Parsifal

Inhaltsbeschreibung lang

Nach einem Entwurf von 1865, den Wagner auf Verlangen von König Ludwig II. erstellte.

 

Amfortas, der Hüter des Grals, siecht an einer unheilbaren Speerwunde, die er in einem geheimnisvollen Liebesabenteuer empfangen. Titurel, der ursprüngliche Gewinner des Grales, sein Vater, hat im höchsten Alter dem Sohne sein Amt, somit die Herrschaft über die Gralsburg Montsalvat – über­geben. Er muss dem Amte vorstehen, trotzdem er sich durch den begange­nen Fehltritt dessen unwürdig fühlt, bis ein Würdigerer erscheint, es ihm abzunehmen. Wer wird dieser Würdigere sein? Woher wird er kommen? Woran wird man ihn erkennen?

Der Gral ist die krystallene Trinkschale, aus welcher einst der Heiland beim letzten Abendmahl trank und seinen Jüngern zu trinken reichte: Joseph von Arimathia fing in ihr das Blut auf, welches aus der Speerwunde des Erlösers am Kreuze herabfloss. Sie ward als heiligstes Heiligtum lange Zeit der sündigen Welt geheimnisvoll entrückt. Als in rauester, feind­seligster Zeit endlich unter der Bedrängnis durch die Ungläubigen, die heilige Not des Christentums am Höchsten stieg, trieb die Sehnsucht, das wundervoll stärkende Heiligtum, von dem alte Kunde vorhanden war, gottbegeisterte, von heiligem Liebesverlangen ergriffene Helden, zum Aufsuchen des Gefäßes, in welchem das Blut des Heilands leben­dig und göttlich belebend sich der heilsbedürftigen Menschheit erhalten hatte. Titurel und seinen Treuen ist das Heiligtum wunderbar entdeckt und in Pflege übergeben worden. Er scharte um sich die heilige Ritter­schaft zum Dienst des Grales, baute die Burg Montsalvat, in wildem, un­nahbar entlegenem Gebirgswald, die niemandem aufzufinden war, als wer zur Pflege des Grales sich würdig erwies. Seine Wunderkraft bekundete das Heiligtum zunächst dadurch, dass es seine Hüter jeder irdischen Sorge überhob, indem es für Speise und Trank der Gemeinde sorgte: durch geheimnisvolle Schriftzeichen, welche beim Erglühen des Krystalls an dessen Oberfläche sich zeigten, und nur dem würdigen Hüter der Ritterschaft ver­ständlich waren, meldet der Gral die härtesten Bedrängnisse Unschuldiger in der Welt, und erteilt seine Weisungen an diejenigen der Ritter, welche zu ihrem Schutze entsendet werden sollen. Die Ausgesandten begabt er mit göttlicher Kraft, so dass sie überall siegen. Den Tod bannt er von seinen Geweihten: wer das göttliche Gefäß erblickt, kann nicht sterben. Nur aber, wer vor den Verlockungen der Sinneslust sich bewahrt, erhält sich die Kraft des Segens des Grales: nur dem Keuschen offenbart sich die beseligende Macht des Heiligtums. –

Jenseits der Gebirgshöhe, in dessen heilig nächtigen Waldung Montsalvat – nur dem Geweihten zugänglich – liegt, dort, wo sich anmutige Talwindungen dem Süden und dessen lachenden Ländern zuziehen, liegt eine andere, ebenso heimliche, als unheimliche Burg. Nur auf zauber­haften Wegen wird auch sie aufgefunden; der Fromme vermeidet ihr zu nahen; wer ihr aber naht, kann der bangen Sehnsucht nicht wehren, mit der es ihn nach den glänzenden Zinnen verlockt, welche aus einer nie gesehenen Pracht der wunderbarsten Blumenbaumwaldung hervorragen, und von wo zauberisch süßer Vogelsang herdringt, berauschende Wohlgerüche sich über den Umkreis ergießen. – Dies ist Klingsors Zauberschloss. Dunkle Sagen gehen über den Zauberer. Niemand sah ihn: man kennt ihn nur an seiner Macht. Diese Macht ist: Zauberei. Das Schloss ist sein Werk: durch ein Wunder ist es erstanden, mitten in einer früher öden Gegend, in welcher zuvor nur die Hütte eines Einsiedlers gestanden. Wo jetzt Alles auf das Üppigste und Berauschendste wie an einem ewigen Frühsommerabende blüht und webt, war einst – in nackter Wüste – nur das einsame Hüttchen zu sehen. Wer ist Klingsor ? Dunkle, unfassliche Mären, sonst weiß man nichts von ihm. Vielleicht kennt ihn der alte Titurel ? Doch durch ihn ist nichts zu erfahren: im höchsten Greisenalter erstumpft, ist er nur noch durch die Wundermacht des Grales unter den Lebendigen. Es gibt aber einen alten Waffenknecht Titurels, Gurnemanz, der jetzt noch Amfortas treulich dient: der müsste etwas wissen: auch gibt er manchmal zu verstehen, dass er etwas von Klingsor wüsste; aber man bringt nicht viel von ihm heraus: hat er kaum etwas unglaublich Seltsames berichten zu wollen den Anschein genommen, so schweigt er wieder, lächelnd, als ob man von so etwas nicht sprechen dürfe. Vielleicht hat es ihm einst Titurel verboten. Man vermutet, Klingsor sei derselbe, der einst als Einsiedler fromm jene jetzt so veränderte Gegend bewohnte: – es heißt, er habe jedoch sich selbst verstümmelt, um die sinnliche Sehnsucht in sich zu ertöten, welche zu bekämpfen durch Gebet und Buße ihm nie vollstän­dig gelungen sei. Von der Gralsritterschaft, der er sich anschließen wollen, sei er durch Titurel zurückgewiesen worden, und zwar aus dem Grunde, dass die Entsagung und Keuschheit aus innerster Seele fließen, nicht aber durch Verstümmelung erzwungen sein müsse. Niemand weiß hiervon Genaues. Nur ist gewiss, dass seit Amfortas Zeiten man plötzlich von jenem Zauberschlosse gehört hat, und dass die Gralsritter häufig gewarnt wurden, nicht in die Schlingen zu geraten, die von jener Gegend aus nach ihrer Reinheit ausgeworfen würden. Jenes Schloss birgt in Wahrheit die schönsten Frauen der Welt und aller Zeiten, die dort durch Zauber unter Klingsor’s Bann gehalten, und zum Verderben der Männer, namentlich der Gralsritter; von ihm mit aller Macht der Verführung ausgestattet wurden. Man meint, es seien Teufelinnen. Mehre Gralsritter sind von ihren Fahrten nicht heimgekehrt; man fürchtet sie seien in Klingsors Macht gefallen. Gewiss ist leider, dass Amfortas selbst, als er den seiner Ritterschaft drohenden Zauber zu bekämpfen ausgezogen war, in die Schlingen der Verführung fiel, von einem seltsamen, wunderschönen Weibe abseits gelockt, und dort tückisch von Bewaffneten überfallen wurde, die ihn binden u. zu Klingsor führen sollten: mit Mühe habe er sich gewehrt, und, zur Flucht gewendet, jenen Speerstich in die Seite erhalten, an dem er nun siecht, und von dem ihn nichts zu heilen vermag.

Die Ritterschaft, die ganze Gralsgemeinde ist nun eifrigst um die Heilung ihres Hüters bemüht. Nach allen Gegenden ziehen Pilgerfahrten aus, um die rechte Arznei, den gnadenvollen Balsam aufzusuchen ; aus den fernsten Zonen kehren sie zurück: welches Heilmittel auch gewonnen ward, keines will die Wunde heilen. Täglich bricht sie neu auf: unsäglich sind die Qualen des Verwundeten: nichts vermag sie zu lindern. – Nicht aber die Schmerzen der Wunde sind es, die Amfortas‘ Seele umnachten: sein Leiden ist tiefer. Er ist der Erlesene, der das Wundergefäß zu pflegen hat: er und kein anderer hat den heiligen Zauber zu üben, der die ganze Ritterschaft erquickt, stärkt und leitet, während nur Er einzig zu leiden hat, zu leiden um des schrecklichen Selbstvorwurfes willen, sein Gelübde verraten zu haben. Er, der Unwürdigste aller, muss täglich – zu seiner furchtbaren Strafe, das heilige Gefäß berühren: auf sein Gebet muss der göttliche Inhalt der Schale in leuchtendem Purpur fließen, auf sein Fürwort sich der nährende Segen den geweihten Rittern erschließen. Ja, ihn selbst, den rettungslos Leidenden, erfüllt des Grales Wundermacht täglich mit neuer Lebenswärme: dünkt ihm der Tod sein einziger Erlöser, so verdammt ihn nun der Segen des Grales ewig zu leben! Möchte er sich, um den Tod zu gewinnen, der Wonne, den Gral zu schauen, enthalten: wie um seines Gelübdes willen er muss, zwingt ihn auch die inbrünstige Sehnsucht der Seele dazu, von Neuem sich in diesen segensvollen Anblick zu verlieren, von Neuem den goldenen Purpur leuchten zu sehen, immer wieder die Glut dieses göttlichen Glanzes in sein Innerstes dringen zu lassen, beseligend – und zermalmend. Denn, ach! Jetzt, wenn das himmlische Blut des Erlösers segenvoll in sein eigenes Herz sich ergießt, wie muss vor der göttlichen Berührung da sein eigenes frevelhaftes Blut sich flüchten! Das Sündenvolle drängt sich verzweiflungsvoll scheu aus dem Herzen, sprengt die Wunde von Neuem und ergießt sich in die Welt der Sünde, – dort, durch dieselbe Wunde, wie sie einst der Erlöser am Kreuze empfing durch die er sein Blut ergoss aus mitleidender Liebe für die jammervolle, sündige Menschheit, und wo ihm, dem sündigen Hüter des göttlichen Erlösungsbalsams, das heiße Sündenblut unversiegbar entströmt, zur ewigen Mahnung an seinen Frevel! – Da nahen die Ritter, die Stunde schlägt, er muss den Zauber üben: sie jammern u. klagen um seine Wunde, suchen eifrigst ihm zu helfen, schaffen Heilmittel u. Balsam herbei, und ahnen nicht, wo seine Wunde blutet, und wo er unheilbar ist. – So hat der Elende endlich durch brünstig Gebet den Gral um ein Zeichen gefragt, ob er Erlösung hoffen dürfe, und wer ihn zu erlösen berufen sein könne ? Das Zeichen hat erglänzt: er hat die Rätselworte gelesen: „mitleidend leidvoll wissend ein Thor wird dich erlösen!“ – Wer kann der sein, der nur durch Mitleiden leidet, und ohne zu wissen weiser ist als andre? „– O, der Ersehnte! wenn er lebt, möge er die Wege zu dem Heiligtume finden : der Qual ein Ende, der Wunde die Narbe, dem Herzen die Ruhe; wann bringst du sie, mitleidend leidvoll-wissender Thor?“ –

– Alles versuchen die Treuen, die Schmerzen des geliebten Herren zu mildern: am Morgen tragen sie ihn in einer Sänfte nach dem heil’gen See im Walde herab, dort sich zu baden, an dem edlen Quelle zu trinken. Da scheint er in der lieblichen Frische ein wenig aufzuleben: Boten kommen mit neuen Heilmitteln, die fern aufgefunden: ach, keins wird helfen.

Am unermüdlichsten durchjagt Kundry, die Gralsbotin, die Welt nach Hilfe für Amfortas‘ Wunde. Wer dieses Weib sei, und woher sie stamme, weiß niemand; sie muss uralt sein, denn schon in Titurels Zeiten fand sie sich hier im Gebirge ein: obwohl sie wild und grauenhaft anzusehen ist, nimmt man doch aber keine eigentlichen Züge des Alters an ihr wahr: sie hat bald bleiche, bald sonnenverbrannte Hautfarbe; ihr schwarzes Haar hängt ihr lang und wild herab: manchmal flicht sie es in wunderlichen Flechten zusammen; stets sieht man sie nur in ihrem dunkelroten Ge­wande, welches sie mit einem wunderlichen Gürtel aus Schlangenhäuten aufschürzt: ihre schwarzen Augen schießen oft wie brennende Kohlen aus den tiefen Höhlen hervor; bald ist ihr Blick unstet und abschweifend, bald wieder starr und unbeweglich fest. Sie wird von der Ritterschaft weniger als ein Mensch, sondern mehr wie ein seltsames, zauberhaftes Tier be­handelt. Sie lebt auch immer abseits, man weiß nicht, wie sie sich ernährt, noch wo sie Unterkunft sucht: zu Zeiten verschwindet sie ganz; Niemand hört und sieht dann etwas von ihr. Dann findet man sie endlich zufällig in einer Höhle, in einem verwachsenen Baumgestrüpp in einem totenähnlichen Schlafe, leblos, erstarrt, wie blutlos, steif an allen Gliedern. Gurnemanz, der alte Waffenknecht, nahm sich dann meist ihrer an: er kannte sie von so lange her! – er trug sie zu sich heim, wärmte sie, rieb sie, und brachte sie wieder in’s Leben ; bei ihrem Erwachen glaubt sie so eben sich erst ein wenig entschlummert, verflucht sich, den Schlaf über sich kommen gelassen zu haben, blickt nach der Sonne, seufzt furchtbar auf, springt davon, und beginnt ihr Treiben von Neuem. Ist irgend etwas Schwieriges zu vollbringen, in weiter Ferne etwas auszurichten, dem in fremden Zonen streitenden Gralsritter eine Botschaft, ein Befehl des Grales auszurichten, so gewahrt man plötzlich Kundry, begierig sich des Auftrages bemächtigend, den niemand so schnell und zuverlässig ausrichten kann als sie: auf einem kleinen Ross, mit langen, auf den Boden herabfallenden Mähnen und Schweife, sieht man sie dann im Sturme davon jagen, und ehe man es nur vermuten könnte, ist sie zurück. Nie hat man die mindeste Untreue an ihr bemerkt; ihr Eifer, ihre Sorgfalt in der Ausrichtung der Botschaften ist grenzenlos. So ist sie der Ritterschaft eine unentbehrlich treue Dienerin geworden: alle ihre Besorgungen fallen günstig aus. Dagegen in den Zeiten ihres rätselhaften Verschwindens fehlt sie sehr: es bricht dann gewöhnlich ein Ungemach, eine geheimnisvolle Gefahr über die Ritterschaft herein, dann entsteht Sorge; oft wird Kundry herbeigewünscht. Manche geraten daher auch in Zweifel darüber, ob sie für gut, oder für bös zu halten sei: gewiss ist, dass sie noch Heidin sein muss. Nie sieht man sie bei einer religiösen Handlung: aber man sieht sie auch sonst nirgends, außer wenn es einen ungemein schwierigen Dienst zu leisten gilt. Gurnemanz, der sonst gegen das wilde Weib nicht sanft verfährt, nimmt sie, halb mürrisch, halb launig, in Schutz. Er meint, man müsse sich an ihre guten Dienste halten, und froh sein, wenn sie wiederkehre. Er vermutet, sie sei eine Verwünschte, welche in ihrem gegenwärtigen Leben große Sünden abzubüßen habe. Die Dienste, die sie leiste, seien daher verdienstlich für sie, wie für die Ritterschaft, und man brauche sich nicht zu scheuen, sie anzunehmen. – Gegen die Ritter zeigt sie übrigens große Gleichgültigkeit, ja –Verachtung: ihren Dank nimmt sie nie an. Selbst Amfortas ist hiervon nicht ausgenommen. Sie kehrt jetzt soeben auf schnaubendem Ross aus dem Wunderlande Arabiens zurück, wo sie den kostbarsten Wundbalsam aufgesucht. Hastig reicht sie ihn Gurnemanz, weist jeden Dank ab und wirft sich stumm in eine Waldecke, während Gurnemanz zum König u. den Rittern am heiligen See eilt, die verhoffte Rettung überbringend. Auch der Balsam bringt aber keine Linderung: Kundry lächelt höhnisch dazu. „Ihr wisst ja, wer einzig helfen kann! Was jagt ihr mich auf die falsche Fährte?“ Sonst ist nichts aus ihr herauszubringen. Nie giebt sie einen Rath, theilt eine Ansicht mit: sie hat nur den hastigsten Eifer, sofort auszuführen, was gewünscht oder befohlen wird. Sie wird deshalb für ganz stumpfsinnig und vernunftlos, wie tierisch, gehalten. Doch scheint ihr an der Befreiung des Amfortas von seinen Leiden viel, ja leidenschaftlich viel gelegen zu sein: sie verrät darüber heftige Unruhe. Dann wieder lacht sie aber höhnisch: man solle nicht das Ende dieser Not wünschen; wer weiß ob sich die kluge Ritterschaft dann nicht in Zukunft ihre Botschaften selbst ausrichten müsste; sie wolle auch Ruhe haben, u.s.w. – Während der König im heiligen See badet, kreist da ein wilder Schwan über seinem Haupte: plötzlich sinkt er, von einem Pfeil verwundet; man hört das Geschrei vom See her: allgemeine Entrüstung, wer wagt es im heiligen Bezirke ein Tier zu töten? – Der Schwan flattert näher und sinkt verblutend zu Boden. Parsifal kommt, mit dem Bogen in der Hand aus dem Walde vor: Gurnemanz hält ihn an. Der Jüngling bekennt sich zu der Tat. Den heftigen Vorwürfen des Alten weiß er nichts zu entgegnen. Da ihm Gurnemanz das Frevelhafte seiner Tat vorhält, ihn an die Heiligkeit des Waldes, der ihn so still umrausche, gemahnt, ihn befrägt, ob er nicht die Tiere hier alle zahm, sanft und fromm angetroffen habe? – was ihm der Schwan, der sein Weibchen aufgesucht, getan habe ? ob ihm der edle Vogel nicht leid tue, der nun mit blutbeflecktem Gefieder stumm u. sterbend vor ihm läge ? u.s.w. – bricht Parsifal, der still, wie festgebannt gestanden, in Tränen aus, und stammelt: „Das wusste ich nicht!“ „Wo bist du her?“ „Das weiß ich nicht.“ – „Wer ist dein Vater?“ „Das weiß ich nicht!“ u.s.w. Gurnemanz Verwunderung über diese Dummheit, die er bis jetzt nur bei Kundry angetroffen, geht in Rührung über, als er Parsifal veranlasst, sich ein wenig zu ihm zu gesellen, und ihm nur einige Auskunft über sich zu geben. Alles, was Gurnemanz durch gutmütiges Zureden und Fragen aus dem scheuen Jüngling herausbringen kann, ist, dass Parsifal nur seine Mutter, Schmerzeleide, kennt; diese hat ihn in größter Zurückgezogenheit in der Weise erzogen, dass er nie etwas von Waffen und Ritterschaft erfahren solle. – „Warum das?“ Da Parsifal keinen Grund weiß, ergänzt mit hastigem Hineinwurf Kundry, welche, in ihrer Ecke gelagert, von Anfang an den Blick starr auf Parsifal geheftet hat. „Sein Vater ward noch vor des Sohnes Geburt erschlagen: die Mutter wollte den Sohn vor gleichem gewaltsamen Tode bewahren. – Die Törin!“ Sie lacht. Parsifal’s Gedächtnis und Verständnis seiner Vergangenheit wird auf diese Weise erweckt. Am einsamen Hofe seien Gewaffnete vorbeigekommen: Parsifal ist ihnen gefolgt, hat sie aber nicht wieder aufgefunden. Manches Abenteuer hat er bestanden: den Bogen sich gemacht: damit habe er sich auf seinen wilden Wanderungen gewehrt. – Kundry bestätigt, dass er sich durch Heldentaten u. unglaublich kühne Kraft gefürchtet gemacht habe. „Wer fürchtet mich?“ – „Die Bösen“. – „Waren die mir den Weg vertraten, bös?“ – Gurnemanz lacht. „Wer ist gut?“ – Gurnemanz: „Deine Mutter. Du bist ihr entlaufen; sie wird sich um dich grämen: du musst nicht Alles gleich feindselig behandeln.“ „Bin ich feindselig?“ „Dem Schwan warst du es, und deiner Mutter.“ – „Meiner Mutter?“ – Kundry: „Sie ist tot!“ – Parsifal: „tot? meine Mutter? Wer sagt das?“ – Kundry: „ich sah sie sterben!“ Parsifal springt auf und packt Kundry bei der Kehle. Gurnemanz holt ihn zurück: „Willst du hier wieder Unrecht tun? Was tat Dir das Weib? Sie sagte gewiss die Wahrheit, denn Kundry lügt nie und weiß viel!“ Parsifal steht betäubt, wie erstarrt. Endlich : „ich verschmachte!“ Er droht umzusinken; Gurnemanz hält ihn. Kundry ist hastig nach dem Quell gesprungen und kommt mit einem gefüllten Horn zurück: sie besprengt Parsifal mit dem Wasser, und reicht ihm zu trinken. Gurnemanz lobt Kundry; so täte man hier, Böses vergelte man mit Gutem. Kundry lacht: sie tue nie Gutes; aber sie wolle Ruhe. Während Parsifal zu sich kommt und von Gurnemanz väterlich besorgt wird, zieht sich Kundry traurig, wie in immer zunehmender Ermattung nach der Waldecke zurück: „Ach, ich bin müde. Wo find‘ ich Ruhe?“ Sie schleppt sich unbemerkt in den Wald fort. – Gurnemanz bemerkt, dass der König mit der Dienerschaft bereits länger nach der Burg aufgebrochen ist. Die Sonne steht im Mittag; es wird Zeit, zum heiligen Mahle sich zu begeben. Parsifal, sich auf den Alten stützend, frägt, wohin sie gerieten; denn ihm dünke, dass der Wald sich immer mehr verliere, und dass sie in gemauerte Gänge einträten? Gurnemanz: „Sie seien auf dem rechten Wege; und dass der Knabe noch unschuldig sei, werde er auch gewahr, denn unmöglich würde sich sonst für sie beide der Weg in die Burg so leicht erschließen“. Sie ersteigen Treppen, und befinden sich wieder in gewölbten Gängen: Parsifal dem kaum scheint, als schreite er, folgt in Betäubung. Er vernimmt wunderbare Klänge. Lang gehaltene u. anschwellende Posaunentöne, denen aus weiter Ferne ein sanftes Geläute wie von Krystallglocken antwortet. Endlich sind sie in einem mächti­gen Saale angelangt, welcher in eine hohe Kuppel, domartig, sich verliert. Das Licht fällt nur von oben herab: aus der Kuppel vernimmt man wach­sendes Geläute. Parsifal steht wie verzaubert. Gurnemanz: „Nun nimm dich zusammen: bist du ein Tor, so lass mich nun sehen, ob du auch wissend bist.“ Sanfte Posaunenrufe kommen näher. Man hört einen feierlichen Gesang von tiefen Männerstimmen: höhere Stimmen antworten aus der halben Höhe des Gebäudes; aus der höchsten Höhe der Kuppel hört man den Gesang von Knabenstimmen verhallen. Da öffnen sich im Hintergrunde links und rechts zwei große Flügeltüren. Von rechts her schreitet die Prozession der Gralsritter, feierlich und gemessen; sie verteilen sich an die gedeckten Tafeln, welche in 5 Abteilungen von hinten nach vorn zu sich erstrecken. Von links her schreiten die Meister und die Diener­schaft des Königs. Amfortas wird in einer Sänfte getragen: vor ihm her trägt ein Ritter einen mit einer Purpurnen Sammetdecke überdeckten Schrein. In der erhöhten Mitte des Hintergrundes ist unter einem Baldachin das Ruhebett aufgerichtet, nach welchem Amfortas ge­leitet wird: davor steht eine Altarartige Tafel, auf welche der verdeckte Schrein niedergestellt wird. Als alle zur Stelle sind, schweigt der Gesang. Gurnemanz nimmt seinen Platz an einem Tische, und beobachtet fortwährend Parsifal, welcher staunend sprachlos und ohne Bewegung da steht. Vom tiefsten Hintergrunde her vernimmt man aus einer gewölbten Nische die Grabesstimme des alten Titurel: „Mein Sohn Amfortas, bist du am Amt?“ – Schweigen – „Soll ich den Gral heut‘ noch sehen, und leben?“ – Schweigen – „Muss ich sterben ohne den Retter zu begrüßen?“ – Amfortas bricht in tiefe Klagen aus: er könne nicht länger des Amtes walten. Er schildert seine Leiden. Die Ritter brechen in Murren und Klagen aus. Titurels Stimme: „Enthüllt den Gral!“ Man entkleidet den Schrein, nimmt aus ihm die heilige Krystallschale, und stellt sie feierlich vor Amfortas hin. – Amfortas verdeckt sich die Augen. Titurels Stimme: „Sprich den Segen!“ Amfortas blickt endlich mit immer wachsender Entzückung nach dem Gefäß, und drückt seine begeisterten, zugleich reumütigen Empfindungen aus. Aller Andacht spannt sich auf das Höchste. Aus der Kuppel dringt ein blendender Lichtstrahl in die Schale: diese beginnt in feurigem Purpurrot zu erglänzen. Alles senkt sich auf die Knie: ein Lichtstrahl der Hoffnung fällt auch in Amfortas‘ Seele. So rein erglühte ihm seit seinem Sündenfall der Gral noch nicht, wie heute: ist Rettung da, ist der Erlöser da? Er erhebt den Gral mit beiden Händen und lässt ihn nach jeder Seite hin leuchten. Man hört Titurels Stimme einen Seufzer des Wohlgefühles ausstoßen. – Stimmen aus der Höhe ertönen. Titurel spricht den Segen: Dämmerung lagert sich über den ganzen Saal: nur der Gral leuchtet hell. Als es wieder hell wird, sind die Tische mit Wein u. Brot versehen; der Gral ist erbleicht, und wird wieder im Schrein verwahrt. Während des Gesanges, welcher die heilige Bruderliebe feiert, speisen die Ritter. Nur Amfortas fühlt sich leidender als zuvor: er muss wieder in der Sänfte fortgetragen werden; seine Wunde hat sich neu geöffnet: der Erlöser blieb noch stumm. Die Prozession schließt sich wie beim Hereinkommen ordnungsmäßig an. Unter ernsten, trüben Klängen verlässt Alles wieder den Saal: die Glocken in der Höhe verstummen: die Beleuchtung wird matter. – Parsifal hat bewegungslos vor Staunen da gestanden: nur bei Amfortas‘ Klagen fuhr er einmal mit der Hand hastig nach dem Herzen. Als die letzten hinausgehen, tritt Gurnemanz missmutig an ihn heran, rüttelt ihn: „was stehst du da noch? Du bist doch eben nur ein Thor! Dort hinaus, da besinn‘ dich!“ er stößt ihn zu einer Seitenpforte hinaus und schlägt die Türe brummend hinter ihm zu. –

Kundry ist wieder verschwunden, in Todesschlaf verfallen. – Klingsor hat wieder Macht über ihre Seele gewonnen: er bedarf der Hilfe dieses wunderbarsten weiblichen Wesens, um seinen Hauptstreich auszuführen. In einem unnahbaren Verliese seiner Burg sitzt er in seiner Zauberwerkstatt: er ist der Dämon der verborgenen Sünde, das Wüten der Ohnmacht gegen die Sünde. Durch Zaubers Gewalt bannt er die Seele Kundry’s zu sich; in einem finstren Höllengrunde erscheint ihr Geist. Aus dem Zwiegespräch beider ergibt sich folgendes Verhältnis. Kundry lebt ein unermessliches Leben unter stets wechselnden Wiedergeburten, in Folge einer uralten Verwünschung, die sie, ähnlich dem „ewigen Juden“, dazu verdammt, in neuen Gestalten das Leiden der Liebesverführung über die Männer zu bringen; Erlösung, Auflösung, gänzliches Erlöschen ist ihr nur verheißen, wenn einst ein reinster, blühendster Mann ihrer machtvollsten Verführung widerstehen würde. Noch keiner hat ihr widerstanden. Nach jedem neuen, ihr endlich tiefinnerlichst so verhasstem Siege, nach jedem neuen Falle eines Mannes, verfällt sie in Rasen ; sie flüchtet dann in die Wildnisse, und weiß sich der Macht ihrer Verwünschung durch die strengen Büßungen und Kasteiungen längere Zeit zu entziehen: doch ist ihr verwehrt, auf diesem Wege das Heil zu finden. Unbewusst steigt in ihr immer wieder die Sehnsucht auf, durch einen Mann erlöst zu werden, wie der Fluch ihr ja auch einzig nur diesen Weg der Erlösung anzeigt: so lässt sie die innerste Notwendigkeit stets von Neuem der Macht verfallen, die sie zur Wiedergeburt als verführerisches Weib treibt. Die Büßerin verfällt dann in einen Todesschlaf: die Verführerin erwacht, bis diese wieder nach Wahnsinnsrasen zur Büßerin wird. Da nur ein Mann sie erlösen kann, flüchtete sie als Büßerin endlich zu den Gralsrittern; hier, unter ihnen, müsse der Erlöser zu finden sein. Sie dient ihnen mit leidenschaftlichster Aufopferung: nie fällt in diesem Zustande ein Blick der Liebe auf sie; sie ist ganz nur dienende, verachtete Sklavin. Klingsors Zauber hat sie – – entdeckt: er kennt den Fluch, und die Macht, durch die sie ihm zu Dienste gezwungen werden kann. Die furchtbare Schmach zu rächen, die ihm von Titurel einst widerfahren, stellt er den edelsten Gralsrittern durch Verführung zum Bruch ihres Keuschheitsgelübdes nach. Was ihm Macht über Kundry, dieses auserlesenste Mittel der Verführung gibt, ist aber nicht allein seine Zaubergewalt, mit welcher er sich der zwingenden Gewalt des auf Kundry lastenden Fluches bemächtigt: sondern in Kundry’s eigenster Seele findet er die mächtigste Mithilfe. – Wie nur ein Mann sie erlösen kann, sie sich dem Manne daher zu völliger Untertänigkeit zugewiesen fühlt, muss sie wieder ihre Erfahrung von der Schwäche dieser Männer zu einer wunderbaren Bitterkeit stimmen: sie fühlt, dass nur der Mann sie vernichtend erlösen könnte, der der Allgewalt ihrer weiblichen Anmut widerstehen würde; so lockt es sie aus dem tiefsten Grunde der Seele immer wieder, von Neuem die Prüfung vorzunehmen: aber hierein mischt sich zugleich ihr Hohn, ihre Verzweiflung, diesem schwachen Geschlechte unterworfen zu sein, ein auflodernder furchtbarer Hass, der sie zum Verderben der Männer stimmt, zugleich aber ihr wildes Liebessehnen auf verzehrende, furchtbar glühende Weise von neuem immer wieder zu dem ekstatischen Krampfe aufstachelt, durch welchen sie zaubern kann, zugleich aber auch dem Zauber verfällt. Ihr letztes Werk unter Klingsors Anleitung war die Verführung des Amfortas‘. Dem Zauberer war es nur daran gelegen, Amfortas in seine Macht zu bekommen: er hatte ihm dieselbe Schmach zugedacht, die er sich einst selbst in rasender Verblendung zugefügt: es war gelungen, den Hüter des Grales selbst in die Arme des wunderbar verführerischen Weibes, zu dem Kundry umgeschaffen war, zu verlocken u. während er dort schwelgte, überfielen ihn die Klingsor dienstbar gewordenen Streiter, um ihn zu binden; sie durften ihn nicht töten; es gelang dem wachsamen Gurnemanz, mit Hilfe der angerufenen Gralsmacht den bereits verwundeten Amfortas zu befreien. Klingsor entging somit der Preis seines Unternehmens: glücklicher, zu ihrem Unglück, war es Kundry gelungen, von Neuem ihre Macht zu bewähren! Nach heftigem Wahnsinnstoben erwachte sie wieder als Büßerin. Aus einem Zustande in den andren bringt sie kein wirkliches Bewusstsein des Vorgefallenen: er ist ihr wie ein im tiefsten Schlaf erlebter Traum, von dem der Erwachte keine Erinnerung, sondern nur ein dunkles, ohnmächtiges, nur das tiefste Innere beherrschendes Gefühl hat. Doch blickte sie mit Trauer und Hohn zugleich auf den Verwundeten, dem sie nun als Büßerin wieder mit leidenschaftlichster Aufopferung, aber – ohne Hoffnung, ohne Achtung, diente. Jetzt gilt es nun Klingsor, Parsifal in seine Macht zu bekommen. Er kennt die Weissagungen, die über dieses Wunderkind vorhanden sind. Er fürchtet, dass er berufen sein könnte, Amfortas zu erlösen und seine Stelle mit unbesieglicher Macht zu übernehmen. Gegen ihn soll nun Kundry ihre stärkste Macht üben. Kundry’s von Klingsor gebannte Seele erbebt. Sie sträubt sich. Er droht. Sie flucht. Furchtbare Geheimnisse. Endlich Zwiespalt in Kundry’s Seele: Hoffnung auf Erlösung – durch ihre Besiegung: – dann aber wahnsinniges Verlangen nach einem letzten Liebesgenuss. Klingsor’s Lachen. – Waffengeräusch. Parsifals drohende Stimme von außen. Kundry verschwindet. „An’s Werk“! Klingsor springt auf die Mauer; er gewahrt Parsifal’s Kampf gegen die verzauberten Ritter. Klingsor lacht über die tölpischen Eifersüchtigen, die dem Fremden den Zugang zu ihren geliebten Teufelinnen wehren: er freut sich da sie besiegt und von Parsifal erschlagen oder verjagt werden. Er gönnt allen Gralsrittern, sich auf diese Weise unter sich umzubringen. Er begleitet mit den Blicken Parsifal, der nun kindisch stolz durch das geöffnete Thor einschreitet, wie betäubt vor der Pracht des Palastes steht, jetzt nach dem Lustgarten sich wendet. „Ha! Kindischer Spross! Zu was Du auch berufen sein könntest: noch bist du zu dumm, und mir verfallen. Hier wirst du lieblich enden, ewiger Herr des Grales.“ Er verschwindet.

Parsifal ist in den wunderbaren Zaubergarten Klingsor’s eingetreten: sein Staunen über die unnennbare Anmut ist mit einem unheimlichen Gefühle der Bangigkeit, des Zagens, des Grauens vermischt. Doch soll er nicht zur Fassung kommen: Schöne Frauen stürzen einzeln, von verschiedenen Seiten, herbei; in wilder, flüchtig umgeworfener Kleidung, mit ungeordneten Haaren u.s.w. Sie haben Waffenlärm gehört: beim Erwachen haben sie sich von ihren Geliebten verlassen gefunden; einige sind nach den Zinnen gelaufen; sie haben den Kampf angesehen, und berichten den andren Frauen, dass ihre Geliebten von dem kühnen Fremdlinge bekämpft, in die Flucht geschlagen, ja gefällt worden seien. Klagen und Verwünschungen: sie stürzen über Parsifal her. Ihre Drohungen, Vorwürfe und Klagen mildern sich allmählich beim Anblicke des Helden, beim Innewerden seiner Schönheit, seiner kindischen Unbefangenheit. Einige verspotten ihn, andre fordern ihn auf, sie für die verlorenen Geliebten zu entschädigen: bald wird ihm geschmeichelt und geliebkost. Parsifal gibt sich staunend, aber gänzlich unbefangen, dem, was ihm ein Kinderspiel dünkt, hin, ohne sich einen Ernst der Lage ankommen zu lassen. Bald entsteht Eifersucht u. Streit unter den Frauen: einige sind beiseite, in Lauben getreten, und treten mit reizend geschmücktem Haar, zierlich geordnetem Gewand u.s.w. wieder näher; sie werden von den andren verhöhnt, doch nachgeahmt. Das buhlerische Spiel um Parsifal’s Gunst artet endlich in Streit und Zank aus. Parsifal verhält sich immer wie zu einem Kinderspiel: will nichts begreifen und zeigt vor allem keinen Ernst. Die Verhöhnung wendet sich gegen ihn: Spott und Schelten will ihn endlich fast ärgerlich machen: er will flüchten. Da vernimmt er den lauten, liebevoll klagenden Ton einer weiblichen Stimme, die ihn beim Namen ruft. Er bleibt erschüttert stehen, glaubt den Ruf seiner Mutter zu hören, und verweilt wie festgewurzelt in großer Ergriffenheit. Die Stimme mahnt Parsifal zu weilen: hier werde ihm großes Glück widerfahren: den Frauen befiehlt sie, den Jüngling zu verlassen; er sei keiner von ihnen bestimmt: ihre Geliebten seien ihnen erhalten: sie möchten zu ihnen zurückkehren, und sie zum Frieden ermahnen. Zögernd gehorchen die Frauen: sie entfernen sich zaghaft von Parsifal, den jede heimlich ihrem Geliebten vorzieht: schmeichelnd u. sanft verlassen sie ihn und zerstreuen sich nach allen Seiten. – Parsifal glaubt nun gewiss zu träumen, und blickt sich schüchtern um, woher die Stimme kam. Da gewahrt er in einer Grotte auf einem Blumenlager ein jugendliches Weib von höchster Schönheit, Kundry, in neuer, gänzlich unkenntlicher Gestalt. Verwundert frägt er, noch fern stehend, ob sie es war, die ihn gerufen. Kundry: ob er denn nicht wisse, dass sie ihn hier seit lange erwarte? Was ihn denn hierher geführt, wenn nicht der Wunsch, sie zu finden? Parsifal, wunderbar von ihr angezogen, nähert sich der Grotte. In seine Empfindung mischt sich ungeheure Bangigkeit; die heitere Unbefangenheit in seinem vorherigen Verhalten zu den schönen Frauen verlässt ihn ganz; ein tiefer Ernst kommt über ihn, ein dunkles Gefühl, dass es sich um die wichtigste Entscheidung für ihn handle. Das wunderbare Weib weiß die zartesten Saiten seiner Empfindung durch traulich-feierliches Berühren seiner Kindererinnerungen erzittern zu machen; der Abend, der Morgen, die Nacht – die Klagen, die Liebkosungen der Mutter; die Sehnsucht der Entfernten, Verlassenen, nach dem Sohne, ihr Schmachten, Verzweifeln und Sterben. Parsifal überwältigt von furchtbarer Rührung und zermalmender Wehmut, sinkt weinend zu den Füßen des schönen Weibes nieder: schreckliche Reue quält ihn. Sie beugt sich da über ihn, und umschlingt sanft seinen Nacken. Tröstung u. Verweis des allzu großen Schmerzes. Nicht Alles, was ihn beglücken könne, sei in der Mutterliebe enthalten gewesen: der letzte Hauch des Muttersehnens sei der Segen des ersten Kusses der Liebe. Sie hat ihr Haupt über das seinige geneigt, und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf den Mund des Jünglings. Dieser fährt plötzlich mit einer Gebärde des höchsten Schreckens auf. Mit diesem Kuss ist eine furchtbare Veränderung in ihm vorgegangen: er fühlt nach seinem Herzen; dort brennt ihm plötzlich die Wunde des Amfortas: er hört dessen Klagen aus seinem eigenen tiefsten Innern aufsteigen. „Die Wunde! Die Wunde hier blutet sie! Jammervoller, und ich konnte dir nicht helfen!“ – Dem Schrecken und der Verwunderung des schönen Weibes antwortet er mit hinstarrender Entrücktheit: ihn fesselt nur der rätselhafte Vorgang, dessen Zeuge er in der Gralsburg war; gänzlich in Amfortas‘ Seele versetzt, fühlt er dessen ungeheure Leiden, seinen furchtbaren Selbstvorwurf; die unsäglichen Qualen des Liebessehnens, die unheiligen Schauer des sündigen Verlangens, selbst hier, im Anblick des Wundergrales, durchleuchtet von seinen hehren Wonnen, vernichtet von der Göttlichkeit seines welterlösenden Balsam’s. Er ruft den Gral an, das Blut des Erlöser’s: er hört die göttlichen Klagen über den Fall des Auserwählten; er vernimmt den Ruf des Heilands nach Befreiung des Heiligtums aus der Pflege befleckter Hände: Und dies ungeheure Leiden erlebte er, die Qualen des Schuldbeladenen bezeugte er: zu seinem tiefsten Innern rief es laut um Erlösung, und – er blieb stumm, floh, irrte kindisch umher, verprasste seine Seele in wilden, törichten Abenteuern! Wo gibt es einen Elenden, Sündhaften, wie ihn? Wie je hoffen, Vergebung der ungeheuren Pflichtversäumnis zu finden?“ – Vergebens sucht ihn das erstaunte, zur leiden­schaftlichsten Bewunderung hingerissene Weib zu beschwichtigen. Jeden ihrer Blicke sieht, jedes ihrer Worte hört er wie aus Amfortas‘ Seele: so blickte die Unselige, so sprach sie, so schlang sie den Arm um seinen Nacken; so furchtbare Schmerzen musste er als Lohn davon empfinden! Verderberin, weich‘ von mir.“ – Wahnsinniges Liebesverlangen brennt nun in des Weibes Seele auf. „Grausamer! empfindest du nur die Schmerzen andrer, so empfinde auch die meinigen! – In dir allein soll ich Erlösung finden, in dir allein vergehen! Dich erharrte ich während Ewigkeiten des Elends: um dich zu lieben, um eine Stunde dein zu sein, kann einzig mich entschädigen für Qualen, wie sie noch kein Wesen litt.“ – Parsifal: „In Ewigkeit bist du verdammt mit mir, wollt‘ ich in deinen Armen nur einen Augenblick meine Sendung vergessen!“ Auch dir bin ich zum Heil gesandt: Wahnsinnige, erkennst du denn nicht, dass der Trank nur deinen Durst vermehrt: dass dein Sehnen nur durch Ungestilltsein erlischt?“ Vor seiner Empfindung liegen alle Qualen des Menschenherzens offen: er empfindet sie alle, und weiß wie sie einzig zu enden. Das Weib: „So war es mein Kuss, der dich hellsichtig machte ? O Thor! umfange mich nun in Liebe, so bist du heute noch Gott selbst! Nimm mich nur eine Stunde an dein Herz, und lass mich dann verdammt sein in Ewigkeit! – Ich will keine Erlösung: ich will dich lieben!“ Parsifal: „ich will dich lieben u. erlösen, zeigst du mir zu Amfortas den Weg!“ Sie rast: „Nie sollst du ihn finden! Lass den Verfallenen verderben!“ Er besteht auf seiner Forderung. Sie fordert als Lohn eine Stunde Liebe von ihm. Er stößt sie zurück. Sie zerschlägt sich die Brust, ruft wahnsinnig nach Hilfe. Noch sei sie mächtig genug, ihn irre zu leiten, dass er die Gralsburg nie finde: sie verwünscht die Pfade und Wege! Klingsor erscheint auf dem Turme des Schlosses: Gewaffnete stürzen herbei: Parsifal erkennt die Lanze, mit der Amfortas verwundet ward, [Es ist die Lanze, mit welcher einst Longinus des Heilands Schenkel durchstach, und deren sich Klingsor als wertvollstes Zaubermittel bemächtigt hatte. (Anmerkung Wagners).] entreißt sie dem Ritter: „mit diesem Zeichen bann‘ ich euch! Wie sich die Wunde schließe, die diese Speerspitze stach, vergehet alle hier, und in Trümmer stürze diese Pracht!“ – Er schwingt die Lanze: mit einem furchtbaren Krach stürzt das Schloss zusammen, der Garten verdorrt zur Einöde. Parsifal, aus der Ferne nach der schreiend zusammengebrochenen Kundry sich umblickend: „Du weißt, wo du mich wiedersehen kannst!“ Er enteilt über die Trümmern. –

In Montsalvat herrscht Trauer und Zerrüttung. Amfortas ist nicht mehr dazu zu bewegen, dem Amt des Grales vorzustehen. Er will, von übermäßigen Qualen gepeinigt, seinen Tod ertrotzen: er will den Gral nicht mehr erschauen, der auch seine Wunderkraft in Trauer gehüllt zu haben scheint, da er, seit Parsifals Beisein, in immer matterer Glut nur noch leuchtete. Seit länger nun schon bleibt das heilige Gefäß in seinem Schrein verschlossen. Alles darbt und verkommt. Die Ritter müssen sich unheilige Nahrung suchen; die Kraft schwindet ihnen; sie werden nicht mehr ausgesendet. Titurel, des Anblicks des Lebenspendenden Heiligtums verlustig, unfähig selbst noch das Amt zu verrichten, ist gestorben. Amfortas erwartet sehnlich seine eigene Auflösung. Die Ritter belagern seine Kammer; weinend und drohend bestürmen sie ihn: er weigert sich standhaft: er will sterben. – Gurnemanz, unter solchen Umständen schnell zum fast kindischen Greis gealtert, hat sich an den heiligen Quell am Ende des Waldes zurückgezogen, um dort als Einsiedler zu sterben. Kundry ist ganz neulich von ihm wieder aufgefunden worden: sie lag, wie immer im Todesschlafe; nachdem er sie nochmals erweckt, hat er aber gegen früher eine große Veränderung an ihr wahrgenommen: als sie erwacht, ist sie nicht erstaunt, hat nicht geflucht, und hat ihn dagegen sanft und stetig bedient. Nur ist kein Wort aus ihr herauszubringen gewesen: sie scheint gänzlich die Sprache verloren zu haben. – An einem schönen Frühlingsmorgen schöpft Kundry am Quell Wasser für den alten Gurnemanz: dieser liegt im Gebet vor seiner Hütte. Da wird Parsifal aus der Ferne langsam sich nähernd gewahrt: er ist in ganz schwarzer Waffenrüstung; gebeugten Hauptes, mit gesenktem Speere kommt er träumerisch heran, und lässt sich auf einem Rasensitze in der Nähe des Brunnens nieder. Er hat das Visier geschlossen. Gurnemanz bemerkt ihn und spricht ihn an. Auf alle Fragen schüttelt Parsifal nur traurig mit dem Haupte. Endlich wird Gurnemanz ärgerlich, und verweist ihm, hier mit geschlossenem Helm, Speer u. Schild bewaffnet sich aufzuhalten. Ob er denn nicht wisse, welcher Tag heut‘ sei? – „Nein“ – Woher er denn komme, und ob er unter Christen gelebt habe, nicht zu wissen, dass heut‘ der allerheiligste Karfreitag sei? – Parsifal schweigt lange. Dann öffnet er den Helm, setzt ihn vom Haupte, stößt den Speer in den Bodens, [Ursprünglich hieß es von hier ab: (hängt Helm, Schild u. Schwert daran: kniet dann nieder, und sinkt in ein stummes Gebet. ) Wagner hat diese Formulierung gestrichen und durch die obige ersetzt.] legt Schild und Schwert davor nieder, senkt sich darauf kniend hin, heftet sein Auge inbrünstig auf die blutige Lanzenspitze, und betet eifrig. – Gurnemanz betrachtet ihn mit Rührung, glaubt ihn wiederzuerkennen, ruft Kundry zum Zeugen herbei. Mit ruhigem Kopfnicken bekräftigt sie, dass dies derselbe sei, der einst am See erschienen und den Schwan erlegt habe. Parsifal wird befragt. Auch er erkennt den Greis; und berichtet nun, wie er lange vergebens umhergeirrt habe, um die Gralsburg wieder zu finden, wo er eine große Schuld zu büßen habe: er sei verzweifelt, den Weg je wieder zu finden; durch Büßungen jeder Art habe er sich der Gnade, auf den rechten Pfad geleitet zu werden, teilhaftig machen wollen; vergebens: seine Werke waren nicht so stark, als der Zauber, der ihn in die Irre bannte! Ob ihm nun der Alte Nachricht geben könnte? Gurnemanz antwortet traurig, dass die Kunde ihn nicht erfreuen würde, und meldet nun all die trostlosen Vorgänge in Montsalvat. Parsifal, von Reue gefoltert, diesen Jammer nicht längst schon gemildert zu haben, schilt seine Blindheit, seine kindische Blödigkeit, und sinkt, von Schmerz überwältigt, ohnmächtig zurück. Kundry springt herbei: sie holt in einem großen Becken Wasser. Gurnemanz verwehrt ihr: dort, am Quelle selbst, soll der Pilger gebadet werden: mir ahnt, er habe noch heute ein hohes Amt zu verrichten; dazu muss er gereinigt, und aller Staub der langen Wanderung von ihm abgewaschen werden. Den wieder erweckten Parsifal geleiten Beide sanft nach dem Quell. Parsifal frägt, ob ihn der Alte zu Amfortas geleiten wolle? Gurnemanz: gewiss, wir ziehen heute gemeinschaftlich zur Burg: die Totenfeier Titurels, meines lieben Herrn, wird heut‘ begangen. Da hat Amfortas gelobt, noch einmal den Gral zu ent­hüllen, zur Heiligsprechung des durch seine Schuld geschiedenen Vaters.“ Während dem hat Kundry Parsifals Beinschienen gelöst, und badet ihm nun die Füße; er blickt ihr mit Verwunderung und Rührung zu, und bittet dann Gurnemanz, ihm auch das Haupt mit dem heiligen Wasser zu netzen: dieser segnet ihn zu dem ihm bestimmten Werke, und sprengt ihm das Haupt mit Wasser. Da bemerkt Parsifal, dass Kundry ein goldenes Fläschchen aus dem Busen zieht, einen edlen Balsam daraus auf seine Füße schüttet, sie salbt, und dann mit ihren Haaren trocknet. „Salbst du die Füße, so salbe Gurnemanz auch das Haupt: denn ich werde König!“ Gurnemanz nimmt, salbt ihm das Haupt und spricht den Segen. Leise, wie unvermerkt, schöpft da Parsifal mit der Schale Wasser aus dem Quell, netzt damit Kundry’s Haupt: „mein erstes Amt verricht‘ ich so: sei ge­tauft und glaube an den Erlöser. – Kundry senkt das Haupt u. scheint zu weinen. – Parsifal blickt mit sanfter Verzückung auf Wald und Wiese. „Wie doch Alles so wunderbar blühe, in zarten Farben, lieblichen Formen und milden Düften zu ihm spreche! Er habe noch nie die Aue so schön ge­sehen. Gurnemanz: „das ist Karfreitagszauber, Herr.“ Parsifal „O des höchsten Schmerzenstages ? Sollte da nicht eher die ganze Schöpfung trauern?“ – Gurnemanz: „Du siehst, es ist nicht so: heut‘ freut sich alle unvernünftige Creatur, zu dem Erlöser aufzublicken. Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht gewahren: da blickt es denn zu dem erlösten Menschen auf; der fühlt sich durch das Liebesopfer Gottes heilig u. rein, das merken die Blumen auf der Aue, dass der Mensch sie heut‘ nicht zertritt, sondern, wie Gott der Men­schen sich erbarmte, heut‘ auch ihrer schont: nun dankt denn Alles, was blüht u. bald stirbt; es ist der Unschuldstag der Natur.“ Kundry hat langsam das Haupt erhoben und blickt ernst und ruhig bittend zu Parsifal auf. Parsifal: „heut‘ ist der große Unschuldstag: steh‘ auf und sei selig!“ – Er küsst sie auf die Stirne. – Glockengeläute, annähernd: Männergesang aus der Ferne. – Gurnemanz: die Stund‘ ist da: Mittag, – wie damals. Folgt mir. Parsifal wird von Beiden gewaffnet, nimmt den Speer feierlich, und folgt mit Kundry dem Gurnemanz. – Während der Gesang anschwillt, und die Glocken lauter tönen, wechselt die Szene wieder in allmählicher Weise, wie im ersten Act. In den Gängen gewahrt man Züge von Rittern, in Trauergewändern. Totenklagen hallen näher. – Ein Leichenzug. – Dann Wiederankunft in dem großen Saale. Klagegesänge – von tiefen, höheren und höchsten Stimmen: der Katafalk ist vor dem Baldachin statt der Tafel aufgerichtet. Einzug der Prozession der Ritter; von der anderen Seite Amfortas im Siechbett, dem Sarge Titurel’s nachgetragen: voran der Schrein mit dem Gral. Trübe Dämmerung. Als Alles am Platze, der Sargdeckel zurückgelassen wird, bricht heftiges Wehklagen aus: Amfortas erhebt sich unter dem Baldachin vom Siechbett, verzweiflungsvoll zur Anklage an die Ritter, dass sie ihn zwingen wollen, heut‘ noch einmal den Gralszauber zu üben; hier, beim Anblick des durch ihn getöteten Vaters! Schon sei, seitdem ihn der Gral nicht mehr neu belebt, die Wunde ihm tödlich bis an das Herz getreten: vielleicht noch ein Tag, und auch ihm wäre der Tod gewiss? Warum diese furchtbare Grausamkeit, ihn noch einmal in das Leben zurückzuwerfen? – Er weigert sich von Neuem. Man will ihn zwingen. Murren u. Drohen der Ritterschaft. Amfortas: „Wahnsinnige! womit wollt ihr mir drohen, da der Tod mir Erlösung ist?“ – Da tritt Parsifal hervor: „Lebe, Amfortas, lebe in Reue u. Busse. Deine Wunde schließe ich so:“ Er berührt mit dem Speer Amfortas‘ Schenkel. Parsifal fährt fort, ihm sein Leiden, seinen Fehltritt, seine innere Pein zu schildern: von Allem soll er nun erlöst sein: der Zauber, dem du erlagest, ist gebrochen; stark ist der Zauber des Begehrenden, doch stärker der des Entsagenden. Dank deinem Leiden: es machte mich zum Mitleidenden; danke du meiner Torheit, durch die konnt‘ ich zum Wissen gelangen. Ich darf des Amtes walten, ich soll es, damit Du erlöset seiest!“ – Amfortas, plötzlich genesen, hat den Gral aus dem Schrein gehoben: dieser leuchtet nun sofort im hellsten Glanze auf; eine Glorie breitet sich über Alle aus: Titurel erhebt sich segnend aus dem Sarge. Amfortas geleitet Parsifal unter den Baldachin: – Kundry umschlingt Parsifal’s Füße und sinkt leise entseelt vor ihm nieder. Eine weiße Taube schwebt aus der Kuppel herab und kreist über Parsifal. – Amfortas huldigend vor ihm auf den Knien. –