich!
Dass man Euch noch nicht zum Merker gewählt,
das ist’s, was den gallichten Schuster quält.
Nun gut! Solang‘ als Beckmesser lebt
und ihm noch ein Reim an den Lippen klebt,
solang‘ ich noch bei den Meistern was gelt‘,
ob Nürnberg »blüh‘ und wachs’«,
das schwör‘ ich Herrn Hans Sachs:
nie wird er je zum Merker bestellt!
Er klimpert in höchster Wut
SACHS
der ihm ruhig und aufmerksam zugehört hat
War das Eu’r Lied?
BECKMESSER
Der Teufel hol’s!
SACHS
Zwar wenig Regel:
doch klang’s recht stolz!
BECKMESSER
Wollt Ihr mich hören?
SACHS
In Gottes Namen
singt zu:
ich schlag‘ auf die Sohl‘ die Rahmen.
BECKMESSER
Doch schweigt Ihr still?
SACHS
Ei, singet Ihr,
die Arbeit, schaut, fördert’s auch mir.
BECKMESSER
Das verfluchte Klopfen wollt Ihr doch lassen?
SACHS
Wie sollt‘ ich die Sohl‘ Euch richtig fassen?
BECKMESSER
Was? Ihr wollt klopfen, und ich soll singen?
SACHS
Euch muss das Lied, mir der Schuh gelingen.
BECKMESSER
Ich mag keine Schuh‘!
SACHS
Das sagt Ihr jetzt;
in der Singschul‘ Ihr mir’s dann wieder versetzt.
Doch hört! Vielleicht sich’s richten lässt:
zwei-einig geht der Mensch am best.
Darf ich die Arbeit nicht entfernen,
die Kunst des Merkers möcht‘ ich erlernen.
Darin kommt Euch nun keiner gleich;
ich lern‘ sie nie, wenn nicht von Euch.
Drum singt Ihr nun, ich acht‘ und merk‘
und fördr‘ auch wohl dabei mein Werk.
BECKMESSER
Merkt immer zu; und was nicht gewann,
nehmt Eure Kreide und streicht mir‘s an.
SACHS
Nein, Herr! Da fleckten die Schuh‘ mir nicht,
mit dem Hammer auf den Leisten halt‘ ich Gericht.
BECKMESSER
Verdammte Bosheit! – Gott, und ‘s wird spät:
am End‘ mir die Jungfer vom Fenster geht!
Er klimpert eifrig
SACHS
aufschlagend
Fanget an! ‘s pressiert! Sonst sing‘ ich für mich!
BECKMESSER
Haltet ein! Nur das nicht! – Teufel, wie ärgerlich! –
Wollt Ihr Euch denn als Merker erdreisten,
nun gut, so merkt mit dem Hammer auf den Leisten;
nur mit dem Beding, nach den Regeln scharf,
aber nichts, was nach den Regeln ich darf.
SACHS
Nach den Regeln, wie sie der Schuster kennt,
dem die Arbeit unter den Händen brennt.
BECKMESSER
Auf Meisterehr‘?
SACHS
Und Schustermut!
BECKMESSER
Nicht einen Fehler:
glatt und gut!
Nachtwächterhorn sehr entfernt
SACHS
Dann gingt Ihr morgen unbeschuht.
WALTHER
leise zu Eva
Welch toller Spuk!
Mich dünkt’s ein Traum.
SACHS
auf den Steinsitz vor der Ladentür deutend
Setzt Euch denn hier!
BECKMESSER
zieht sich nach der Ecke des Hauses zurück
Lasst hier mich stehen!
WALTHER
den Singstuhl, scheint’s, verließ ich kaum!
SACHS
Warum so weit?
BECKMESSER
Euch nicht zu seh’n,
wie’s Brauch der Schul‘ vor dem Gemerk‘.
EVA
sanft an Walthers Brust gelehnt
Die Schläf‘ umwebt mir’s wie ein Wahn:
ob’s Heil, ob Unheil, was ich ahn‘?
SACHS
Da hör‘ ich Euch schlecht.
BECKMESSER
Der Stimme Stärk‘
ich so gar lieblich dämpfen kann.
Er stellt sich ganz um die Ecke, dem Fenster gegenüber, auf
SACHS
Wie fein! Nun gut denn! – Fanget an!
Beckmesser stimmt die in der Wut unversehens heraufgeschraubte D-Saite wieder herunter. Sachs holt mit dem Hammer aus
BECKMESSER
zur Laute
»Den Tag seh‘ ich erscheinen,
der mir wohlgefall’n tut…..
Sachs schlägt auf, Beckmesser schüttelt sich
»Da fasst mein Herz sich einen
Sachs schlägt auf, Beckmesser setzt heftig ab, singt aber weiter
guten und frischen –
Sachs hat aufgeschlagen, Beckmesser wendet sich wütend um die Ecke herum
Treibt Ihr hier Scherz? Was wär‘ nicht gelungen?
SACHS
Besser gesungen:
»Da fasst mein Herz sich einen guten,frischen -«
BECKMESSER
Wie sollt‘ sich das reimen
auf »Seh ich erscheinen«?
SACHS
Ist Euch an der Weise nichts gelegen?
Mich dünkt, sollt‘ passen Ton und Wort.
BECKMESSER
Mit Euch zu streiten?
Lasst von den Schlägen,
sonst denkt Ihr mir dran!
SACHS
Jetzt fahret fort!
BECKMESSER
Bin ganz verwirrt!
SACHS
So fangt noch mal an:
drei Schläg‘ ich jetzt pausieren kann.
BECKMESSER
für sich
Am besten, wenn ich ihn gar nicht beacht‘.
Wenn’s nur die Jungfer nicht irre macht!
Den Tag seh‘ ich erscheinen,
der mir wohl gefall’n tut;
da fasst mein Herz sich einen
guten und frischen Mut.
Da denk‘ ich nicht an Sterben,
Sachs schlägt
lieber an Werben
um jung‘ Mägdeleins Hand.
Sachs schlägt
Warum wohl aller Tage
schönster mag dieser sein?
Schlag. Ärgerlich
Allen hier ich es sage:
Schlag
weil ein schönes Fräulein
zwei Schläge
von ihrem lieb’n Herrn Vater,
Sachs schlägt und nickt ironisch beifällig
wie gelobt hat er,
viele kleine Schläge
ist bestimmt zum Eh’stand.
Fünf Schläge. Sehr ärgerlich
Wer sich getrau‘,
Schlag
der komm‘ und schau‘,
da steh’n die hold lieblich‘ Jungfrau,
drei Schläge
auf die ich all mein‘ Hoffnung bau‘:
Schlag
darum ist der Tag so schön blau,
viele Schläge
als ich anfänglich fand.«
Er bricht wütend um die Ecke auf Sachs los
BECKMESSER
Sachs! Seht, Ihr bringt mich um!
Wollt Ihr jetzt schweigen?
SACHS
Ich bin ja stumm!
Die Zeichen merkt‘ ich; wir sprechen dann:
derweil lassen die Sohlen sich an.
BECKMESSER
gewahrt, dass Magdalene sich vom Fenster entfernen will
Sie entweicht? Pst, pst! – Herrgott! Ich muss!
Um die Ecke herum die Faust gegen Sachs ballend
Sachs, Euch gedenk‘ ich die Ärgernuss!
Er macht sich zum zweiten Vers fertig
SACHS
mit dem Hammer nach dem Leisten ausholend
Merker am Ort! – Fahret fort!
BECKMESSER
immer stärker und atemloser
»Will heut‘ mir das Herz hüpfen,
Schlag
werben um Fräulein jung,
drei Schläge
doch tät‘ der Vater knüpfen
Schlag
daran ein‘ Bedingung
drei Schläge
für den, wer ihn beerben
will und auch werben
zwei Schläge
um sein Kindelein fein.
viele Schläge
Der Zunft ein bied’rer Meister
wohl sein‘ Tochter er liebt,
drei Schläge
doch zugleich auch beweist er,
zwei Schläge
was er auf die Kunst gibt:
ununterbrochene Schläge
zum Preise muss es bringen
im Meistersingen,
wer sein Eidam will sein.
Er stampft wütend mit den Füssen
Nun gilt es Kunst, dass mit Vergunst,
ohn‘ all schädlich gemeinen Dunst,
fortwährende Schläge
ihm glücke des Preises Gewunst,
war begehrt mit wahrer Inbrunst,
Sachs, welcher kopfschüttelnd es aufgibt, die einzelnen Fehler anzumerken, arbeitet hämmernd fort, um den Keil aus dem Leisten zu schlagen
um die Jungfrau zu frei’n.«
SACHS
über den Laden weit herausgelehnt
Seid Ihr nun fertig?
BECKMESSER
in höchster Angst
Wie fraget Ihr?
SACHS
hält die fertigen Schuhe triumphierend heraus
Mit den Schuhen ward ich fertig schier. –
Während er die Schuhe an den Bändern hoch in der Luft tanzen lässt
Das heiss ich mir echte Merkerschuh: –
mein Merkersprüchlein hört dazu! –
sehr kräftig
Mit lang und kurzen Hieben
steht’s auf der Sohl geschrieben:
da lest es klar
und nehmt es wahr,
und merkt’s Euch immerdar.
Gut Lied will Takt:
wer den verzwackt,
dem Schreiber mit der Feder
haut ihn der Schuster aufs Leder. –
Nun lauft in Ruh:
habt gute Schuh,
der Fuß Euch drin nicht knackt,
ihn hält die Sohl im Takt!
BECKMESSER
der sich ganz in die Gasse zurückgezogen hat und an die Mauer mit dem Rücken sich anlehnt, singt, um Sachs zu übertäuben, mit größter Anstrengung, schreiend und atemlos hastig, während er die Laute wütend nach Sachs schwingt
„Darf ich mich Meister nennen,
das bewähr ich heut gern,
weil ich nach dem Preis brennen
muss, dursten und hungern.
Nun ruf ich die neun Musen,
dass an sie blusen
mein dicht’rischen Verstand.
Wohl kenn ich alle Regeln,
halte gut Maß und Zahl;
doch Sprung und Überkegeln
wohl passiert je einmal,
wann der Kopf ganz voll Zagen
zu frei’n will wagen
um jung Mägdeleins Hand.
Er verschnauft sich
Ein Junggesell,
trug ich mein Fell,
mein Ehr, Amt, Würd und Brot zur Stell,
dass Euch mein Gesang wohl gefällt,
und mich das Jungfräulein erwähl,
wenn sie mein Lied gut fand.“ –
DAVID
hat den Fensterladen, dicht hinter Beckmesser, ein wenig geöffnet und lugt daraus hervor
Wer Teufel, hier? –
Er wird Magdalene gewahr
Und drüben gar?
Die Lene ist’s -, ich seh es klar!
Herrje, der war’s, den hat sie bestellt.
Der ist’s, der ihr besser als ich gefällt!
Nun warte, du kriegst’s!
Dir streich ich das Fell!
Er entfernt sich nach innen
NACHBARN
erst einige, dann immer mehr, öffnen während Beckmessers Lied in der Gasse die Fenster und gucken heraus
Was heult denn da?
Wer kreischt mit Macht?
Ist das erlaubt so spät zur Nacht?
Gebt Ruhe hier! ’s ist Schlafenszeit.
Mein‘, hört nur, wie dort der Esel schreit!
Ihr da! Seid still und schert Euch fort!
Heult, kreischt und schreit an andrem Ort!
Sie verlassen die Fenster und kommen nach und nach in Nachtkleidern einzeln auf die Straße heraus. – Sachs beobachtet noch eine Zeitlang den wachsenden Tumult, löscht aber alsbald sein Licht aus und schließt den Laden so weit, dass er, ungesehen, stets durch eine kleine Öffnung den Platz unter der Linde beobachten kann.Walther und Eva sehen mit wachsender Sorge dem anschwellenden Auflaufe zu; er schließt sie in seinen Mantel fest an sich und birgt sich hart an der Linde im Gebüsch, so dass beide fast ungesehen bleiben
7. SZENE
DAVID
ist, mit einem Knüppel bewaffnet, zurückgekommen, steigt aus dem Fenster und wirft sich auf Beckmesser
Zum Teufel mit dir, verdammter Kerl!
MAGDALENE
winkt David heftig zurück. Am Fenster, schreiend
Ach, Himmel! David! Gott, welche Not!
Zu Hilfe! Zu Hilfe!
Sie schlagen sich tot!
BECKMESSER
wehrt sich, will fliehen; David hält ihn am Kragen
Verfluchter Bursch!
Lässt du mich los?
DAVID
Gewiss! Die Glieder brech ich dir bloß!
Beckmesser und David balgen sich fortwährend; bald verschwinden sie gänzlich, bald kommen sie wieder in den Vordergrund, immer Beckmesser auf der Flucht. David ihn einholend, festhaltend und prügelnd
NACHBARN
an den Fenstern
Seht nach! Springt zu!
Da würgen sich zwei!
Sie kommen herab.
’s gibt Schlägerei!
ANDERE NACHBARN
in die Gasse laut schreiend
Heda! Herbei! ’s gibt Schlägerei:
da würgen sich zwei.
Ihr da, lasst los! Gebt freien Lauf!
Lasst ihr nicht los, wir schlagen drauf.
EIN NACHBAR
Ei, seht, auch Ihr hier?
Geht’s Euch was an?
EIN ZWEITER
Was sucht Ihr hier?
Hat man Euch was getan?
ERSTER NACHBAR
Euch kennt man gut.
ZWEITER NACHBAR
Euch noch viel besser.
ERSTER NACHBAR
Wieso denn?
ZWEITER NACHBAR
zuschlagend
Ei, so!
MAGDALENE
hinabschreiend
David! Beckmesser!
LEHRBUBEN
einzeln, dann mehr, von allen Seiten dazukommend
Herbei! Herbei! ’s gibt Keilerei!
EINIGE
’s sind die Schuster!
ANDERE
Nein, ’s sind die Schneider!
DIE ERSTEREN
Die Trunkenbolde!
DIE ANDEREN
Die Hungerleider!
DIE NACHBARN
auf der Gasse durcheinander
Euch gönnt ich’s schon lange
Wird euch wohl bange?
Das für die Klage!
Seht euch vor, wenn ich schlage!
Hat euch die Frau gehetzt?
Schau, wie es Prügel setzt!
Seid ihr noch nicht gewitzt?
Nun, schlagt doch! – Das sitzt!
Dass dich Halunken
gleich ein Donnerwetter träf!
Wartet, ihr Racker!
Massabzwacker! –
Esel! – Dummrian! –
Du Grobian! –
Lümmel du! –
Drauf und zu!
LEHRBUBEN
komen von allen Seiten dazu
Kennt man die Schlosser nicht?
Die haben’s sicher angericht’t!
Ich glaub, die Schmiede werden’s sein!
Die Schreiner seh ich dort beim Schein! –
Hei! Schaut die Schäffler dort beim Tanz!
Dort seh die Bader ich im Glanz;
herbei zum Tanz!
Krämer finden sich zur Hand
mit Gerstenstang und Zuckerkand,
mit Pfeffer, Zimt, Muskatennuss,
sie riechen schön,
doch machen viel Verdruss;
sie riechen schön,
und bleiben gern vom Schuss.
Seht nur, der Has
hat überall die Nas!
Meinst du damit etwa mich?
Mein ich damit etwa dich?
Immer mehr heran!
Lustig, wacker! jetzt geht’s erst recht an!
Hei, nun geht’s Plauz! hast du nicht gesehn!
Hast’s auf die Schnauz! –
Ha! nun geht’s: Krach! Hagelwetterschlag!
Wo es sitzt, da wächst nichts so bald nach!
Keilt euch wacker! Keiner weiche!
Haltet selbst Gesellen mutig stand!
Wer wich, ’s wär wahrlich eine Schand!
Wacker drauf und dran!
Wir stehen alle wie ein Mann!
Wie ein Mann
stehn wir alle fest zur Keilerei!
Bereits prügeln sich Nachbarn und Lebrbuben fast allgemein durcheinander
GESELLEN
mit Knitteln bewaffnet, kommen von verschiedenen Seiten dazu
Heda! Gesellen ‚ran!
Dort wird mit Streit und Zank getan;
da gibt’s gewiss noch Schlägerei;
Gesellen, haltet euch dabei!
’s sind die Weber! ’s sind die Gerber!
Die Preisverderber!
Dacht ich mir’s doch gleich:
spielen immer Streich!
Dort den Metzger Klaus
kenn ich heraus!
’s brennt manchem im Haus!
’s ist morgen der Fünfte!
Zünfte heraus! –
Hei, hier setzt’s Prügel!
Schneider mit dem Bügel!
Gürtler! – Spengler! – Zinngießer! –
Leimsieder! – Lichtgießer! –
Tuchscherer! Leinweber!
Immer dran! Immer drauf!
Schert euch selber fort
und macht euch heim!
Immer drauf und dran!
jetzt gilt’s, keiner weiche hier!
Zünfte! Zünfte! Heraus! –
DIE MEISTER
und älteren Bürger kommen von verschiedenen Seiten dazu
Was gibt’s denn da für Zank und Streit?
Das tost ja weit und breit!
Gebt Ruh und schert
euch jeder gleich nach Hause heim,
sonst schlag ein Hageldonnerwetter drein!
Stemmt euch hier nicht mehr zu Hauf,
oder sonst wir schlagen drein!
NACHBARINNEN
haben die Fenster geöffnet und gucken heraus
Was ist das für Zanken und Streit?
Da gibt’s gewiss noch Schlägerei!
Wär nur der Vater nicht dabei!
’s wird einem wahrlich angst und bang!
Heda! Ihr dort unten,
so seid doch nur gescheit!
Seid ihr denn Alle gleich
zu Streit und Zank bereit?
Seid ihr alle blind und toll?
Sind euch vom Wein denn
noch die Köpfe voll?
Mein! Dort schlägt sich mein Mann!
Hilfe! Der Vater! Der Vater!
Ach, sie haun ihn tot!
Hört keines mehr sein Wort!
Gott, welche Not!
Seht dort den Christian;
er walkt den Peter ab!
Auf, schreit zu Hilfe: Mord und Zeter! –
Gott, wie sie walken!
Die Köpf und Zöpfe wackeln hin und her!
Schafft Wasser, Wasser her! Wasser her!
das gießt ihn‘ auf die Köpf herab!
Die Rauferei ist allgemein geworden, Schreien und Toben
MAGDALENE
am Fenster, verzweifelt die Hände ringend
Ach Himmel! David! Gott! Welche Not!
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie schlagen sich tot!
mit größter Anstrengung
Hör doch nur, David!
So lass doch nur den Herrn dort los,
er hat mir nichts getan!
hinabspähend
So hör mich doch nur an!
Herrgott, er hält ihn noch!
Nein! David, ist er toll?
mit höchster Anstrengung
Ach, David, hör:
’s ist Herr Beckmesser!
POGNER
ist im Nachtgewand oben an das Fenster getreten
Um Gott! Eva! Schließ zu!
Ich seh, ob unt‘ im Hause Ruh!
Er zieht Magdalenen, welche jammernd die Hände nach der Gasse hinab gerungen, herein und schließt das Fenster
WALTHER
der bisher mit Eva sich hinter dem Gebüsch verborgen, fasst jetzt Eva dicht in den linken Arm und zieht mit der rechten Hand das Schwert
Jetzt gilt’s zu wagen,
sich durchzuschlagen!
Er dringt mit geschwungenem Schwert bis in die Mitte der Bühne vor, um sich mit Eva durch die Gasse durchzuhauen. Da springt Sachs mit einem kräftigen Satze aus dem Laden, bahnt sich mit geschwungenem Knieriemen den Weg bis zu Walther und packt diesen beim Arm
POGNER
auf der Treppe
He! Lene! Wo bist du?
SACHS
die halb ohnmächtige Eva die Treppe hinaufstoßend
Ins Haus, Jungfer Lene!
Pogner empfängt Eva und zieht sie in das Haus. – Sachs, mit einem Knieriemen David eines überhauend und mit einem Fußtritt ihn voran in den Laden stoßend, zieht Walther, den er mit der andren Hand fest gefasst hält, mit sich hinein und schließt sogleich fest hinter sich zu. Beckmesser, durch Sachs von David befreit, sucht sich eilig durch die Menge zu flüchten. – Im gleichen Augenblick, wo Sachs auf die Straße sprang, hörte man einen Hornruf des Nachtwächters. Alle suchen in eiliger Flucht nach allen Seiten hin das Weite, so dass die Bühne sehr bald gänzlich leer wird. Als die Straße und Gasse leer geworden und alle Häuser geschlossen sind, betritt der Nachtwächter die Bühne, reibt sich die Augen, siebt sich verwundert um und schüttelt den Kopf.
DER NACHTWÄCHTER
mit leise bebender Stimme
Hört, ihr Leut,
und lasst euch sagen,
die Glock hat
eilfe geschlagen:
bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk,
dass kein böser Geist eu’r Seel beruck!
Lobet Gott, den Herrn!
Hornruf. Der Vollmond tritt hervor und scheint hell in die Gasse hinein; der Nachtwächter schreitet langsam dieselbe hinab. Als der Nachtwächter um die Ecke biegt, fällt der Vorhang, genau mit dem letzten Takte
DRITTER AUFZUG
ERSTE SZENE
In Sachs‘ Werkstatt. Kurzer Raum. Im Hintergrund die halb geöffnete Ladentür, nach der Straße führend. Rechts zur Seite eine Kammertür. Links das nach der Gasse gehende Fenster, mit Blumenstöcken davor, zur Seite ein Werktisch. Sachs sitzt auf einem großen Lehnstuhle an diesem Fenster, durch welches die Morgensonne hell auf ihn hereinscheint: Er hat vor sich auf dem Schoße einen großen Folianten und ist im Lesen vertieft. David zeigt sich, von der Straße kommend, unter der Ladentür, er lugt herein, und da er Sachs gewahrt, fährt er zurück. Er versichert sich aber, dass Sachs ihn nicht bemerkt, schlüpft herein, stellt seinen mitgebrachten Korb auf den hinteren Werktisch beim Laden und untersucht seinen Inhalt:Er holt Blumen und Bänder und kramt sie auf dem Tische aus, endlich findet er auf dem Grunde eine Wurst und einen Kuchen und lässt sich sogleich an, diese zu verzehren, als Sachs, der ihn fortwährend nicht beachtet, mit starkem Geräusch eines der großen Blätter des Folianten umwendet
DAVID
fährt zusammen, verbirgt das Essen und wendet sich zurück
Gleich, Meister! Hier!
Die Schuh‘ sind abgegeben
in Herrn Beckmessers Quartier.
Mir war’s, als rieft Ihr mich eben?
beiseite
Er tut, als säh‘ er mich nicht?
Da ist er bös‘, wenn er nicht spricht! –
Er nähert sich sehr demütig langsam Sachs
Ach, Meister, wollt mir verzeih’n!
Kann ein Lehrbub‘ vollkommen sein?
Kenntet Ihr die Lene wie ich,
dann vergäbt Ihr mir sicherlich.
Sie ist so gut, so sanft für mich
und blickt mich oft an so innerlich.
Wenn Ihr mich schlagt, streichelt sie mich
und lächelt dabei holdseliglich.
Muss ich karieren, füttert sie mich
und ist in allem gar liebelich.
Nur gestern, weil der Junker versungen,
hab ich den Korb ihr nicht abgerungen.
Das schmerzte mich; und da ich fand,
dass nachts einer vor dem Fenster stand
und sang zu ihr und schrie wie toll,
da hieb ich ihm den Buckel voll.
Wie käm‘ nun da was Großes drauf an?
Auch hat’s uns’rer Liebe gar wohl getan.
Die Lene hat mir eben alles erklärt
und zum Fest Blumen und Bänder beschert.
Er bricht in größere Angst aus
Ach, Meister, sprecht doch nur ein Wort!
beiseite
Hätt‘ ich nur die Wurst und den Kuchen erst fort!
SACHS
hat unbeirrt immer weitergelesen. Jetzt schlägt er den Folianten zu. Von dem Geräusch erschrickt David so, dass er strauchelt und unwillkürlich vor Sachs auf die Knie fällt. Sachs sieht über das Buch, das er noch auf dem Schosse behält, hinweg, über David, welcher immer auf den Knien furchtsam nach ihm aufblickt, hin und heftet seinen Blick unwillkürlich auf den hinteren Werktisch. Sehr leise
Blumen und Bänder seh‘ ich dort!
Schaut hold und jugendlich aus!
Wie kamen mir die ins Haus?
DAVID
verwundert über Sachs‘ Freundlichkeit
Ei, Meister! ‘s ist heut festlicher Tag;
da putzt sich jeder, so schön er mag.
SACHS
immer leise, wie für sich
Wär‘ heut Hochzeitsfest?
DAVID
Ja, käm’s erst so weit, dass David die Lene freit!
SACHS
immer wie zuvor
‘s war Polterabend, dünkt mich doch?
DAVID
für sich
Polterabend? – Da krieg‘ ich’s wohl noch?
laut
Verzeiht das, Meister! Ich bitt‘, vergesst! Wir feiern ja heut‘ Johannisfest.
SACHS
Johannisfest?
DAVID
beiseite
Hört er heut‘ schwer?
SACHS
Kannst du dein Sprüchlein? Sag es her!
DAVID
ist allmählich zu stehen gekommen
Mein Sprüchlein? Denk‘, ich kann es gut.
beiseite
‘s setzt nichts! Der Meister ist wohlgemut! –
stark und grob
»Am Jordan Sankt Johannes stand« –
SACHS
Wa – was?
DAVID
lächelnd
Verzeiht, das Gewirr! Mich machte der Polterabend irr.
Er sammelt sich und stellt sich gehörig auf
»Am Jordan Sankt Johannes stand,
all‘ Volk der Welt zu taufen;
kam auch ein Weib aus fernem Land,
von Nürnberg gar gelaufen;
sein Söhnlein trug’s zum Uferrand,
empfing da Tauf‘ und Namen;
doch als sie dann sich heimgewandt,
nach Nürnberg wieder kamen,
in deutschem Land gar bald sich fand’s,
dass wer am Ufer des Jordans
Johannes war genannt,
an der Pegnitz hieß der Hans.«
sich besinnend
Hans? Hans!
Herr! Meister!
feurig
s ist heut Eu’r Namenstag!
Nein! Wie man so was vergessen mag!
Hier! Hier, die Blumen sind für Euch,
die Bänder – und was nur alles noch gleich?
Ja, hier schaut! Meister, herrlicher Kuchen!
Möchtet Ihr nicht auch die Wurst versuchen?
SACHS
immer ruhig, ohne seine Stellung zu verändern
Schön Dank, mein Jung‘, behalt’s für dich!
Doch heut auf die Wiese begleitest du mich.
Mit Blumen und Bändern putz‘ dich fein;
sollst mein stattlicher Herold sein.
DAVID
Sollt‘ ich nicht lieber Brautführer sein?
Meister, ach Meister! Ihr müsst wieder frein!
SACHS
Hätt’st wohl gern eine Meist’rin im Haus?
DAVID
Ich mein‘, es säh‘ doch viel stattlicher aus.
SACHS
Wer weiß! Kommt Zeit, kommt Rat.
DAVID
‘s ist Zeit!
SACHS
Dann wär‘ der Rat wohl auch nicht weit?
DAVID
Gewiss! Gehn schon Reden hin und wieder,
den Beckmesser, denk‘ ich, sängt Ihr doch nieder?
Ich mein‘, dass der heut‘ sich nicht wichtig macht.
SACHS
Wohl möglich! Hab mir’s auch schon bedacht. –
Jetzt geh‘ und stör‘ mir den Junker nicht!
Komm wieder, wenn du schön gericht’t.
DAVID
küsst Sachs gerührt die Hand
So war er noch nie, wenn sonst auch gut!
Kann mir gar nicht mehr denken, wie der Knieriemen tut!
Er packt alles zusammen und geht in die Kammer ab
SACHS
immer noch den Folianten auf dem Schoße, lehnt sich, mit untergestütztem Arme, sinnend darauf; es scheint, dass ihn das Gespräch mit David gar nicht aus seinem Nachdenken gestört hat
Wahn! Wahn! Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick‘
in Stadt- und Weltchronik,
den Grund mir aufzufinden,
warum gar bis aufs Blut
die Leut‘ sich quälen und schinden
in unnütz toller Wut!
Hat keiner Lohn noch Dank davon:
in Flucht geschlagen, wähnt er zu jagen.
Hört nicht sein eigen Schmerzgekreisch,
wenn er sich wühlt ins eig’ne Fleisch,
wähnt Lust sich zu erzeigen.
Wer gibt den Namen an?
kräftig
‘s ist halt der alte Wahn,
ohn‘ den nichts mag geschehen,
‘s mag gehen oder stehen!
Steht’s wo im Lauf,
er schläft nur neue Kraft sich an;
gleich wacht er auf,
dann schaut, wer ihn bemeistern kann!
Wie friedsam treuer Sitten
getrost in Tat und Werk,
liegt nicht in Deutschlands Mitten
mein liebes Nürenberg!
Er blickt mit freudiger Begeisterung ruhig vor sich hin
Doch eines Abends spat,
ein Unglück zu verhüten,
bei jugendheißen Gemüten,
ein Mann weiss sich nicht Rat;
ein Schuster in seinem Laden
zieht an des Wahnes Faden.
Wie bald auf Gassen und Straßen
fängt der da an zu rasen!
Mann, Weib, Gesell und Kind
fällt sich da an wie toll und blind;
und will’s der Wahn gesegnen,
nun muss es Prügel regnen,
mit Hieben, Stoß‘ und Dreschen
den Wutesbrand zu löschen.
Gott weiß, wie das geschah? –
Ein Kobold half wohl da!
Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht;
der hat den Schaden angericht’t.
Der Flieder war’s:
Johannisnacht. –
Nun aber kam Johannistag! –
Jetzt schau’n wir, wie Hans Sachs es macht,
dass er den Wahn fein lenken kann,
ein edler‘ Werk zu tun.
Denn lässt er uns nicht ruh’n
selbst hier in Nürenberg,
so sei’s um solche Werk‘,
die selten vor gemeinen Dingen
und nie ohn‘ ein’gen Wahn gelingen.
ZWEITE SZENE
Walther tritt unter der Kammertür ein. Er bleibt einen Augenblick dort stehen und blickt auf Sachs. Dieser wendet sich und lässt den Folianten auf den Boden gleiten
SACHS
Grüß Gott, mein Junker! Ruhtet Ihr noch?
Ihr wachtet lang: nun schlieft Ihr doch?
WALTHER
sehr ruhig
Ein wenig, aber fest und gut.
SACHS
So ist Euch nun wohl bass zumut?
WALTHER
immer sehr ruhig
Ich hatt‘ einen wunderschönen Traum.
SACHS
Das deutet Gut’s! Erzählt mir den.
WALTHER
Ihn selbst zu denken wag‘ ich kaum;
ich fürcht‘ ihn mir vergeh’n zu sehn.
SACHS
Mein Freund, das grad‘ ist Dichters Werk,
dass er sein Träumen deut‘ und merk‘.
Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan:
all Dichtkunst und Poeterei
ist nichts als Wahrtraumdeuterei.
Was gilt’s, es gab der Traum Euch ein,
wie heut‘ Ihr sollet Meister sein?
WALTHER
sehr ruhig
Nein, von der Zunft und ihren Meistern
wollt‘ sich mein Traumbild nicht begeistern.
SACHS
Doch lehrt‘ es wohl den Zauberspruch,
mit dem Ihr sie gewännet?
WALTHER
etwas lebhafter
Wie wähnt Ihr doch nach solchem Bruch,
wenn Ihr noch Hoffnung kennet!
SACHS
Die Hoffnung lass ich mir nicht mindern,
nichts stieß sie noch über’n Haufen.
Wär’s nicht, glaubt, statt Eure Flucht zu hindern,
wär‘ ich selbst mit Euch fortgelaufen!
Drum bitt ich, lasst den Groll jetzt ruh’n;
Ihr habt’s mit Ehrenmännern zu tun,
die irren sich und sind bequem,
dass man auf ihre Weise sie nähm‘.
Wer Preise erkennt und Preise stellt,
der will am End‘ auch, dass man ihm gefällt.
Eu’r Lied, das hat ihnen bang gemacht;
und das mit Recht:
denn wohlbedacht,
mit solchem Dicht‘- und Liebesfeuer
verführt man wohl Töchter zum Abenteuer;
doch für liebseligen Ehestand
man andre Wort‘ und Weisen fand.
WALTHER
lächelnd
Die kenn‘ ich nun auch seit dieser Nacht:
es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.
SACHS
lachend
Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu
hörtet Ihr auch! – Doch, lasst dem Ruh‘
und folgt meinem Rate, kurz und gut,
fasst zu einem Meisterliede Mut.
WALTHER
Ein schönes Lied, ein Meisterlied,
wie fass ich da den Unterschied?
SACHS
zart
Mein Freund! In holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt’gen Trieben
zum sel’gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen
mocht‘ vielen da gelingen:
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterzeit,
viel Not und Sorg‘ im Leben,
manch ehlich Glück daneben,
Kindtauf‘, Geschäfte, Zwist und Streit:
denen’s dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht, Meister nennt man die.
WALTHER
Ich lieb‘ ein Weib und will es frein,
mein dauernd Ehgemahl zu sein.
SACHS
Die Meisterregeln lernt beizeiten,
dass sie getreulich Euch geleiten
und helfen wohl bewahren,
was in der Jugend Jahren
mit holdem Triebe Lenz und Liebe
Euch unbewusst ins Herz gelegt,
dass Ihr das unverloren hegt.
WALTHER
Stehn sie nun in so hohem Ruf,
wer war es, der die Regeln schuf?
SACHS
Das waren hochbedürft’ge Meister,
von Lebensmüh‘ bedrängte Geister;
in ihrer Nöten Wildnis
sie schufen sich ein Bildnis,
dass ihnen bliebe der Jugendliebe
ein Angedenken klar und fest,
dran sich der Lenz erkennen lässt.
WALTHER
Doch, wem der Lenz schon lang entronnen,
wie wird er dem im Bild gewonnen?
SACHS
Er frischt es an, so oft er kann!
Drum möcht‘ ich, als bedürft’ger Mann,
will ich die Regeln Euch lehren,
sollt Ihr sie mir neu erklären.
Seht, hier ist Tinte, Feder, Papier:
ich schreib’s Euch auf, diktiert Ihr mir!
WALTHER
Wie ich’s begänne, wüsst‘ ich kaum.
SACHS
Erzählt mir Euren Morgentraum!
WALTHER
Durch Eurer Regeln gute Lehr‘
ist mir’s, als ob verwischt er wär‘.
SACHS
Grad‘ nehmt die Dichtkunst jetzt zur Hand;
mancher durch sie das Verlorene fand.
WALTHER
So wär’s nicht Traum, doch Dichterei?
SACHS
‘s sind Freunde beid‘, steh’n gern sich bei.
WALTHER
Wie fang‘ ich nach der Regel an?
SACHS
Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.
Gedenkt des schönen Traums am Morgen;
fürs and’re lasst Hans Sachs nur sorgen!
WALTHER
hat sich zu Sachs am Werktisch gesetzt, wo dieser das Gedicht Walthers nachschreibt. Er beginnt sehr leise, wie heimlich
»Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,
von Blüt‘ und Duft geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen, nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein, Gast ihm zu sein.«
SACHS
Das war ein Stollen:
nun achtet wohl,
dass ganz ein gleicher ihm folgen soll.
WALTHER
Warum ganz gleich?
SACHS
Damit man seh‘,
Ihr wähltet Euch gleich ein Weib zur Eh‘.
WALTHER
»Wonnig entragend dem seligen Raum
bot goldner Frucht heilsaft’ge Wucht
mit holdem Prangen dem Verlangen
an duft’ger Zweige Saum herrlich ein Baum.«
SACHS
Ihr schlosset nicht im gleichen Ton.
Das macht den Meistern Pein;
doch nimmt Hans Sachs die Lehr‘ davon,
im Lenz wohl müss‘ es so sein. –
Nun stellt mir einen Abgesang.
WALTHER
Was soll nun der?
SACHS
Ob Euch gelang,
ein rechtes Paar zu finden,
das zeigt sich jetzt an den Kinden.
Den Stollen ähnlich, doch nicht gleich,
an eig’nen Reim‘ und Tönen reich;
dass man’s recht schlank und selbstig find‘,
das freut die Eltern an dem Kind,
und Euren Stollen gibt’s den Schluss,
dass nichts davon abfallen muss.
WALTHER
»Sei Euch vertraut,
welch hehres Wunder mir gescheh’n:
an meiner Seite stand ein Weib,
so hold und schön ich nie geseh’n;
gleich einer Braut
umfasste sie sanft meinen Leib;
mit Augen winkend,
die Hand wies blinkend,
was ich verlangend begehrt,
die Frucht so hold und wert
vom Lebensbaum.«
SACHS
gerührt
Das nenn‘ ich mir einen Abgesang!
Seht, wie der ganze Bar gelang.
Nur mit der Melodei seid Ihr ein wenig frei;
doch sag‘ ich nicht, dass das ein Fehler sei;
nur ist’s nicht leicht zu behalten,
und das ärgert uns’re Alten! –
Jetzt richtet mir noch einen zweiten Bar,
damit man merk‘, welch‘ der erste war.
Auch weiß ich noch nicht, so gut Ihr’s gereimt,
was Ihr gedichtet, was Ihr geträumt.
WALTHER
»Abendlich glühend in himmlischer Pracht
verschied der Tag, wie dort ich lag;
aus ihren Augen Wonne zu saugen,
Verlangen einz’ger Macht in mir nur wacht‘.
Nächtlich umdämmert der Blick mir sich bricht!
Wie weit so nah‘ beschienen da
zwei lichte Sterne aus der Ferne
durch schlanker Zweige Licht hehr mein Gesicht.
Lieblich ein Quell
auf stiller Höhe dort mir rauscht;
jetzt schwellt er an sein hold‘ Getön‘,
so stark und süß ich’s nie erlauscht:
leuchtend und hell, wie strahlten die Sterne da schön;
zu Tanz und Reigen in Laub und Zweigen
der gold’nen sammeln sich mehr,
statt Frucht ein Sternenheer
im Lorbeerbaum.« –
SACHS
sehr gerührt
Freund!
Euer Traumbild wies Euch wahr;
gelungen ist auch der zweite Bar.
Wolltet Ihr noch einen dritten dichten?
Des Traumes Deutung würd‘ er berichten.
WALTHER
steht schnell auf
Wo fänd‘ ich die? Genug der Wort‘!
SACHS
erhebt sich gleichfalls und tritt mit freundlicher Entschiedenheit zu Walther
Dann Tat und Wort am rechten Ort!
Drum bitt‘ ich, merkt mir wohl die Weise:
gar lieblich drin sich’s dichten lässt:
und singt Ihr sie im weit’ren Kreise,
so haltet mir auch das Traumbild fest.
WALTHER
Was habt Ihr vor?
SACHS
Eu’r treuer Knecht
fand sich mit Sack und Tasch‘ zurecht;
die Kleider, drin am Hochzeitfest
daheim Ihr wolltet prangen,
die liess er her zu mir gelangen.
Ein Täubchen zeigt‘ ihm wohl das Nest,
darin sein Junker träumt!
Drum folgt mir jetzt ins Kämmerlein!
Mit Kleiden, wohlgesäumt,
sollen beide wir gezieret sein,
wenn’s Stattliches zu wagen gilt.
Drum kommt, seid Ihr gleich mir gesinnt.
Walther schlägt in Sachsens Hand ein; so geleitet ihn dieser ruhig festen Schrittes zur Kammer, deren Tür er ihm ehrerbietig öffnet und dann ihm folgt
DRITTE SZENE
Beckmesser. Sachs. Man gewahrt Beckmesser, welcher draußen vor dem Laden erscheint, in großer Aufregung hereinlugt und, da er die Werkstatt leer findet, hastig eintritt Er ist reich aufgeputzt, aber in sehr leidendem Zustande. Er blickt sich erst unter der Tür nochmals genau in der Werkstatt um, dann hinkt er vorwärts, zuckt aber zusammen und streicht sich den Rücken. Er macht wieder einige Schritte, knickt aber mit den Knien und streicht nun diese. Er setzt sich auf den Schusterschemel, fährt aber schnell schmerzhaft wieder auf. Er betrachtet sich den Schemel und gerät dabei in immer aufgeregteres Nachsinnen. Er wird von den verdrießlichsten Erinnerungen und Vorstellungen gepeinigt; immer unruhiger beginnt er sich den Schweiß von der Stirne zu wischen. Er hinkt immer lebhafter umher und starrt dabei vor sich hin. Als ob er von allen Seiten verfolgt wäre, taumelt er fliehend hin und her. Wie um nicht umzusinken, hält er sich an dem Werktisch, zu dem er hin geschwankt war, an und starrt vor sich hin. Matt und verzweiflungsvoll sieht er um sich; sein Blick fällt endlich durch das Fenster auf Pogners Haus; er hinkt mühsam an dasselbe heran, und, nach dem gegenüberliegenden Fenster ausspähend, versucht er, sich in die Brust zu werfen, als ihm sogleich der Ritter Walther einfällt. Ärgerliche Gedanken entstehen dadurch, gegen die er mit schmeichelndem Selbstgefühl anzukämpfen sucht. Die Eifersucht übermannt ihn; er schlägt sich vor den Kopf. Er glaubt die Verhöhnung der Weiber und Buben auf der Gasse zu vernehmen, wendet sich wütend ab und schmeißt das Fenster zu. Sehr verstört wendet er sich mechanisch wieder dem Werktische zu, indem er vor sich hinbrütend nach einer neuen Weise zu suchen scheint. Sein Blick fällt auf das von Sachs zuvor beschriebene Papier; er nimmt es neugierig auf, überfliegt es mit wachsender Aufregung und bricht endlich wütend aus
BECKMESSER
Ein Werbelied! Von Sachs! Ist’s wahr?
Ha! Jetzt wird mir alles klar!
Da er die Kammertür gehen hört, fährt er zusammen und steckt das Papier eilig in die Tasche
SACHS
im Festgewande, tritt ein, kommt vor und hält an, als er Beckmesser gewahrt
Sieh da, Herr Schreiber! Auch am Morgen?
Euch machen die Schuh‘ doch nicht mehr Sorgen?
BECKMESSER
Zum Teufel! So dünn war ich noch nie beschuht!
Fühl‘ durch die Sohl‘ den kleinsten Kies!
SACHS
Mein Merkersprüchlein wirkte dies,
trieb sie mit Merkerzeichen so weich.
BECKMESSER
Schon gut der Witz! Und genug der Streich‘!
Glaubt mir, Freund Sachs, jetzt kenn‘ ich Euch!
Der Spaß von dieser Nacht, der wird Euch noch gedacht.
Dass ich Euch nur nicht im Wege sei,
schuft Ihr gar Aufruhr und Meuterei!
SACHS
‘s war Polterabend, lasst Euch bedeuten;
Eure Hochzeit spukte unter den Leuten:
je toller es da hergeh‘, je besser bekommt’s der Eh‘.
BECKMESSER
wütend
O Schuster, voll von Ränken
und pöbelhaften Schwänken,
du warst mein Feind von je:
nun hör, ob hell ich seh‘!
Die ich mir auserkoren,
die ganz für mich geboren,
zu aller Witwer Schmach,
der Jungfer stellst du nach.
Dass sich Herr Sachs erwerbe
des Goldschmieds reiches Erbe,
im Meisterrat zur Hand
auf Klauseln er bestand,
ein Mägdlein zu betören,
das nur auf ihn sollt‘ hören
und, andern abgewandt,
zu ihm allein sich fand.
Darum! Darum!
Wär‘ ich so dumm?
Mit Schreien und mit Klopfen
wollt‘ er mein Lied zustopfen,
dass nicht dem Kind werd‘ kund,
wie auch ein and’rer bestund!
Ja ja! Haha! Hab ich dich da?
Aus seiner Schusterstuben
hetzt‘ endlich er den Buben
mit Knüppeln auf mich her,
dass meiner los er wär‘!
Au au! Au au! Wohl grün und blau,
zum Spott der allerliebsten Frau,
zerschlagen und zerprügelt,
dass kein Schneider mich aufbügelt!
Gar auf mein Leben war’s angegeben!
Doch kam ich noch so davon,
dass ich die Tat Euch lohn‘!
Zieht heut‘ nur aus zum Singen,
merkt auf, wie’s mag gelingen;
bin ich gezwackt auch und zerhackt,
Euch bring‘ ich doch sicher aus dem Takt!
SACHS
Gut Freund, Ihr seid in argem Wahn!
Glaubt, was Ihr wollt, dass ich getan,
gebt Eure Eifersucht nur hin;
zu werben kommt mir nicht in Sinn.
BECKMESSER
Lug und Trug! Ich kenn‘ es besser.
SACHS
Was fällt Euch nur ein, Meister Beckmesser?
Was ich sonst im Sinn, geht Euch nichts an.
Doch glaubt, ob der Werbung seid Ihr im Wahn.
BECKMESSER
Ihr sängt heut nicht?
SACHS
Nicht zur Wette.
BECKMESSER
Kein Werbelied?
SACHS
Gewisslich, nein!
BECKMESSER
Wenn ich aber drob ein Zeugnis hätte?
Er greift in die Tasche
SACHS
blickt auf den Werktisch
Das Gedicht? Hier ließ ich’s. Stecktet Ihr’s ein?
BECKMESSER
das Blatt hervorziehend
Ist das Eure Hand?
SACHS
Ja – war es das?
BECKMESSER
Ganz frisch noch die Schrift?
SACHS
Und die Tinte noch nass!
BECKMESSER
‘s wär‘ wohl gar ein biblisches Lied?
SACHS
Der fehlte wohl, wer darauf riet.
BECKMESSER
Nun denn?
SACHS
Wie doch?
BECKMESSER
Ihr fragt?
SACHS
Was noch?
BECKMESSER
Dass Ihr mit aller Biederkeit
der ärgste aller Spitzbuben seid!
SACHS
Mag sein! Doch hab ich noch nie entwandt,
was ich auf fremden Tischen fand –
und dass man von Euch auch nicht Übles denkt,
behaltet das Blatt, es sei Euch geschenkt.
BECKMESSER
in freudigem Schreck aufspringend
Herrgott! …
Ein Gedicht? … Ein Gedicht von Sachs!
Doch halt, dass kein neuer Schad‘ mir erwachs‘!
Ihr habt’s wohl schon recht gut memoriert?
SACHS
Seid meinethalb doch nur unbeirrt!
BECKMESSER
Ihr lasst mir das Blatt?
SACHS
Damit Ihr kein Dieb.
BECKMESSER
Und mach‘ ich Gebrauch?
SACHS
Wie’s Euch belieb‘.
BECKMESSER
Doch sing‘ ich das Lied?
SACHS
Wenn’s nicht zu schwer!
BECKMESSER
Und wenn ich gefiel‘?
SACHS
Das … wunderte mich sehr!
BECKMESSER
ganz zutraulich
Da seid Ihr nun wieder zu bescheiden:
ein Lied von Sachs,
gleichsam pfeifend
das will was bedeuten!
Und seht nur, wie mir’s ergeht,
wie’s mit mir Ärmsten steht!
Erseh‘ ich doch mit Schmerzen,
das Lied, das nachts ich sang –
dank Euren lust’gen Scherzen! –
es machte der Pognerin bang‘.
Wie schaff‘ ich mir nun zur Stelle
ein neues Lied herzu?
Ich armer, zerschlag’ner Geselle,
wie fänd‘ ich heut dazu Ruh‘?
Werbung und ehlich Leben,
ob das mir Gott beschied,
muss ich nun grad aufgeben,
hab ich kein neues Lied.
Ein Lied von Euch, des bin ich gewiss,
mit dem besieg‘ ich jed‘ Hindernis!
Soll ich das heute haben,
vergessen, begraben
sei Zwist, Hader und Streit
und was uns je entzweit.
Er blickt seitwärts in das Blatt: plötzlich runzelt sich seine Stirn
Und doch! Wenn’s nur eine Falle wär‘?
Noch gestern wart Ihr mein Feind:
Wie käm’s, dass nach so großer Beschwer‘
Ihr’s freundlich heut‘ mit mir meint?
SACHS
Ich macht‘ Euch Schuh‘ in später Nacht:
hat man je so einen Feind bedacht?
BECKMESSER
Ja ja! Recht gut! Doch eines schwört:
wo und wie Ihr das Lied auch hört,
dass nie Ihr Euch beikommen lasst,
zu sagen, das Lied sei von Euch verfasst.
SACHS
Das schwör‘ ich und gelob‘ es Euch,
nie mich zu rühmen, das Lied sei von mir.
BECKMESSER
sich vergnügt die Hände reibend
Was will ich mehr? Ich bin geborgen!
Jetzt braucht sich Beckmesser nicht mehr zu sorgen!
SACHS
Doch, Freund, ich führ’s Euch zu Gemüte
und rat‘ es Euch in aller Güte:
studiert mir recht das Lied!
Sein Vortrag ist nicht leicht:
ob Euch die Weise geriet
und Ihr den Ton erreicht!
BECKMESSER
Freund Sachs, Ihr seid ein guter Poet;
doch was Ton und Weise betrifft,
gesteht, da tut mir’s keiner vor!
Drum spitzt nur fein das Ohr.
Und:
»Beckmesser, keiner besser!«
darauf macht Euch gefasst,
wenn Ihr mich ruhig singen lasst.
Doch nun memorieren,
schnell nach Haus;
ohne Zeit zu verlieren
richt‘ ich das aus.
Hans Sachs, mein Teurer!
ich hab Euch verkannt;
durch den Abenteurer
war ich verrannt:
sehr zutraulich
So einer fehlte uns bloß!
Den wurden wir Meister doch los!
Doch mein Besinnen
läuft mir von hinnen.
Bin ich verwirrt
und ganz verirrt?
Die Silben, die Reime,
die Worte, die Verse:
ich kleb‘ wie am Leime,
und brennt doch die Ferse.
Ade, ich muss fort!
An andrem Ort
dank‘ ich Euch inniglich,
weil Ihr so minniglich;
für Euch nun stimme ich,
kauf‘ Eure Werke gleich,
mache zum Merker Euch:
doch fein mit Kreide weich,
nicht mit dem Hammerstreich!
Merker! Merker! Merker Hans Sachs!
Dass Nürnberg schusterlich blüh‘ und wachs‘!
Beckmesser nimmt tanzend von Sachs Abschied, taumelt und poltert der Ladentür zu; plötzlich glaubt er das Gedicht in seiner Tasche vergessen zu haben, läuft wieder vor, sucht ängstlich auf dem Werktische, bis er es in der eigenen Hand gewahr wird; darüber scherzhaft erfreut, umarmt er Sachs nochmals voll feurigen Dankes und stürzt dann, hinkend und strauchelnd, geräuschvoll durch die Ladentür ab
SACHS
sieht Beckmesser gedankenvoll lächelnd nach
So ganz boshaft doch keinen ich fand;
er hält’s auf die Länge nicht aus:
vergeudet mancher oft viel Verstand,
doch hält er auch damit Haus;
die schwache Stunde kommt für jeden,
da wird er dumm und lässt mit sich reden.
Dass hier Herr Beckmesser ward zum Dieb,
ist mir für meinen Plan sehr lieb.
Eva nähert sich auf der Straße der Ladentür. Sachs wendet sich um und gewahrt Eva
Sieh, Evchen! Dacht‘ ich doch, wo sie blieb‘!
VIERTE SZENE
Eva, reich geschmückt, in glänzender weißer Kleidung, etwas leidend und blass, tritt zum Laden herein und schreitet langsam vor
SACHS
Grüß Gott, mein Evchen! Ei, wie herrlich
und stolz du’s heute meinst!
Du machst wohl alt und jung begehrlich,
wenn du so schön erscheinst.
EVA
Meister! ‘s ist nicht so gefährlich:
und ist’s dem Schneider geglückt,
wer sieht dann, wo’s mir beschwerlich,
wo still der Schuh mich drückt?
SACHS:
Der böse Schuh! ‘s war deine Laun‘,
dass du ihn gestern nicht probiert.
EVA
Merk‘ wohl, ich hatt‘ zu viel Vertrau’n;
im Meister hatt‘ ich mich geirrt.
SACHS
Ei, ‘s tut mir leid! Zeig‘ her, mein Kind,
dass ich dir helfe gleich geschwind.
EVA
Sobald ich stehe, will es geh’n;
doch will ich geh’n, zwingt’s mich zu steh’n.
SACHS
Hier auf den Schemel streck den Fuß:
der üblen Not ich wehren muss.
Sie streckt einen Fuß auf dem Schemel am Werktisch aus.
Was ist’s mit dem?
EVA
Ihr seht, zu weit!
SACHS
Kind, das ist pure Eitelkeit,
der Schuh ist knapp.
EVA
Das sagt‘ ich ja:
drum drückt er mich an den Zehen da.
SACHS
Hier links?
EVA
Nein, rechts.
SACHS
Wohl mehr am Spann?
EVA
Hier, mehr am Hacken.
SACHS
Kommt der auch dran?
EVA
Ach Meister! Wüsstet Ihr besser als ich,
wo der Schuh mich drückt?
SACHS
Ei, ‘s wundert mich,
dass er zu weit und doch drückt überall?
Walther, in glänzender Rittertracht, tritt unter die Tür der Kammer. Eva stößt einen Schrei aus und bleibt, unverwandt auf Walther blickend, in ihrer Stellung, mit dem Fuße auf dem Schemel. Sachs, der vor ihr niedergebückt steht, bleibt mit dem Rücken der Tür zugekehrt, ohne Walthers Eintritt zu beachten. Walther, durch den Anblick Evas festgebannt, bleibt ebenfalls unbeweglich unter der Tür stehen.
Aha! Hier sitzt’s! Nun begreif‘ ich den Fall!
Kind, du hast recht:
‘s stak in der Naht.
Nun warte, dem Übel schaff‘ ich Rat.
Bleib nur so steh’n; ich nehm‘ dir den Schuh
eine Weil‘ auf den Leisten:
dann lässt er dir Ruh‘!
Er hat ihr sanft den Schuh vom Fuße gezogen; während sie in ihrer Stellung verbleibt, macht er sich am Werktisch mit dem Schuh zu schaffen und tut, als beachte er nichts anderes
SACHS
bei der Arbeit
Immer schustern, das ist nun mein Los;
des Nachts, des Tags komm‘ nicht davon los!
Kind, hör‘ zu! Ich hab mir’s überdacht,
was meinem Schustern ein Ende macht:
am besten, ich werbe doch noch um dich;
da gewänn‘ ich doch was als Poet für mich!
Du hörst nicht drauf? – So sprich doch jetzt!
Hast mir’s ja selbst in den Kopf gesetzt.
Schon gut! – Ich merk‘:
»Mach deinen Schuh!«..
Säng‘ mir nur wenigstens einer dazu!
Hörte heut‘ gar ein schönes Lied:
wem dazu wohl ein dritter Vers geriet?
WALTHER
den Blick unverwandt auf Eva geheftet
»Weilten die Sterne im lieblichen Tanz?
So licht und klar im Lockenhaar,
vor allen Frauen hehr zu schauen,
lag ihr mit zartem Glanz ein Sternenkranz. –
SACHS
immerfort arbeitend
Lausch, Kind, das ist ein Meisterlied!
WALTHER
Wunder ob Wunder nun bieten sich dar:
zwiefachen Tag ich grüßen mag;
denn gleich zwei’n Sonnen reinster Wonnen
der hehrsten Augen Paar nahm ich da wahr. –
SACHS
beiseite zu Eva
Derlei hörst du jetzt bei mir singen.
WALTHER
Huldreichstes Bild,
dem ich zu nahen mich erkühnt:
den Kranz, von zweier Sonnen Strahl
zugleich geblichen und ergrünt,
minnig und mild,
sie flocht ihn um das Haupt dem Gemahl.
SACHS
hat den Schuh zurückgebracht und ist jetzt darüber, ihn Eva wieder anzuziehen
Nun schau, ob dazu mein Schuh geriet?
WALTHER
Dort Huld-geboren, nun Ruhm-erkoren,
SACHS
Mein‘ endlich doch,
es tät‘ mir gelingen?
WALTHER
gießt paradiesische Lust sie in des Dichters Brust
SACHS
Versuch’s! Tritt auf! – Sag, drückt er dich noch?
WALTHER
im Liebestraum.«
Eva, die wie bezaubert regungslos gestanden, gesehen und gehört hat, bricht jetzt in heftiges Weinen aus, sinkt Sachs an die Brust und drückt ihn schluchzend an sich. Walther ist zu ihnen getreten; er drückt begeistert Sachs die Hand. Sachs tut sich endlich Gewalt an, reißt sich wie unmutig los und lässt dadurch Eva unwillkürlich an Walthers Schulter sich anlehnen
SACHS
Hat man mit dem Schuhwerk nicht seine Not!
Wär‘ ich nicht noch Poet dazu,
ich machte länger keine Schuh‘!
Das ist eine Müh‘, ein Aufgebot!
Zu weit dem einen, dem andern zu eng;
von allen Seiten Lauf und Gedräng‘:
da klappt’s, da schlappt’s,
hier drückt’s, da zwickt’s!
Der Schuster soll auch alles wissen,
flicken, was nur immer zerrissen
und ist er nun gar Poet dazu,
da lässt man am End‘ ihm auch da keine Ruh‘;
und ist er erst noch Witwer gar,
zum Narren hält man ihn fürwahr.
Die jüngsten Mädchen, ist Not am Mann,
begehren. er hielte um sie an.
Versteht er sie, versteht er sie nicht,
all eins, ob ja, ob nein er spricht:
am End‘ riecht er doch nach Pech
und gilt für dumm, tückisch und frech!
Ei, ‘s ist mir nur um den Lehrbuben leid;
der verliert mir allen Respekt;
die Lene macht‘ ihn schon nicht recht gescheit,
dass aus Töpf‘ und Tellern er leckt!
Wo Teufel er jetzt nur wieder steckt?
Er stellt sich, als wolle er nach David sehen
EVA
indem sie Sachs zurückhält und von neuem an sich zieht
O Sachs, mein Freund! Du teurer Mann!
Wie ich dir Edlem lohnen kann?
Was ohne deine Liebe, was wär‘ ich ohne dich,
ob je auch Kind ich bliebe,
erwecktest du mich nicht?
Durch dich gewann ich,
was man preist,
durch dich ersann ich,
was ein Geist!
Durch dich erwacht‘,
durch dich nur dacht‘
ich edel, frei und kühn,
du ließest mich erblüh’n!
Ja, lieber Meister, schilt mich nur!
Ich war doch auf der rechten Spur:
denn, hatte ich die Wahl,
nur dich erwählt‘ ich mir:
du warest mein Gemahl.
Den Preis reicht‘ ich nur dir! –
Doch nun hat’s mich gewählt
zu nie gekannter Qual:
und werd‘ ich heut‘ vermählt,
so war’s ohn‘ alle Wahl!
Das war ein Müssen, war ein Zwang!
Euch selbst, mein Meister, wurde bang‘.
SACHS
Mein Kind, von Tristan und Isolde
kenn‘ ich ein traurig Stück:
Hans Sachs war klug und wollte
nichts von Herrn Markes Glück.
‘s war Zeit, dass ich den Rechten fand,
wär‘ sonst am End‘ doch hineingerannt. –
Aha! Da streicht die Lene schon ums Haus:
Nur herein! – He, David! Kommst nicht heraus?
Magdalene, in festlichem Staate, tritt durch die Ladentür herein; David ebenfalls im Festkleid, mit Blumen und Bändern sehr reich und zierlich aufgeputzt, kommt zugleich aus der Kammer
Die Zeugen sind da, Gevatter zur Hand;
jetzt schnell zur Taufe, nehmt euren Stand.
Alle blicken ihn verwundert an
Ein Kind ward hier geboren;
jetzt sei ihm ein Nam‘ erkoren!
So ist’s nach Meisterweis‘ und Art,
wenn eine Meister-Weise geschaffen ward:
dass die einen guten Namen trag‘,
dran jeder sie erkennen mag.
Vernehmt, respektable Gesellschaft,
was euch hier zur Stell‘ schafft!
Eine Meisterweise ist gelungen,
von Junker Walther gedichtet und gesungen;
der jungen Weise lebender Vater
lud mich und die Pognerin zu Gevatter.
Weil wir die Weise wohl vernommen,
sind wir zur Taufe hierher gekommen.
Auch dass wir zur Handlung Zeugen haben,
ruf‘ ich Jungfer Lene und meinen Knaben.
Doch da’s zum Zeugen kein Lehrbube tut
und heut‘ auch den Spruch er gesungen gut,
so mach‘ ich den Burschen gleich zum Gesell;
knie nieder, David, und nimm diese Schell‘!
David ist niedergekniet: Sachs gibt ihm eine starke Ohrfeige
Steh‘ auf, Gesell‘, und denk‘ an den Streich;
du merkst dir dabei die Taufe zugleich! –
Fehlt sonst noch was, uns keiner schilt:
wer weiß, ob’s nicht gar einer Nottaufe gilt.
Dass die Weise Kraft behalte zum Leben,
will ich nur gleich den Namen ihr geben:
»Die selige Morgentraumdeut-Weise«
sei sie genannt zu des Meisters Preise.
Nun wachse sie gross, ohn‘ Schad‘ und Bruch.
Die jüngste Gevatterin spricht den Spruch.
Er tritt aus der Mitte des Halbkreises, der von den übrigen um ihn gebildet war, auf die Seite, so dass nun Eva in die Mitte zu stehen kommt
EVA
Selig, wie die Sonne
meines Glückes lacht,
Morgen voller Wonne
selig mir erwacht!
Traum der höchsten Hulden,
himmlisch‘ Morgenglüh’n!
Deutung euch zu schulden,
selig süß Bemüh’n!
Einer Weise mild und hehr
sollt‘ es hold gelingen,
meines Herzens süß Beschwer‘
deutend zu bezwingen.
SACHS
Vor dem Kinde lieblich hold
möcht‘ ich gern wohl singen;
doch des Herzens süß‘ Beschwer
galt es zu bezwingen.
WALTHER
Deine Liebe ließ mir es gelingen,
meines Herzens süß‘ Beschwer‘ deutend zu bezwingen.
MAGDALENE und DAVID
Wach‘ oder träum‘ ich schon so früh?
Das zu erklären macht mir Müh‘:
EVA
Ob es nur ein Morgentraum?
WALTHER
Ob es noch der Morgentraum?
SACHS
‘s war ein schöner Morgen-Traum:
EVA und WALTHER
Selig deut‘ ich mir es kaum.
Doch die Weise, was sie leise
mir/dir vertraut
WALTHER
im stillen Raum,
BEIDE
hell und laut,
in der Meister vollem Kreis
WALTHER
werbe sie um den höchsten Preis!
EVA
deute sie auf den höchsten Preis!
SACHS
dran zu deuten wag‘ ich kaum.
Diese Weise, was sie leise
mir anvertraut‘ im stillen Raum,
sagt mir laut:
auch der Jugend ew’ges Reis
grünt nur durch des Dichters Preis.
MAGDALENE und DAVID
‘s ist wohl nur ein Morgentraum?
Was ich seh‘, begreif‘ ich kaum!
DAVID
Ward zur Stelle gleich Geselle?
Lene Braut?
Im Kirchenraum wir gar getraut?
‘s geht der Kopf mir wie im Kreis,
dass Meister gar bald ich heiß‘!
MAGDALENE
Er zur Stelle gleich Geselle?
Ich die Braut?
Im Kirchenraum wir gar getraut?
Ja, wahrhaftig! ‘s geht:
wer weiß,
dass ich die Meist’rin bald heiß‘!
SACHS
zu den übrigen sich wendend
Jetzt all‘ am Fleck!
zu Eva
Den Vater grüß‘!
Auf nach der Wies‘, schnell auf die Füß‘!
Eva und Magdalene gehen
zu Walther
Nun, Junker, kommt! Habt frohen Mut! –
David, Gesell! Schließ‘ den Laden gut!
Als Sachs und Walther ebenfalls auf die Straße gehen und David über das Schließen der Ladentür sich hermacht, wird ein Vorhang von beiden Seiten zusammengezogen, so dass im Proszenium er die Szene gänzlich verschließt
FÜNFTE SZENE
Die Vorhänge sind nach der Höhe aufgezogen worden; die Bühne ist verwandelt. Diese stellt einen freien Wiesenplan, im ferneren Hintergrunde die Stadt Nürnberg. Die Pegnitz schlängelt sich durch den Plan, der schmale Fluss ist an den nächsten Punkten praktikabel gehalten. Buntbeflaggte Kähne setzen die ankommenden, festlich gekleideten Bürger der Zünfte mit Frauen und Kindern, an das Ufer der Festwiese über. Eine erhöhte Bühne mit Bänken und Sitzen darauf ist rechts zur Seite aufgeschlagen; bereits ist sie mit den Fahnen der angekommenen Zünfte geschmückt; im Verlaufe stecken die Fahnenträger der noch ankommenden Zünfte ihre Fahnen ebenfalls um die Sängerbühne auf so dass diese schließlich nach drei Seiten hin ganz davon eingefasst ist. Zelte mit Getränken und Erfrischungen aller Art begrenzen im übrigen die Seiten des vorderen Hauptraumes. Vor den Zelten geht es bereits lustig her: Bürger mit Frauen, Kindern und Gesellen sitzen und lagern daselbst. Die Lehrbuben der Meistersinger, festlich gekleidet, mit Blumen und Bändern reich und anmutig geschmückt, üben mit schlanken Stäben, die ebenfalls mit Blumen und Bändern geziert sind, in lustiger Weise das Amt von Herolden und Marschällen aus. Sie empfangen die am Ufer Aussteigenden, ordnen die Züge der Zünfte und geleiten diese nach der Sängerbühne, von wo aus, nachdem der Bannerträger die Fahne aufgepflanzt, die Zunftbürger und Gesellen sich unter den Zelten zerstreuen. Soeben werden die Schuster am Ufer empfangen und nach dem Vordergrunde geleitet
DIE SCHUSTER
mit fliegender Fahne aufziehend
Sankt Krispin, lobet ihn!
War gar ein heilig‘ Mann,
zeigt‘, was ein Schuster kann.
Die Armen hatten gute Zeit,
macht‘ ihnen warme Schuh‘;
und wenn ihm keiner ‘s Leder leiht,
so stahl er sich’s dazu.
Der Schuster hat ein weit Gewissen,
macht Schuhe selbst mit Hindernissen;
und ist vom Gerber das Fell erst weg,
dann streck, streck, streck!
Leder taugt nur am rechten Fleck.
Die Stadtwächter und Heerhornbläser mit Trompeten und Trommeln sowie die Stadtpfeifer, Lautenmacher usw. ziehen, auf ihren Instrumenten spielend, auf. Ihnen folgen Gesellen mit Kinderinstrumenten
DIE SCHNEIDER
mit fliegender Fahne aufziehend
Als Nürnberg belagert war
und Hungersnot sich fand,
wär‘ Stadt und Volk verdorben gar,
war nicht ein Schneider zur Hand,
der viel Mut hatt‘ und Verstand.
Hat sich in ein Bocksfell eingenäht,
auf dem Stadtwall da spazierengeht
und macht wohl seine Sprünge
gar lustig guter Dinge.
Der Feind, der sieht’s und zieht vom Fleck:
der Teufel hol‘ die Stadt sich weg,
hat’s drin noch so lustige Meck-meck-meck!
Meck! Meck! Meck!
Wer glaubt’s, dass ein Schneider im Bocke steck‘!
DIE BÄCKER
ziehen mit fliegender Fahne auf
Hungersnot! Hungersnot!
Das ist ein greulich Leiden!
Gäb‘ euch der Bäcker nicht täglich Brot,
müsst‘ alle Welt verscheiden.
Beck! Beck! Beck!
Täglich auf dem Fleck!
Nimm uns den Hunger weg!
DIE SCHUSTER
welche ihre Fahne aufgesteckt, begegnen beim Herabschreiten von der Sängerbühne den Bäckern
Streck! Streck! Streck!
Leder taugt nur am rechten Fleck.
DIE SCHNEIDER
nachdem die Fahne aufgesteckt, herabschreitend
Meck! Meck! Meck!
Wer meint, dass ein Schneider im Bocke steck‘!
Ein bunter Kahn mit jungen Mädchen in reicher bäuerischer Tracht kommt an
LEHRBUBEN
laufen nach dem Gestade
Herrje! Herrje! Mädel von Fürth!
Stadtpfeifer, spielt, dass’s lustig wird!
Sie heben die Mädchen aus dem Kahn. Das Charakteristische des Tanzes, mit welchem die Lehrbuben und Mädchen zunächst nach dem Vordergrund kommen, besteht darin, dass die Lehrbuben die Mädchen scheinbar nur an den Platz bringen wollen; sowie die Gesellen zugreifen wollen, ziehen die Buben die Mädchen aber immer wieder zurück, als ob sie sie anderswo unterbringen wollten, wobei sie den ganzen Kreis, wie wählend, ausmessen und somit die scheinbare Absicht anmutig und lustig verzögern
DAVID
kommt vom Landungsplatz vor und sieht missbilligend dem Tanze zu
Ihr tanzt? Was werden die Meister sagen?
Die Lehrbuben drehen ihm Nasen
Hört nicht? – Lass ich mir’s auch behagen!
Er nimmt sich ein junges, schönes Mädchen und gerät im Tanze mit ihr schnell in grosses Feuer. Die Zuschauer freuen sich und lachen
EINIGE LEHRBUBEN
winken David
David! David! Die Lene sieht zu!
DAVID
lässt das Mädchen erschrocken fahren, um das die Lehrbuben sogleich tanzend einen Kreis schließen. Da er Lene nirgends gewahrt, merkt David, dass er nur geneckt worden, durchbricht den Kreis, erfasst sein Mädchen wieder und tanzt noch feuriger weiter
Ach, lasst mich mit euren Possen in Ruh‘!
Die Buben suchen ihm das Mädchen zu entreißen, er wendet sich mit ihr jedesmal glücklich ab, so dass nun ein ähnliches Spiel entsteht wie zuvor, als die Gesellen nach den Mädchen fassten
GESELLEN
vom Ufer her
Die Meistersinger!
LEHRBUBEN
Die Meistersinger!
Sie unterbrechen schnell den Tanz und eilen zum Ufer
DAVID
Herrgott! Ade, ihr hübschen Dinger!
Er gibt dem Mädchen einen feurigen Kuss und reißt sich los
Die Lehrbuben reihen sich zum Empfang der Meistersinger. Das Volk macht ihnen willig Platz. Die Meistersinger ordnen sich am Landungsplatze zum festlichen Aufzuge. Wenn Kothner im Vordergrunde ankommt, wird die geschwungene Fahne, auf welcher König David mit der Harfe abgebildet ist, von allem Volk mit Hutschwenken begrüßt. Der Zug der Meistersinger ist nun auf der Singerbühne angelangt, wo Kothner die Fahne aufpflanzt. Pogner, Eva an der Hand führend, diese von festlich geschmückten, reich gekleideten jungen Mädchen, unter denen auch Magdalene, begleitet, voran. Als Eva, von den Mädchen umgeben, den mit Blumen geschmückten Ehrenplatz eingenommen und alle übrigen, die Meister auf den Bänken, die Gesellen hinter ihnen stehend, ebenfalls Platz genommen, treten die Lehrbuben, dem Volke zugewendet, feierlich vor die Bühne in Reih und Glied
LEHRBUBEN
Silentium! Silentium!
Sachs erhebt sich und tritt vor. Bei seinem Anblick stößt sich alles an; Hüte und Mützen werden abgezogen. Alle deuten auf ihn
Macht kein Reden und kein Gesumm‘.
EINIGE IM VOLK
Ha! Sachs! ‘s ist Sachs!
Seht Meister Sachs!
MEHRERE
Stimmt an! Stimmt an!
Alle Sitzenden erheben sich; die Männer bleiben mit entblößtem Haupte. Beckmesser bleibt, mit dem Memorieren des Gedichtes beschäftigt, hinter den anderen Meistern versteckt, so dass er bei dieser Gelegenheit der Beachtung des Publikums entzogen wird
ALLE
außer Sachs
Wach‘ auf, es nahet gen den Tag,
ich hör‘ singen im grünen Hag
ein‘ wonnigliche Nachtigal,
ihr‘ Stimm‘ durchdringet Berg und Tal;
die Nacht neigt sich zum Okzident,
der Tag geht auf von Orient,
die rotbrünstige Morgenröt‘
her durch die trüben Wolken geht.«
DAS VOLK
nimmt wieder eine jubelnd bewegte Haltung an und singt nun allein. Die Meister auf der Bühne sowie die anderen Teilnehmer am Gesange geben sich dem Schauspiele des Volksjubels hin
Heil Sachs! Heil dir, Sachs!
Heil Nürnbergs teurem Sachs! Heil! Heil!
Sachs, der unbeweglich, wie geistesabwesend, über die Menge hinweg geblickt hatte, richtet endlich seine Blicke vertrauter auf sie und beginnt mit ergriffener, schnell sich festigender Stimme
SACHS
Euch macht Ihr’s leicht, mir macht Ihr’s schwer,
gebt Ihr mir Armen zuviel Ehr‘.
Soll vor der Ehr‘ ich besteh’n,
sei’s, mich von Euch geliebt zu seh’n!
Schon grosse Ehr‘ ward mir erkannt,
ward heut‘ ich zum Spruchsprecher ernannt.
Und was mein Spruch Euch künden soll,
glaubt, das ist hoher Ehren voll!
Wenn Ihr die Kunst so hoch schon ehrt,
da galt es zu beweisen,
dass, wer ihr selbst gar angehört,
sie schätzt ob allen Preisen.
Ein Meister, reich und hochgemut,
der will heut‘ Euch das zeigen:
sein Töchterlein, sein höchstes Gut,
mit allem Hab und Eigen,
dem Singer, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang,
als höchsten Preises Kron‘
er bietet das zum Lohn.
Darum so hört und stimmt mir bei:
die Werbung steh‘ dem Dichter frei.
Ihr Meister, die Ihr’s Euch getraut,
Euch ruf‘ ich’s vor dem Volke laut:
erwägt der Werbung seltnen Preis,
und wem sie soll gelingen,
dass der sich rein und edel weiß
im Werben wie im Singen,
will er das Reis erringen,
das nie bei Neuen noch bei Alten
ward je so herrlich hoch gehalten
als von der lieblich Reinen,
die niemals soll beweinen,
dass Nürenberg mit höchstem Wert
die Kunst und ihre Meister ehrt.
Große Bewegung unter allen. Sachs geht auf Pogner zu, der ihm gerührt die Hand drückt
POGNER
O Sachs! Mein Freund! Wie dankenswert!
Wie wisst Ihr, was mein Herz beschwert!
SACHS
zu Pogner
‘s war viel gewagt! Jetzt habt nur Mut!
Er wendet sich zu Beckmesser, der fortwährend eifrig das Blatt mit dem Gedicht herausgezogen, memoriert, genau zu lesen versucht und oft verzweiflungsvoll sich den Schweiß getrocknet hat
Herr Merker! Sagt, wie steht es? Gut?
BECKMESSER
O dieses Lied! Werd‘ nicht draus klug
und hab‘ doch dran studiert genug!
SACHS
Mein Freund, ‘s ist Euch nicht aufgezwungen.
BECKMESSER
Was hilft’s? – Mit dem meinen ist doch versungen!
‘s war Eure Schuld! Jetzt seid hübsch für mich!
‘s wär‘ schändlich, ließt Ihr mich im Stich!
SACHS
Ich dächt‘, Ihr gäbt’s auf.
BECKMESSER
Warum nicht gar?
Die and’ren sing‘ ich alle zu Paar‘, wenn Ihr nur nicht singt!
SACHS
So seht, wie’s geht!
BECKMESSER
Das Lied! – bin’s sicher – zwar niemand versteht;
doch bau‘ ich auf Eure Popularität.
SACHS
Nun denn, wenn’s Meistern und Volk beliebt,
zum Wettgesang man den Anfang gibt.
KOTHNER
tritt vor
Ihr ledig‘ Meister, macht Euch bereit!
Der Ältest‘ sich zuerst anlässt:
Herr Beckmesser, Ihr fangt an, ‘s ist Zeit!
Die Lehrbuben führen Beckmesser zu einem kleinen Rasenhügel vor der Singerbühne, welchen sie zuvor festgerammt und reich mit Blumen überdeckt haben
BECKMESSER
strauchelt darauf, tritt unsicher und schwankt
Zum Teufel! Wie wackelig! Macht das hübsch fest!
Die Buben lachen unter sich und stopfen lustig am Rasen
DAS VOLK
stößt sich gegenseitig lustig an
Wie, der? Der wirbt? Scheint mir nicht der Rechte!
An der Tochter Stell‘ ich den nicht möchte.
Seid still! ‘s ist gar ein tücht’ger Meister!
Still! Macht keinen Witz;
der hat im Rate Stimm‘ und Sitz.
Ach, der kann ja nicht mal steh’n.
Wie soll es mit dem geh’n?
Er fällt fast um! Gott, ist der dumm!
Stadtschreiber ist er:
Beckmesser heißt er.
Gott, ist der dumm!
Still! Macht keinen Witz!
Er fällt fast um!
Der hat im Rate Stimm und Sitz!
Viele lachen
DIE LEHRBUBEN
in Aufstellung
Silentium! Silentium!
Macht kein Reden und kein Gesumm!
KOTHNER
Fanget an!
BECKMESSER
der sich endlich mit Mühe auf dem Rasenhügel festgestellt hat, macht eine erste Verbeugung gegen die Meister, eine zweite gegen das Volk, dann gegen Eva, auf welche er, da sie sich abwendet, nochmals verlegen hinblinzelt. Große Beklommenheit erfasst ihn; er sucht sich durch das Vorspiel auf der Laute zu ermutigen
»Morgen ich leuchte in rosigem Schein,
von Blut und Duft geht schnell die Luft; –
wohl bald gewonnen wie zerronnen –
im Garten lud ich ein – garstig und fein.«
Er versucht, besser auf den Füssen zu stehen. Die Meistersinger leise unter sich
DIE MEISTER
Mein! Was ist das?
Ist er von Sinnen?
Was ist das?
Ist er von Sinnen?
Höchst merkwürd’ger Fall! Was kommt ihm bei?
Woher mocht‘ er solche Gedanken gewinnen?
VOLK
leise unter sich
Sonderbar! Hört ihr’s? Wen lud er ein?
Verstand man recht? Wie kann das sein?
BECKMESSER
zieht das Blatt verstohlen hervor und lugt eifrig hinein; dann steckt er es ängstlich wieder ein
Wohn‘ ich erträglich im selbigen Raum,
hol‘ Gold und Frucht – Bleisaft und Wucht.
Er lugt in das Blatt
Mich holt am Pranger – der Verlanger –
auf luft’ger Steige kaum – häng‘ ich am Baum.«
Er wackelt wieder sehr; sucht im Blatt zu lesen, vermag es nicht,‘ ihm schwindelt, Angstschweiss bricht aus
DAS VOLK
Schöner Werber! Der find’t wohl seinen Lohn:
bald hängt er am Galgen; man sieht ihn schon.
DIE MEISTER
Was soll das heißen?
Ist er nur toll?
Sein Lied ist ganz von Unsinn voll!
BECKMESSER
rafft sich verzweiflungsvoll und ingrimmig auf
»Heimlich mir graut,
weil hier es munter will hergeh’n:
an meiner Leiter stand ein Weib,
sie schämt‘ und wollt‘ mich nicht beseh’n.
Bleich wie ein Kraut
umfasset mir Hanf meinen Leib; –
mit Augen zwinkend – der Hund blies winkend –
was ich vor langem verzehrt –
wie Frucht, so Holz und Pferd –
vom Leberbaum.«
Alles bricht in ein dröhnendes Gelächter aus
BECKMESSER
verlässt wütend den Hügel und stürzt auf Sachs zu
Verdammter Schuster, das dank‘ ich dir!
Das Lied, es ist gar nicht von mir.
Von Sachs, der hier so hoch verehrt,
von Eurem Sachs ward mir’s beschert!
Mich hat der Schändliche bedrängt,
sein schlechtes Lied mir aufgehängt.
Er stürzt wütend fort und verliert sich unter dem Volke
VOLK
Mein! Was soll das sein? Jetzt wird’s immer bunter!
Von Sachs das Lied? Das nähm‘ uns doch wunder!
KOTHNER
Erklärt doch, Sachs!
NACHTIGALL
Welch ein Skandal!
VOGELGESANG
Von Euch das Lied?
ORTEL und FOLTZ
Welch eig’ner Fall!
SACHS
hat ruhig das Blatt, welches ihm Beckmesser hingeworfen, aufgenommen
Das Lied fürwahr ist nicht von mir.
Herr Beckmesser irrt wie dort so hier!
Wie er dazu kam, mag selbst er sagen;
doch möcht‘ ich nie mich zu rühmen wagen,
ein Lied, so schön wie dies erdacht,
sei von mir, Hans Sachs, gemacht.
MEISTERSINGER
Wie? Schön? Dieser Unsinnswust!
VOLK
Hört, Sachs macht Spaß! Er sagt es nur zur Lust.
SACHS
Ich sag‘ Euch Herrn, das Lied ist schön:
nur ist’s auf den ersten Blick zu ersehn,
dass Freund Beckmesser es entstellt.
Doch schwör‘ ich, dass es Euch gefällt,
wenn richtig Wort‘ und Weise
hier einer säng‘ im Kreise.
Und wer dies verstünd‘, zugleich bewies‘,
dass er des Liedes Dichter
und gar mit Rechte Meister hieß‘,
fänd‘ er gerechte Richter.
Ich bin verklagt und muss besteh’n:
drum lasst mich meinen Zeugen auserseh’n!
Ist jemand hier, der Recht mir weiß,
der tret‘ als Zeug‘ in diesen Kreis!
Walther tritt aus dem Volke hervor und begrüßt Sachs, sodann Meister und Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Es entsteht sogleich eine angenehme Bewegung. Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung
So zeuget, das Lied sei nicht von mir,
und zeuget auch, dass, was ich hier
vom Lied hab‘ gesagt, zuviel nicht sei gewagt.
DIE MEISTER
Wie fein ist Sachs! Ei Sachs, Ihr seid gar fein!
Doch mag es heut‘ geschehen sein!
SACHS
Der Regel Güte daraus man erwägt,
dass sie auch mal ‘ne Ausnahm‘ verträgt.
DAS VOLK
Ein guter Zeuge, stolz und kühn!
Mich dünkt, dem kann wohl was Gut’s erblühn.
SACHS
Meister und Volk sind gewillt
zu vernehmen, was mein Zeuge gilt.
Herr Walther von Stolzing, singt das Lied!
Ihr Meister lest, ob’s ihm geriet.
Er übergibt Kothner das Blatt zum Nachlesen
DIE LEHRBUBEN
in Aufstellung
Alles gespannt! ‘s gibt kein Gesumm.
Da rufen wir auch nicht Silentium!
WALTHER
beschreitet festen Schrittes den kleinen Blumenhügel
»Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,
von Blüt‘ und Duft geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen, nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein –
Kothner lässt das Blatt, in welchem er mit den anderen Meistern eifrig nachzulesen begonnen, vor Ergriffenheit unwillkürlich fallen; er und die übrigen hören nur noch teilnahmsvoll zu
Wie entrückt.
dort unter einem Wunderbaum,
von Früchten reich behangen,
zu schaun in sel’gem Liebestraum,
was höchstem Lustverlangen
Erfüllung kühn verhieß –
das schönste Weib, Eva im Paradies.«
DAS VOLK
leise flüsternd
Das ist was andres! Wer hätt’s gedacht?
Was doch recht Wort und Vortrag macht!
DIE MEISTERSINGER
ohne Foltz und Schwarz, leise flüsternd
Jawohl! Ich merk‘! ‘s ist ein ander Ding,
SACHS
Zeuge am Ort, fahret fort!
WALTHER
»Abendlich dämmernd umschloss mich die Nacht;
auf steilem Pfad war ich genaht
zu einer Quelle reiner Welle,
die lockend mir gelacht:
dort unter einem Lorbeerbaum,
von Sternen hell durchschienen,
ich schaut‘ im wachen Dichtertraum
von heilig holden Mienen,
mich netzend mit dem edlen Nass,
das hehrste Weib,
die Muse des Parnass.«
DAS VOLK
immer leiser, für sich
Wie so hold und traut, wie fern es schwebt,
doch ist es grad‘, als ob man selber alles miterlebt!
DIE MEISTERSINGER
‘s ist kühn und seltsam, das ist wahr;
doch wohlgereimt und singebar.
SACHS
Zeuge wohl erkiest, fahret fort und schließt!
WALTHER
sehr feurig
»Huldreichster Tag,
dem ich aus Dichters Traum erwacht!
Das ich erträumt, das Paradies,
in himmlisch neu verklärter Pracht
hell vor mir lag,
dahin lachend nun der Quell den Pfad mir wies:
die dort geboren, mein Herz erkoren,
der Erde lieblichstes Bild,
als Muse mir geweiht,
so heilig ernst als mild,
ward kühn von mir gefreit,
am lichten Tag der Sonnen
durch Sanges Sieg gewonnen
Parnass und Paradies!«
VOLK
Gewiegt wie in den schönsten Traum,
hör‘ ich es wohl, doch fass es kaum.
zu Eva
Reich ihm das Reis! Sein sei der Preis!
Keiner wie er zu werben weiß!
DIE MEISTER
sich erhebend
Ja, holder Sänger!
Nimm das Reis!
Dein Sang erwarb dir Meisterpreis!
Keiner so wie nur er zu werben weiß!
POGNER
mit großer Ergriffenheit zu Sachs sich wendend
O Sachs! Dir dank‘ ich Glück und Ehr‘!
Vorüber nun all Herzbeschwer!
Walther ist auf die Stufen der Singerbühne geleitet worden und lässt sich vor Eva auf ein Knie nieder
EVA
zu Walther, indem sie ihn mit einem Kranz aus Lorbeer und Myrten bekränzt, sich hinabneigend
Keiner wie du so hold zu werben weiß!
SACHS
zum Volk gewandt, auf Walther und Eva deutend
Den Zeugen, denk es, wählt‘ ich gut:
tragt Ihr Hans Sachs drum üblen Mut?
VOLK
bricht schnell und heftig in jubelnde Bewegung aus
Hans Sachs! Nein! Das war schön erdacht!
Das habt Ihr einmal wieder gut gemacht!
MEISTERSINGER
sich feierlich zu Pogner wendend
Auf, Meister Pogner! Euch zum Ruhm
meldet dem Junker sein Meistertum.
POGNER
mit einer goldnen Kette, daran drei grosse Denkmünzen, zu Walther
Geschmückt mit König Davids Bild,
nehm‘ ich Euch auf in der Meister Gild‘.
WALTHER
mit schmerzlicher Heftigkeit abweisend
Nicht Meister! Nein!
Er blickt zärtlich auf Eva
Will ohne Meister selig sein!
Alles blickt in großer Betroffenheit auf Sachs
SACHS
schreitet auf Walther zu und fasst ihn bedeutungsvoll bei der Hand
Verachtet mir die Meister nicht
und ehrt mir ihre Kunst!
Was ihnen hoch zum Lobe spricht,
fiel reichlich Euch zur Gunst!
Nicht Euren Ahnen, noch so wert,
nicht Eurem Wappen, Speer noch Schwert,
dass Ihr ein Dichter seid,
ein Meister Euch gefreit,
dem dankt Ihr heut‘ Eu’r höchstes Glück.
Drum, denkt mit Dank Ihr d’ran zurück,
wie kann die Kunst wohl unwert sein,
die solche Preise schließet ein?
Dass uns’re Meister sie gepflegt,
grad‘ recht nach ihrer Art,
nach ihrem Sinne treu gehegt,
das hat sie echt bewahrt.
Blieb sie nicht adlig wie zur Zeit,
wo Höf‘ und Fürsten sie geweiht,
im Drang der schlimmen Jahr‘
blieb sie doch deutsch und wahr;
und wär‘ sie anders nicht geglückt,
als wie, wo alles drängt und drückt,
Ihr seht, wie hoch sie blieb in Ehr‘!
Was wollt Ihr von den Meistern mehr?
Habt acht! Uns dräuen üble Streich‘!
Zerfällt erst deutsches Volk und Reich,
in falscher welscher Majestät
kein Fürst bald mehr sein Volk versteht;
und welschen Dunst mit welschem Tand
sie pflanzen uns in deutsches Land.
Was deutsch und echt, wüsst‘ keiner mehr,
lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr‘.
Drum sag‘ ich Euch:
ehrt Eure deutschen Meister,
dann bannt Ihr gute Geister!
Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging‘ in Dunst
das Heil’ge Röm’sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil’ge deutsche Kunst!
Während des Schlussgesangs nimmt Eva den Kranz von Walthers Stirn und drückt ihn Sachs auf; dieser nimmt die Kette aus Pogners Hand und hängt sie Walther um. Nachdem Sachs das Paar umarmt, bleiben Walther und Eva zu beiden Seiten an Sachs‘ Schultern gestützt; Pogner lässt sich, wie huldigend, auf ein Knie vor Sachs nieder. Die Meistersinger deuten auf Sachs als auf ihr Haupt
ALLE
Ehrt Eure deutschen Meister,
dann bannt Ihr gute Geister!
Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging‘ in Dunst
das Heil’ge Röm’sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil’ge deutsche Kunst!
Das Volk schwenkt begeistert Hüte und Tücher; die Lehrbuben tanzen und schlagen jauchzend in die Hände
VOLK
Heil Sachs! Nürnbergs teurem Sachs!