Der Fliegende Holländer
Flucht aus Riga
Von Riga nach Pillau
Richard Wagner bekam die Stelle als Musikdirektor in einem unter vorzüglichen Umständen neu zu eröffnenden Theater in Riga angeboten. Die bisherigen ärmlichen Verhältnisse in Magdeburg und anschließend in Königsberg waren ihm viel zu eng gesteckt und mit allerlei Entbehrungen verbunden. So kam ihm dieses Angebot gerade recht.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich auch dort düstere Aussichten einstellten. Die einbestellte Primadonna kam nicht und das Theater selbst hatte nur eine winzige Bühne. Ebenso war es mit dem Platz für die Musiker, dieser war nur für sieben Streicher berechnet! Wagner versuchte trotz allem etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen. Es gelang ihm, musikalische Verstärkungen einzuführen und er versuchte immer und überall gegen den Theater-Schlendrian anzukämpfen.
Das zog ihm den Unwillen seines Vorgesetzten zu, der einen viel zu soliden Charakter seines Theaters feststellte und meinte, daß gute theatralische Leistungen eigentlich eine liederliche Bande voraussetzten.
Das war nun der letzte Anstoß für Wagner, mit dem Theaterverhältnissen endgültig abzuschließen. Er forcierte seine neue Oper „Rienzi“ und legte sie vor allem so an, daß es unmöglich wurde, diese in untergeordneten Häusern aufzuführen. Es sollte nur den größten Opernhäusern möglich sein, eine Aufführung zustande zu bringen, und speziell die Pariser Große Oper.
Ende März 1839 erhielt Wagner folgerichtig seine Entlassung als Musikdirektor.
Ein weiterer Grund, der ihn außer Landes trieb, waren seine zahlreichen Gläubiger, die sich seit seiner Magdeburger Zeit angesammelt hatten. Wagner mußte jedesmal seine Wohnung neu einrichten, Reisekosten beibringen usw. Einmal ging sogar ein Theater, an dem er beschäftigt war, bankrott.
Alles in allem musste er also handeln. Er hatte schon im Vorfeld Kontakt mit Scribe, dem ersten Textdichter in Paris aufgenommen und schließlich sogar von ihm eine briefliche Antwort erhalten. Das beeindruckte seine Frau Minna und sie war bereit, mit ihm die Reise anzutreten.
Die Erfahrungen auf dieser Reise sind aufs Engste mit dem Entstehen seines Fliegenden Holländers verbunden.
Doch lassen wir Wagner selbst berichten:
Somit schien mir alles recht verständig für meine Unternehmung geordnet, und es blieb nur übrig, mir die Geldmittel zur Ausführung derselben zu verschaffen. Hiermit stand es nun übel: der Verkauf unserer bescheidenen häuslichen Einrichtung, der Ertrag eines Benefiz-Concertes, und einige sonstige kleine Ersparnisse reichten gerade eben nur aus, die von Magdeburg und Königsberg gegen mich in Riga klaghaft gewordenen Gläubiger zu befriedigen. War ich genöthigt, hierfür mein Geld zu verwenden, so verblieb mir nicht ein Heller. Hier musste nun Rath geschafft werden, und unser alter Königsberger Freund, Abraham Möller, fand sich ein, um in der ihm geläufigen, nicht allseitig leicht zu beurtheilenden Weise, diesen Rath zu schaffen. In dieser kritischen Zeit stattete er uns einen zweiten Besuch in Riga ab; ich klagte ihm meine schwierige Lage und die Hindernisse, welche der Ausführung meines Entschlusses, nach Paris zu gehen, entgegenstünden. Er rieth mir nun kurz und bündig, alle meine Ersparnisse für unsre Reise zu verwenden, und mit meinen Gläubigern erst dann mich abzufinden, wenn meine Pariser Erfolge mir dazu die Mittel an die Hand gegeben haben würden. Um diess zu ermöglichen, bot er uns an, in seinem Reisewagen mit Extrapost uns über die russische Gränze bis in einen ostpreussischen Hafen zu bringen; die Ueberschreitung dieser Grenze musste von unsrer Seite ohne Pässe bewerkstelligt werden, da auf diese von Seiten der auswärtigen Gläubiger Beschlag gelegt war. Er schilderte uns die Ausführung dieses höchst bedenklichen Vorhabens als sehr leicht, da er auf einem der Grenze benachbarten preussischen Gute einen Freund habe, der ihm hierzu die erfolgreichste Hülfe leisten werde. Die Begierde, um jeden Preis meiner bisherigen Lage mich zu entziehen und schnell möglichst auf das grosse Feld zu gelangen, auf welchem ich mir rasche Befriedigung meiner ehrgeizigen Wünsche erwartete, verblendete mich gegen alle Widerwärtigkeiten, welche die Ausführung des nun beschlossenen Vorhabens begleiten mussten. Direktor Hoffmann, der sich mir nach Kräften verpflichtet hielt, erleichterte meinen Fortgang dadurch, dass er mir ihn um einige Monate vor meiner contraktlich ablaufenden Dienstzeit ermöglichte. Nachdem ich noch im Juni die Opernaufführungen der Mitauer Theatersaison dirigirt hatte, traten wir, eben von Mitau aus, unter Möller‘s Schutze und in dessen Wagen, mit Extrapost heimlich die Reise an, deren Ziel Paris sein und unter den unerhörtesten Drangsalen von uns erreicht werden sollte. –
Das Wohlgefühl, welches mir die Fahrt durch das fruchtbare Curland im üppigen Sommermonat Juli, namentlich durch die Vorstellung, dass ich nun mit einer ganzen mir verhassten Lebensrichtung gebrochen und dafür einem unermesslich neuen Schicksalspfade nachging, unwillkürlich erweckte, ward schon im Beginn der Reise durch die quälende Belästigung getrübt, welche mir durch die Begleitung eines grossen Neufundländer Hundes, mit Namen Robber, veranlasst wurde. Dieser wunderschöne Hund, ursprünglich einem Riga’schen Kaufmann gehörig, hatte sich, gegen die Natur dieser besondern Raçe, mit einer vorzüglichen Zuneigung an meine Person geheftet. Nachdem ich Riga verlassen, hatte während meines längern Aufenthaltes in Mitau Robber fortgesetzt meine leer gewordene Wohnung belagert, und durch seine auffallende Anhänglichkeit den Hauswirth und die Nachbarn so sehr gerührt, dass sie den Hund durch den Postconducteur mir nach Mitau nachschickten, wo ich ihn mit wahrhafter Ergriffenheit empfing, und mir gelobte, trotz aller Beschwerden den Hund fortan nicht mehr von mir zu weisen. Wie mir es auch ergehen möchte, der riesige Hund musste mit nach Paris; allein schon nur auf dem Wagen ihn unterzubringen schien rein unmöglich: alle Vorrichtungen, welche ich unterwegs traf, um ihm im oder am Wagen einen Platz zu verschaffen, erwiesen sich als nichtig, und zu meiner wachsenden Pein musste ich das so stark bepelzte nordische Thier in glühendster Sonnenhitze tagelang neben dem Wagen herlaufen sehen, bis ich, durch das Mitgefühl für seine Erschöpfung auf das Aeusserste gebracht, endlich auf die ingeniösesten Einfälle gerieth, im vollbesetzten Wagen den großen Hund doch noch so unterzubringen, dass er darin aushielt. Am Abend des zweiten Tages gelangten wir so an die russisch-preußische Grenze; die Besorgniss Möller‘s wegen Ausführung unsrer heimlichen Ueberschreitung derselben liess auch uns inne werden, dass es sich hiebei eigentlich um ein gefährliches Wagniss handelte; der vertraute Freund von jenseits begegnete uns, der Abmachung gemäss, mit einem kleinen Wagen, in welchem er Minna, mich und Robber, von der Hauptstraße ab, auf Umwegen nach einem Punkt brachte, von dem aus er uns zu Fuss in ein Haus von höchst verdächtigem Aussehen geleitete, um uns dort, nachdem er uns einem Führer übergeben, wieder zu verlassen. Dort hatten wir bis nach Sonnenuntergang zu warten und gewannen Musse, inne zu werden, dass wir uns in einer Pascherkneipe befanden, welche sich allmählich mit polnischen Juden vom allerschmutzigsten Aussehen bis zum Uebermaß anfüllte. Endlich wurden wir aufgefordert, unsrem Führer zu folgen. Einige hundert Schritte weit zog sich am Abhange eines Hügels der Graben hin, welcher längs der ganzen russischen Grenze gezogen ist und beständig durch Wachtposten von Kosaken, in sehr kleinen Zwischenräumen vertheilt, bewacht wird. Es galt, die wenigen Minuten zu benutzen, welche nach der Ablösung der Wachen die Wächter anderweitig beschäftigten. Sehr eilig hatten wir daher den Hügel hinabzulaufen, durch den Graben zu klettern und dann von Neuem eilig uns weiter zu wenden, bis wir aus der Schusslinie gelangt waren; denn die Kosaken, sobald sie uns gewahrten, waren gebunden, uns selbst über den Graben hinweg die Kugeln nachzusenden. Ich hatte, trotz der leidenschaftlichen Sorge für Minna, dennoch zu meiner seltsamen Freude das intelligente Verhalten Robber‘s beobachtet, welcher, als ob er die Gefahr gewahrte, sich lautlos an uns geschmiegt hielt und meine Sorge, er werde uns bei dem gefahrvollen Uebergange Noth machen, gänzlich zerstreute. Endlich begegnete uns der vertraute Gehülfe wieder; er war so ergriffen, dass er uns heftig in seine Arme schloss, und nun von Neuem mit seinem Fuhrwerk uns in den Gasthof des preussischen Grenzortes geleitete, wo Freund Möller, vor Angst erkrankt, uns schluchzend und jubelnd aus dem Bett entgegensprang. Nun war es denn auch für mich Zeit, mich zu besinnen, in welche Gefahr ich nicht nur mich, sondern die arme Minna an meiner Seite gebracht hatte, und zu welchem Frevel ich durch die Unkunde, in welcher Möller mich so leichtsinniger Weise über die ungeheuerlichen Umstände des von ihm angerathenen heimlichen Grenzüberganges gelassen, verleitet worden war. Ich fand keinen Ausdruck, um meine Reue hierüber meiner zum Tod erschöpften Frau zu erkennen zu geben.
Und doch war, was wir soeben überstanden, nur das Vorspiel zu den neuen Widerwärtigkeiten, welche diese für mein Leben so entscheidungsvolle abenteuerliche Reise begleiteten. Während wir des andern Tages durch die reiche Tilsiter Niederung mit bereits wieder gehobenem Muthe auf Arnau bei Königsberg zufuhren, wurde der fernere Reiseplan dahin festgesetzt, dass wir von dem preussischen Hafen Pillau aus auf einem Segelschiffe zunächst nach London weitergehen sollten. Der Grund hiervon war hauptsächlich die Rücksicht auf die Begleitung unsres Hundes, welcher so am leichtesten mitzuführen war; während an seine Unterbringung bei einer Reise im Postwagen von Königsberg bis Paris, da man von Eisenbahnen damals noch nichts wusste, natürlich nicht zu denken war. Außerdem aber bestimmte uns auch die Rücksicht auf unsre Kasse; aller Gewinn saurer Mühen bestand für mich in nicht ganz 100 Ducaten, welche nicht nur zur Reise, sondern auch für den Pariser Aufenthalt bis dahin, wo ich dort etwas verdient haben würde, zu berechnen waren. So fuhren wir denn, nach einigen Tagen der Erholung in dem Arnauer Gasthofe, abermals von Möller geleitet, auf einem dort landesüblichen Fuhrwerke, welches einem Leiterwagen nicht sehr unähnlich war, über kleinere Orte und auf schlechten Straßen, um Königsberg nicht zu berühren, nach dem Hafenstädtchen Pillau. Auch diese kürzere Reise sollte nicht ohne Unglücksfall von Statten gehen. Der ungeschickte Wagen fiel in einem Bauernhofe um, und Minna ward bei dem Falle durch eine innere Erschütterung so stark beschädigt, dass wir in einem Bauernhaus, wohin ich die gänzlich Gelähmte mit größter Mühe zu schleppen hatte, bei mürrischen und schmutzigen Leuten eine für die Verletzte höchst schmerzliche Nacht zu verbringen hatten.